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Walter Rothes
DIE MADONNA
Digitized by the Internet Archive
in 2012 with funding from
Brigham Young University
http://archive.org/details/diemadonnainihreOOroth
Abb. 1. Raffael Sanzio, Madonna del Granduca.
Florenz, Palazzo Pitti.
i Siehe Seite 67.)
70 /, f4*6
^
DIE MADONNA
IN IHRER VERHERRLICHUNG DURCH DIE
BILDENDE KUNST ALLER JAHRHUNDERTE
VON
DR. PHIL. WALTER ROTHES
DOZENT DER KUNSTWISSENSCHAFT AN DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE
ZU POSEN
ZWEITE WESENTLICH UMGEARBEITETE UND VERMEHRTE AUFLAGE
MIT 163 TEXT- UND 8 EINSCHALTBILDERN
KÖLN A. RH.
VERLAG UND DRUCK VON J. F. BACHEA
Alle Rechte, besonders das der Uebersetzung in fremde Sprachen,
vorbehalten.
Verlags-Nr. 599
(seit 1900i
THE LIBRARY
ÖK1GHAM YOUNG UNIVERSITY
PROVO, UTAH
Seiner Hochwürden
HERRN DR. THEOL. A. KELLER,
SEINER HEILIGKEIT HAUSPRÄLATEN UND GEISTLICHEM RAT,
DEKAN UND STADTFFARRER VON WIESBADEN,
in Verehrung zugeeignet
vom Verfasser
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VORWORT ZUR ERSTEM AUFLAGE.
^agnificat anima mea Dominum. Et exultavit Spiritus meus in Deo,
salutari meo. Quia respexit humilitatem ancillae suae. Ecce
enim ex hoc beatam me dicent omnes generationes. (Lucas, 1.)
Hochpreiset meine Seele den Herrn. Und es frohlocket
mein Geist in Gott, meinem Heile. Denn er hat angesehen die Niedrigkeit
seiner Magd. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.
So beginnt der Lobgesang, den Maria in prophetischem Geiste anstimmte.
Die Seligpreisung der Gottesmutter hat seit Beginn der christlichen
Zeitrechnung auch die bildende Kunst in ihrer Art mit großem Eifer zum
Ausdruck gebracht. Unendlich viel ist seitdem zu Ehren der Himmelskönigin
gemalt, gemeißelt und geschnitzt worden.
Hier zu sichten und an der Hand der besonders charakteristischen
Schöpfungen der Kunst der christlichen Völker ein Bild der Gestaltung und
Entwicklung des Madonnen-Ideals in den Wiedergaben der christlichen Kunst
zu liefern, ist der Zweck vorliegender Arbeit.
Für einzelne Abschnitte konnte bereits vorhandene Literatur — so für
die Katakombenzeit: Liell; für die Italienische Renaissance: Venturi — die
Mühewaltung zur Heranziehung des nötigen Materials in etwa erleichtern; im
übrigen mußte mühsam klassifiziert und ausgewählt werden. Den Darstellungen
der verschiedenen Zeiten, Völker und künstlerischen Richtungen in mög-
lichster Objektivität, in gleicher Weise gerecht zu werden, bot ebenfalls
Schwierigkeiten. Für vereinzelte Unebenheit darf daher Nachsicht vom strengst-
kritischen Standpunkt gefordert werden.
Möge denn dies Buch eine neue Blüte sein in dem Ehrenkranze, den
menschliche Dankbarkeit dem Andenken der hehrsten Mutter hienieden windet!
Möge das Buch aber auch die Achtung weiter Kreise vor der Kunst,
der „hehren Himmelstochter", erhöhen, die so Erhabenes und Heiliges
wunderbar verewigte.
Möge es endlich — und gerade darum wurde bei der Illustrierung des
Werkes auch der neuesten Kunst nicht weniger reichlich gedacht — schaffende
* VIII *
Künstler und weitere, kunstliebende Kreise in stets engere Beziehung bringen;
denn ohne namhaftes, sich betätigendes Interesse letzterer können erstere nicht
im Sinne ihrer großen künstlerischen Vorfahren wirken.
WIESBADEN, im Marienmonat Mai 1905.
Der Verfasser.
VORWORT ZUR ZWEITEN AUELAGE.
äiehr als alle wohlwollenden und anerkennenden Kritiken meines
Madonnenbuches erscheint mir jene Tatsache als erfreulichster
Erfolg, daß schon innerhalb drei Jahren die Bereitung einer
neuen Auflage nötig wurde. Dieselbe gab zu einer teilweise
wesentlichen Umarbeitung und Vermehrung des Stoffes Gelegenheit. Das
Prinzip: „Beschränkung auf das Allernotwendigste" durfte dabei selbstver-
ständlich nicht fallen gelassen werden. Von der Vermehrung und Um-
arbeitung wurde die italienische Kunst kaum getroffen, dagegen weitgehend
die deutsche, niederländische und französische. Auch der Abschnitt über die
Katakombenzeit wurde umgeändert. Joseph Wilperts Forschungen wurden
hier berücksichtigt. Die umstrittene Madonna mit der Wickenblüte bleibt für
mich auf Grund der Argumente von Bode und Firmenich-Richartz, sowie
eigener Untersuchungen ein wertvolles Original der altkölnischen Schule. Be-
züglich des Dürerschen Marienbildes lagen neue Ansichten von Lorenz, Heidrich
und Wölfflin vor, die Stellungnahme verlangten. Zur altniederländischen
Madonnenmalerei lieferten Voll und Siebert einige Bausteine. Für die von
Voll neuerdings dem Willem Key zugeschriebene „Pietä" der Münchener
Pinakothek habe ich die traditionelle Bezeichnung Quinten Massys festgehalten.
Auf Massys geht die Komposition zweifellos zurück. Die ausführende Hand
mag die Willem Keys gewesen sein. Diese entdeckt zu haben bleibt dann Volls
Verdienst. Im übrigen war mir für die Kapitel über niederländische
und zumal französische Marienbilder ein Studienaufenthalt in Paris, in den
dortigen Museen und Archiven, recht ersprießlich. Betreffend die Kunst der
neuesten Zeit wurde diesmal die Beuroner Benediktiner-Schule nicht vergessen.
Die Zahl der Abbildungen wurde bedeutend vermehrt; besonders gute,
entwicklungsgeschichtlich wichtige, wenig bekannte, zum Teil bisher über-
haupt noch nicht reproduzierte Darstellungen wurden zur Wiedergabe er-
worben. Auch Tafeln in Farbendruck wurden diesmal beigegeben.
Möge dann die zweite Auflage meines Madonnenbuches eine nicht
minder herzliche Aufnahme finden wie die erste und im gleichen Sinne Gutes
wirken. Diesen Wunsch gebe ich mit.
POSEN, im Marienmonat Mai 1909.
Der Verfasser.
Inhalts-Verzeichnis.
Seite
Vorwort VII
Einleitendes 1
A. Das eigentliche Marienbild.
Maria in den Katakomben 3
Byzantinische Kunst 8
Sienesische Meister 11
Anfänge der Florentiner Kunstentfaltung 20
Verfall der Sienesischen Kunst 23
Florentiner Maler 24
Florentiner Bildhauer 40
Paduas Meister 50
Venezianische Kunst 52
Die Norditaliener 61
Umbrische Malerschule 66
Deutsche Malerschulen (Prager, Kölner, Fränkische, Schwäbische) 73
Deutsche Bildhauer 87
Deutsche Kupferstecher und Holzschneider 92
Dürers Madonnen 94
Niederländische Malerschulen (Vlamen und Holländer) 106
Die Franzosen 121
Spanische und portugiesische Kunst 125
Mariendarstellungen der neueren und neuesten Zeit. (Overbeck und die
Nazarener; Münchener und Düsseldorfer; Fremde Kunst) 129
Die Malerschule der Beuroner Benediktiner 143
B. Darstellungen aus dem Leben Maria.
Folgen des Marienlebens 152
Maria Geburt 154
Erziehung Maria 154
Darstellung im Tempel 157
Vermählung 159
Verkündigung 161
Heimsuchung 168
Maria und die Kindheit Jesu 172
Die Mater dolorosa 184
Der Tod Maria 199
Himmelfahrt 203
Krönung 209
Die Rosenkranzkönigin 212
Die Immaculata 216
Schlußwort 221
X
1. VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
in der Reihenfolge.
Seite
1. Madonna del Granduca, von Raffael Sanzio Titelbild
2 Aeltestes Muttergottesbild ans dem Anfang des zweiten Jahrhunderts 4
3. Wandbild der Katakomben des hl. Petrus und Marcellinus 5
4. Gnadenbild Maria Schnee in Rom 9
5. Mosaik des IX. Jahrh. Santa Maria in Dominica od. della Navicella in Rom . 10
6. Madonna, von Guido da Siena 12
7. Madonna Ruccellai, von Duccio di Buoninsegna 14
8. Thronende Madonna der Domopera zu Siena, von Duccio di Buoninsegna. . . 15
Q. Madonna, von Simone Martini-Siena, Stadthaus 16
10. Madonna mit Kind, von Carlo Dolci vor Seite 17
11. Madonna, von Simone Martini. Pisa, Museo civico 18
12. Madonna del Iatte, von Ambr. Lorenzetti 19
13. Die Madonna mit dem Kinde und Engeln, von Cimabue 21
14. Die Jungfrau mit dem Kinde und Engeln, von Giotto 22
15. Madonna mit dem Kinde und Engeln, von Fra Giovanni Angelico da Fiesole . 25
16. Madonna der Linajuoli, von Fra Angelico 26
17. Madonna mit dem Kinde, umgeben von Heiligen, von Fra Angelico 28
18. Madonna im Walde, von Fra Filippo Lippi 30
19. Madonna, von Fra Filippo Lippi 31
20. Maria erscheint dem heiligen Bernard, von Filippino Lippi 32
21. Madonna aus der Casa Canigiani, von Sandro Botticelli 34
22. Die Jungfrau Maria mit Jesus und Johannes, von Sandro Botticelli 36
23. Magnificat, von Sandro Botticelli 38
24. Madonna mit Kind von der Kathedrale in Prato, von Giov. Pisano 41
25. Madonna der Via dell' Agnolo, von Luca della Robbia 42
26. Jungfrau im Rosenhain, von Luca della Robbia 43
27. Die Madonna der Architekten, von Andrea della Robbia . . 45
28. Die Anerkennung des Kindes, von Donatello 47
29. Madonna an der Treppe der Casa Buonarroti zu Florenz, von Michelangelo
Buonarroti 48
30. Die Heilige Familie, von Palma Vecchio vor Seite 49
31. Madonna in der Liebfrauenkirche zu Brügge, von Michelangelo Buonarroti . . 49
32. Madonna della Vittoria, von Andrea Mantegna 51
33. Madonna in der Sakristei der Redentorekirche zu Venedig, von Luigi Vivarini . 53
34. Madonna mit St. Paulus und St. Georg, von Giovanni Bellini 55
35. Madonna mit sechs Heiligen und drei Engeln, von Giovanni Bellini 56
36. Madonna zwischen S. Franziskus und S. Liberalis, von Giorgione 57
37. Madonna mit den Kirschen (Heilige Familie), von Tiziano Vecellio 59
38. Madonna del Pesaro, von Tiziano Vecellio ... 60
39. Sta. Maria degli angeli, von B. Luini 62
40. Vierge au rocher, von Lionardo da Vinci 63
41. Madonna mit schlafendem Jesuskind, von Carlo Dolci 64
42. Madonna aus dem Hause Tempi, von Raffael Sanzio 67
* XI *
Seite
43. La belle jardiniere, von Raffael Sanzio 68
44. Madonna della Sedia, von Raffael Sanzio 69
45. Madonna di Foligno, von Raffael Sanzio 70
46. Madonna di S. Sisto, von Raffael Sanzio 72
47. Madonna mit der Wickenblüte, von Meister Wilhelm . . 74
48. Madonna mit dem Veilchen, von Stefan Lochner 75
49. Madonna aus dem Altarbild im Dom zu Köln, von Stefan Lochner 76
50. Madonna in der Rosenlaube, von Stefan Lochner 77
51. Madonna mit Engeln und Stifter. Kölner Schule 78
52. Madonna im Rosenhag, von Martin Schongauer 79
53. Madonna des Iseiiheimer Altars in Colmar, von Matthias Grünewald 80
54. Ruhe auf der Flucht, von van Dyck vor Seite 81
55. Madonna von Stuppach, von Matthias Grünewald 81
56. Madonna mit der Traube, von Lukas Cranach 82
57. Madonna mit Stifter, von Lukas Cranach 83
58. Madonna von Solothurn, von Hans Holbein d. Jüngern 85
59. Madonna des Bürgermeisters Meyer, von Hans Holbein d. Jüngern 86
60. Muttergottesstatue Ludwigs d. B. Unbek. Meister d. XIV. Jahrhunderts .... 88
61. Madonna, von Tilm. Riemenschneider 89
62. Madonna, von Hans Multscher 90
63. Maria, Königin der Engel, von H. Daucher 91
64. Madonna auf der Mondsichel, von Meister E. S 92
65. Maria mit dem Kinde in einer Loggia, von Hans Burgkmair 93
66. Madonna mit der Birne, von Albrecht Dürer 95
67. Madonna mit der Meerkatze, von Albrecht Dürer 96
68. Madonna mit der Birne, von Albrecht Dürer 97
69. Die Madonna an der Mauer, von Albrecht Dürer 98
70. Maria mit dem Kinde auf der Mondsichel, von Albrecht Dürer 99
71. Madonna mit den zwei Engeln, Albrecht Dürers frühestes Marienbild 100
72. Madonna mit Heiligen und Sankt Joseph, von Albrecht Dürer 101
73. Madonna mit krönenden Engeln, von Albrecht Dürer 103
74. Madonna mit musizierenden Engeln, von Albrecht Dürer 104
75. Entwurf für ein Altarbild, von Albrecht Dürer 105
76. Maria, von Hub. und Jan van Eyck 107
77. Madonna des Canonicus Pala, von Jan van Eyck 108
78. Madonna des Kanzlers Rolin, von Jan van Eyck 109
79. Der hl. Lukas, die Madonna malend, von Rogier van der Weyden 111
80. Madonna, von Emanuel Dite vor Seite 113
81. Maria mit dem Kinde, von Hans Meinung 115
82. Madonna im Blumenkranz, von Peter Paul Rubens 119
83. Madonna mit dem kl. Jesuskinde und Johannes, von Anton van Dyck 120
84. Madonnen-Statue aus Moissac, französ. Schule des XIII. Jahrhunderts 122
85. Regina Angelorum. Mittelstück einer französ. Miniatur des XIV. Jahrhunderts . 123
86. Madonna mit dem göttlichen Kinde. Marmor-Statue des XVI. Jahrhunderts . . 124
87. Maria mit Kind, von B. E. Murillo 126
88. Madonna im Palazzo Corsini in Rom, von Bartolome Esteban Murillo .... 127
89. Maria und Elisabeth mit Jesus und Johannes, von J. F. Overbeck 128
90. Regina Apostolorum, von Jos. v. Führich 130
91. Mutter Gottes mit dem Jesuskinde, von E. v. Steinle 131
92. Madonna mit dem Kinde, von E. Deger 132
93. Mutter des Erlösers, von Karl Müller 133
* XII *
Seite
94. Jungfrau Maria, von Karl Müller 134
95. Mater Christi, von Franz Ittenbach 135
96. Regina Coeli, von H. Sinkel 136
97. Die Mutter Gottes, von H. Ballheim 137
98. Madonna mit dem Jesuskinde, von H. Nüttgens 138
99. Madonna mit dem Jesusknaben, von N. Sichel 139
100. Madonna mit Kind. Marmor-Statue von Drake 140
101. Salvator mundi, von S. Parker 141
102. Madonna mit dem Lilienzweige, von S. Waters 142
103. Hl. Jungfrau mit dem Jesus- und Johannesknaben, von Humbert 143
104. Pietä, von Quinten Massys und W. Key vor Seite 145
105. Vorahnung der hl. Jungfrau, von Ch. Landelle 145
106. Madonna mit Kind, von Viktor Wasnetzow 146
107. Thronende Madonna mit dem Heiligen Benediktus u. Scholastika. Beuroner Schule 148
108. Mittelstück a. d. Bilde i.d.Scholastika-Kapelle auf Monte Cassino. Beuroner Schule 149
109. Thronende Madonna mit musizierenden Engeln. Beuroner Schule 150
110. Geburt Maria, von Bart. Esteb. Murillo 153
111. Erziehung Maria, von Bart. Esteb. Murillo 155
112. Die Erziehung der hl. Jungfrau, von Pet. Paul Rubens 156
113. Erziehung der hl. Jungfrau Maria, von Karl Müller. ... 157
114. Maria Tempelgang, von Cimo da Conegliano ■ 158
115. Tempelgang Maria. Fresko in der Apollinariskirche zu Remagen, von Franz
Ittenbach 159
116. Vermählung Maria (Sposalizio), von Raffael Sanzio 160
117. Verkündigung. Altes Gewebe des V. -VIII. Jahrhunderts 162
118. Maria Verkündigung, von Lionardo da Vinci 163
119. Die Verkündigung, von Albrecht Dürer 164
120. Verkündigung, von Lukas Cranach 165
121. Maria Verkündigung, von Bart. Esteb. Murillo 166
122. Heimsuchung, von Luca della Robbia 167
123. Heimsuchung Maria, von J. E. v. Steinte 168
124. Maria Heimsuchung, von Karl Müller 169
125. Maria Heimsuchung, von Karl Müller 170
126. Der Gang Maria über das Gebirge, von Joseph von Führich 171
127. Geburt Christi, von Albrecht Dürer 172
128 Die Geburt Christi, von Albrecht Dürer 173
129. Anbetung der Hirten, von Bart. Esteb. Murillo 174
130. Anbetung der Weisen, von Nie. Poussin 175
131. Anbetung der hl. drei Könige. Meister der hl. Sippe 176
132. Madonna auf der Mondsichel, von Marlin Feuerstein vor Seite 177
133. Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, von Lukas Cranach 177
134. Ruhe auf der Flucht nach Aegypten. Bez. m. d. geflügelten Drachen, von
Lukas Cranach 178
135. Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, von Bart. Esteb. Murillo 179
136. Heilige Familie bei der Arbeit in Aegypten, von Albrecht Dürer 180
137. Sankt Anna selbdritt, von Lionardo da Vinci 181
138. Die heilige Anna selbdritt, von Albrecht Dürer 182
139. Die heilige Familie, von Pet. Paul Rubens 183
140. Christus nimmt Abschied von seiner Mutter, von Albrecht Dürer 185
141. Die Mutter Gottes beim Anblick ihres kreuztragenden Sohnes, von Gebh. Fugel 186
142. Veronika überbringt Maria das Schweißtuch, von Jos. Janssens 187
* XIII *
Seite
143. Die Schmerzensmutter, von Matthias Grunewald 188
144. Die schmerzhafte Mutter Gottes am Fuße des Kreuzes wird von einem Engel
getröstet, von B. Plockhorst 189
145. Kreuzabnahme, von Duccio . . 190
146. Beweinung Christi, von Fra Bartolommeo 191
147. Pietä in der Peterskirche zu Rom, von Michelangelo Buonarroti 192
148. Pietä, von Jaspar de Crayer 193
149. Pietä, von Hendrik Goltzius 194
150. Pietä in der St. Antoniuskirche zu Frankfurt a. M., von G. Busch 195
151. Pietä, von G. Dupre 196
152. Mater dolorosa, von Carlo Dolci 197
153. Mater dolorosa, von Guido Reni 198
154. Der Tod Maria. Mosaik des XII. Jahrhunderts 200
155. Tod Maria, vom Meister des Todes Maria 201
156. Tod Maria, von Jan Macip 202
157. Maria Himmelfahrt, von Tiziano Vecellio 204
158. Maria Himmelfahrt, von Bart. Esteb. Murillo 205
159. Maria Himmelfahrt, von Albrecht Dürer 207
160. L'Assomption de Ia Vierge, von N. Poussin 208
161. Madonna mit dem hl. Dominikus und der hl. Katharina von Siena, von
Georg Kau vor Seite 209
162. Krönung Maria, von Diego Velasquez 210
163. Krönung Maria, von Joh. Schraudolf 211
164. Rosenkranzfest, von Albrecht Dürer 213
165. Königin des Rosenkranzes, von E. v. Steinle 214
166. Königin des Rosenkranzes mit Papst Leo XIII., von M. Ribustini 215
167. Unbefleckte Empfängnis, von Bart. Esteb. Murillo 217
168. Unbefleckte Empfängnis, von Franz Ittenbach 218
169. Maria mit dem Einhorn 219
170. Maria erscheint dem hl. Bernard von Clairvaux, von Bart. Esteb. Murillo . . . 222
171. Maria als Kind. Altar-Figur 223
* XIV *
2. VERZEICHNIS DER KÜNSTLERNAMEN,
(Die Zahlen bedeuten die Seitenzahlen. Die beigesetzten Sterne bezeichnen Abbildungen.)
Albani, Francesco, 167
Albertinelli 170
Albrecht, Joseph, 138, 184,
219
Alfaro, Francesco, 154
Almedina 202
Altdorfer 94, 181
Altheimer 138
Alunno, Niccolo, 66
Fra Angelico da Fiesole 24,
25*, 26*, 27, 28*, 160,
166, 174, 176, 179, 189,
193, 199, 212, 220, 221
Armitage 140
Avanzi, Jacopo, 177, 189,
199
Baldovinetti 39
Balducci, Matteo, 203
Ballheim, H., 137*, 138
Banco, Nanno di, 203
Barna 181, 210
Bartolo di, Taddeo 166, 199
Bartolo di, Fredi 154
Bartolome, Maestro, 129
Fra Bartolommeo 191*, 193
Becerra, Gaspar, 196
Begarelli 193
Bellini, Giovanni, 54, 55*,
56*
Bellini, Jacopo, 54
Benedetto da Maiano 49
Beraud 140
Bianchi, Francesco, 61
Böcklin, Arnold, 139
Boltraffio, Giovanni An-
tonio, 63
Bordone, Paris, 221
Borgognone 212
Borgogiia, Juan de, 154
Botticelli, Sandro, 33, 34*,
35, 36*, 37, 38*, 166, 174,
193, 203
Bougouereau 140
Bourdon, Sebastian, 125,
177
Bouts, Dirk, 114
Brown, Ford Madox, 140
Bruyn, Barthel, 174
Buglioni, Benedetto, 47
Burgkmair 93*, 94, 212
Busch 138, 195*
Campana 181
Cano, AI., 128, 154, 167,
196, 218
Caracci, Annibale, 65
Caroto 64
Carpaccio, V., 154, 159, 160,
170, 177
Castillo, Juan del, 170, 206
Catena, Vincenzo, 54
Champaigne, Philipp de,
125
Christus, Petrus, 110, 167
Cima da Conegliano 56,
158*, 159
Cimabue 13, 20, 21*, 174,
203
Coello 127
Collier 140
Coppus, Marcoaldus, 20
Cornelius, Peter von, 131
Cornicelius 138
Correggio65, 174, 181, 183,
184, 203
Cranach, Lucas, d. Aeltere,
82*, 83*, 165*, 167, 177*,
178*, 181
Crayer, Jaspar de, 193*, 195
Credi, Lorenzo di, 39, 167,
174
Crivelli, Carlo, 54, 166
Daucher 91*
David, Gerard, 117, 181
Defregger 133
Deger, Ernst, 131, 132*, 138
Delacroix, Eugene, 125
Delaroche, Paul, 125
Diana, Benedetto, 56
Dite, Emanuel, vor 113*,
138
Dolci, Carlo, vor 17*, 64*,
65, 196, 197*
Donatello 47*, 48, 166,
193, 203
Drake 138, 140*
Duccio di Buoninsegna 14*,
15*, 17, 166, 190*, 191,
199
Dürer, Albrecht, 94, 95*,
96*, 97*, 98*, 99*. 100*,
101*, 102, 103*, 104*,
105*, 152, 154,164* 170,
172*, 173*, 174, 176, 179,
180*, 181,182*, 183, 184,
185*, 190, 194, 206,207*,
209, 213*, 215,221
Dupre, Giovanni, 141, 195,
196*
Dyce 140
Dyck. Anton van, vor 81*,
120*, 121, 174, 181, 194
Elsheimer 179
Eyck, Hubert u. Jan van,
106, 107*
Eyck, Jan van, 106, 107*,
108*, 109*, 167
Feldmann 138
Feuerstein 138, vor 177*,
184
Firle 174
Flandrin, Hippolyte, 140
Forment, Damian, 206
Fouquet, Jean 125
Francia, Francesco, 61, 167,
177, 193
Fries, Hans, 161
Führich, Joseph von, 130*,
131, 171*
Fugel, Gebhard, 138, 184,
186*, 188
Fungai, Bernardino, 210
Gaddi, Agnolo, 23, 166, 170
Gaddi, Taddeo, 23, 154
Gagini, Antonello, 66
Gaudenzio, Ferrari, 62
Geertgen, von Haarlem, 181
Gentile da Fabriano 52, 176,
179, 210
XV
Gerini, Niccolo, 186, 210
Ghirlandajo 39, 152, 166,
170, 176, 503, 212
Giacomo di Venezia 210
Giordano, Luca, 199, 218
Giorgio, Francesco di, 210
Giorgione 57*, 58
Giottino 190, 192
Giotto 13, 21, 22*, 152,
154, 159, 166, 170, 174,
177, 179, 181, 186, 190,
192, 210
Giovanni daMilano 23, 154
Girolamo del Pacchia 218
Goes, van der, 113, 174,201
Goltzius, Hendrik, 194*,
195
Gossaert, Jan, gen. Marbuse,
118
Gozzoli, Benozzo, 39, 174
Grün, Hans Baidung, 176,
179, 181, 215
Grünewald, Matthias, 81*,
82, 167, 188*, 190
Fra Guglielmo da Pisa 166,
170, 174, 199
Guido da Siena 11, 12*, 13
Hackl, von, 138
Heß, H. von, 131
Hesse, Jean Baptiste, 140
Hofmann, H., 139
Holbein, Hans, d. Aeltere,
84, 181, 202
Holbein, Hans, d. Jüngere,
84, 85*, 86*, 94, 174, 181,
189, 196
Holman, Hunt, 179
Humbert 140
de la Hyre, Laurent, 125
Ittenbach, Franz, 131,135*,
138, 159, 184, 203,218*,
219
Jakob (Mönch), 154, 162,
170
Janssens, Joseph, 187*, 188
Joest, Jan v. Calcar, 167,
201, 215
Juanes 170
Juni, Juan de, 155
Kau, Georg, 138, vor 209*,
216
Kaulbach, Hermann, 139
Klinger, Max, 195
Knoller 209
Kodex, Rabulas, 221
Krafft,Adam,89,184,194,212
Kramer, von, 138
Kulmbach, Hans von, 176
Kupelwieser 140
Landelle 140, 145*
Leal, Juan Valdes, 161, 206
Le Sueur, Eustache, 125
Leyden, Lukas van, 118
Liebermann, Max, 181
Lienhart 93
Lionardo da Vinci 62, 63*,
163*, 167, 176, 181*, 182
Lippi, Filippo, 29, 30*, 31*,
154, 166, 212, 221
Lippi, Filippino, 32*, 33,
167, 221
Llanos, 202
Lochner, Stefan, 75*, 76*,
77*, 78, 176
Lombardi, Tommaso, 61
van Loo 125, 161
Lorenzetti, Ambruogio, 18,
19*
Lorenzetti, Pietro, 19, 154,
166, 186, 203
Lorenzo da Viterbo, 160
Lotto, Lorenzo, 184
Luini, Bernardino, 62*, 160,
181
Maccari, Cesare, 141
Macip, Jan, 202*, 203
Macip, Vicente Juanes, 206
Mantegna, Andrea, 50, 51*
Maratta, Carlo, 206, 218
Marconi, Rocco, 56
Marescalco 193
Marr, Karl, 174
Martini, Simone, 14, 16*,
17, 18*, 166, 181, 186
Masaccio 24, 181, 199
Masolino 24, 181, 203
Massys, Quinten, 118, vor
145*, 181, 195
Matteo di Giovanni 24
Matteo, Civitalis, 49
Max, Gabriel, 139
Mazzolino, Ludovico, 181
Meckenem, Israhel von, 152
Meister B. M. 221
Meister der hl. Sippe 176*
Meister der Pellegrinikapelle
40
Meister der Miniatur 167
Meister des Münchener
Marienlebens 177, 197
Meister des Todes Maria
201*
Meister E. S. 92
Meister F. V. B. 167
Meister V. S. 208
Meister von Flemalle 113,
161
Meister von Großgmain 221
Meister von Liesborn 174
Meister von S. Bento 170,
177, 181
Meister von St. Severin 177
Memling. Hans, 114, 115*,
176, 177, 179, 197
Memmi, Lippo, 166, 203
Menzel, Adolf, 181
Michelangelo Buonarroti,
48*, 49*, 50, 183, 192*,
193
Mignard, Pierre, 125, 196
Mino da Fiesole 49
Monaco, Lorenzo, 24, 176,
210
Montagna, Bartolomeo, 58,
177
Montanez, 129, 218
Morales 177, 196
Moretto, Alessandro, 61
Müller, Andreas, 131
Müller, Franz, 131, 167
Müller, Karl, 131, 133*,
134*, 138, 140, 154, 157*,
169*, 170*, 171, 174, 184,
219
Müller- Warth 138
Multscher, Hans, 90*, 91,
201
Murano, Antonio di, 52
Murano, Giovanni di, 52
Murillo, Bartolome Esteban,
126*. 127*. 128, 153*, 154,
155,166*, 167, 174*, 179*,
181,183, 195, 196, 205*,
206,216,217*, 221,222*
Nelli, Ottaviano, 66, 154,
199
Nenci, Francesco, 141
Nüttgens, 138*, 174
Nunez, Juan, 195
* XVI *
Oer, Theobaldvon,131,174
Oer, Frl. von, 167, 219
Orcagna 24, 154, 166, 174,
199
Ostsanen,Corneliszvon, 118
Ostendorfer, Michael, 94
Overbeck, Friedrich, 128*,
129, 161
Pacheco, 167
Pacher, Michael, 91, 176.
212
Palma, Vecchio, vor 49*, 183
Palmezzano, Marco, 189
Paolo, Giovanni, 203
Parker 140, 141*
Parsons 140, 167
Patinir, Joachim, 181
Paton 140
Penni, Francesco, 209
Perugino. Pietro, 66, 160,
167, 174, 189, 190, 193,
221
Peruzzi 179
Pfannschmidt 139, 176
Pier, Francesco, 39, 166
Pier, Paolo di Venezia, 212
Piero della Francesca 39
Pinturricchio 66, 212
Piombo, Sebastian del, 170,
193
Pisanello 166
Pisano, Giovanni, 40*
Pisano, Nicola, 190, 191
Pisani 174, 176, 177
Plockhorst 139, 189*, 190
Pollaiuolo, Pietro, 210
Poussin, Nicolaus, 125,175*,
176, 208*, 209
Previati, Gaetano, 141
Prudhon, Pierre, 125, 209
Quercia, Jacopo della, 40
Raffael, Sanzio, Titelbild,
66, 67*, 68*, 69*, 70*, 72*,
160*, 161, 170, 182, 186,
193, 209
Rembrandt, 121, 174, 184
Reni, Guido, 196, 198*. 218
Ribalta, Francesco, 127,212
Ribera 127, 196, 218
Ribustini 215*, 216
Riemenschneider, Tilman,
89*, 90, 194
Robbia, Andrea della, 44,
45*, 166, 221
Robbia, Giovanni della, 46,
166
Robbia, Luca della, 40,42*,
43* 167*, 170, 212
Robert, Leopold, 125
Roelasjuandelas, 176,218
Romano, Giulio, 209
Rosselino 49
Rossetti, Dante Gabriel, 140,
157, 167
Roy er 141
Rubens, Peter Paul, 118,
119*, 156*, 174, 183*,
184, 206, 212, 221
Sano di Pietro 23
Sansovino, Andrea, 66, 181
Sarrocchi, Tito, 141
Sarto, Andrea del, 65, 154,
167
Sassoferrato 65, 196, 216
Schaffner, Martin, 167, 202
Scheffer, Ary, 125, 141
Schleibner 138
Schnetz, Victor, 125
Schongauer, Martin, 79*, 80,
93, 183, 189, 194, 221
Schramm, Friedrich, 221
Schraudolf, Johann, 131,
211*, 212
Schüchlin 194
Sebastiani, Lazzaro, 56
Segantini, Giovanni. 141,167
Seitz, Ludwig, 141
Shields 140, 167
Sichel, N., 138, 139*
Signorelli 190
Sinkel, H., 136*, 138, 174
Sippe, Meister der hl., 176*
Skorel, Jan, 181
Slüter, Klaus, 125
Sodoma 159, 170, 183, 203
Spinello, Aretino, 166, 210
Steinte, Eduard von, 131*,
138, 167, 168*, 171,214*,
216
Stimmer, Tobias, 170
Stoß, Veit, 90, 94, 167,198,
202, 212, 214
Strathmann 176
Striegel, Bernhard, 159, 181
Suner 218
Taddeo di Bartolo, 166, 199
Theotocopuli, Domenico,
gen. Greco, 212, 221
Thoma, Hans, 179
Tiepolo, 183, 186, 206,216,
218, 221
Tintoretto 61,159, 167, 190,
193, 206, 221
Tiziano, Vecellio, 58, 59*,
60*, 159, 167, 181, 182,
193, 196, 204*, 206
Traini, Francesco, 203
Uhde, Fritz von, 139, 171,
174
Vanni, Francesco, 218
Vargas, Louis de, 218
Vecchio, Palma, vor49*, 183
Veit, Philipp, 131, 137
Veit, Johannes, 131
Velasques, Diego, 174,210*,
212
Velasco da Coimbra, 129,
154
Veneziano, Bonifazio, 181
Verdiguier, 167, 206
Veronese, Paolo, 61, 167
Vischer, Peter, 212
Visconti, Angiolo, 141
Viterbo, Lorenzo da 160
Vivarini, Bartolommeo, 53,
154
Vivarini, Luigi, 53*
Vogeler-Worpswede 167
Vouet, Simon, 125
Wadere 138
Wasnetzow 142, 146*
Waters, S., 140, 142*
Wechtlin, Hans, 94
Weyden, Rogier van der,
110, 111*, 112, 176
Wilhelm, Meister, 74*, 75
Wirsching 184
Wohlgemuth, Michael, 89
Wurmser, Nikolaus, 73
Wynrich, Hermann, 74
Zimmermann 138
Zurbaran, 127
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EIM LEITENDES.
„Selber die Kirche, die göttliche, stellt nicht
Schöneres dar auf dem himmlischen Thron,
Höheres bildet selber die Kunst nicht, die
göttlichgebor'ne,
Als die Mutter mit ihrem Sohn." (Schiller.)
[er Dichter hat nicht übertrieben. Wären Raffaels Sixtinische Ma-
donna, Michelangelos Darstellungen der schmerzhaften Mutter
in Rom und Florenz, Tizians Madonna von Pesaro, Dürers
Rosenkranzbild, Holbeins Madonna des Bürgermeisters Meyer, Murillos
Verherrlichungen der unbefleckten Empfängnis Maria nicht geschaffen
worden — welch ein Verlust bedeutete das für die bildende Kunst! Und
was für diese berühmtesten Werke bekanntester Meister Gültigkeit hat,
gilt ebenso für Hunderte von anderen Werken dieser und anderer Meister.
Ihr genialstes Können, ihr begeistertstes Wollen haben die größten Künstler
zum Ruhme der Gottesmutter verwandt. Gleich einer musikalischen
Symphonie, die mit anspruchsloser schlichter Melodie beginnt, dann aber,
in ihrem Gehalte gleichsam stetig wachsend, in quellenden Akkorden, in
effektvoller Instrumentierung zu vollendeter, erschütternder Harmonie her-
anreift, hat sich das Marienbild aus schlichten rohen ja unschönen An-
fängen im Laufe der Jahrhunderte zu künstlerischer Vollendung und an
das Unüberbietbare grenzender Vollkommenheit emporgearbeitet. Alle
Zeiten seit ihrem Dasein, alle gebildeten Völker haben in der bildenden
Kunst Mariens gedacht, wenn auch nicht alle mit gleichem Erfolge, nicht
alle mit gleicher Kraft.
Rothes, Madonna.
rM'?' 'M'f i'M'f 1'ri'rrM'M'M'M'rl
ft. DAS EIGENTLICHE MARIENBILD.
Maria in den Katakomben.
Im die allerfrühesten bildnerischen Darstellungen der Gottesmutter
zu suchen, müssen wir in die dunkeln, unterirdischen Gänge
und Grabkammern der römischen Katakomben hinabsteigen.
Hier, in den Tiefen der Erde, wo sich die ersten Christen, verfolgt
von den heidnischen Obrigkeiten, verbannt von dem Lichte der Sonne,
verbergen mußten, wenn sie ihre Gottesdienste feiern, ihre Angehörigen
christlich begraben wollten, hier, wo christliche Liebe, christliche
Selbstaufopferung am frühesten heldenmütig sich betätigte, hier findet
auch die Verehrung Mariens ihren ersten künstlerischen und symbolischen
Ausdruck.
In dem ältesten Teil der Priscilla- Katakomben, der noch in die
apostolische Zeit gehört, sieht man über der Wölbung eines Grabes Maria
sitzend dargestellt. Ihr zugewandt sitzt auf ihrem Schöße das göttliche
Kind, das sie soeben nährte und das nun, sehr befriedigt, sein Köpfchen
nach dem Beschauer umdreht. Entgegen der Ansicht Liells, die Wilpert
teilt, bleibt des de Rossi Feststellung richtig, daß es sich hier um ein
Stillungsbild handelt. Zwar ist es ungenau ausgedrückt, wenn de Rossi
behauptet, daß Maria dem Kinde die Brust gerade darreicht, aber keinen
Zweifel läßt die Haltung des Säuglings an der Mutter Brust, besonders
des rechten Aermchens und Händchens, daß die Nährung gerade statt-
gefunden hat. Vor Maria steht ein Mann mit einer Rolle, bartlos, mit dem
Pallium bekleidet, und mit Sandalen angetan. Wie nun ein Stern über
dem Haupte der heiligen Jungfrau andeutet, haben wir in diesem Manne
den Propheten Isaias zu erkennen, der die Geburt des Sohnes Gottes,
des Sternes aus dem Hause Jakobs (4. Moses, 24, 17) geweissagt hat.
* 4 *
„Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und seinen
Namen wird man Emanuel, Gott mit uns, nennen." Insbesondere ver-
herrlicht Isaias dann das Licht, das bei der Geburt des Emanuel über
Jerusalem aufgehe, und in dem die Könige wandeln werden.
Das Bild ist be-
reits in der ersten
Hälfte des II. Jahr-
hunderts gemalt
worden. Frische
Natürlichkeit, ja
selbst Anmut in
Gesichtsausdruck
und Formen der
Madonna bewei-
sen die erfreuliche,
naive Schaffenslust
desmalendenNeu-
bekehrten. Dieses
früheste Marien-
bild der Katakom-
ben unterscheidet
sich von allen
späteren, die mehr
in Maria eine der
Erde entrückte kör-
perlose, himm-
lischhohe Wesen-
heit betont wissen
möchten, ganz auf-
fallend. Bruch-
stücke einer ande-
ren Muttergottes-
darstellung mit
Abbildung 2. Aeltestes Muttergottesbild aus dem Anfang
des II. Jahrhunderts. In der Katakombe der hl. Priscilla.
(Siehe Seite 3.)
Isaias aus der zweiten Hälfte des III. Jahrhunderts entdeckte Wilpert im
April 1902 in dem Schutte eines Arkosols der Domitillakatakomben.
Ein großer Teil der Katakombengemälde zeigt uns Maria auf einem
Lehnstuhl sitzend mit dem Kinde auf dem Schöße. Die Gottesmutter mit
der Tunika oder der breitärmeligen Dalmatika bekleidet, hält dann gewöhn-
lich einen Arm vor, breitet — wie in gleicher Weise auch das Kind —
eine Hand aus, als warte sie darauf, die Gaben, die Gebete der Gläubigen
* 5 *
in Empfang zu nehmen. Zwei bis drei Personen sind der thronenden
Madonna in der Regel beigesellt, die ihr Gaben darreichen. Man ist trotz
der orientalischen Tracht der Spender durchaus nicht gezwungen, in diesen
Personen immer — meistens dürfte es der Fall sein — Anspielungen auf
die Weisen aus dem Morgenlande zu finden. Mitunter mag es sich um
die symbolische Darstellung der Maria huldigenden Christen handeln.
— ■ ■ "" • —
Abbildung 3. Wandbild der Katakomben des hl. Petrus und Marcellinus.
S. 5 aus Venturi-Schreiber, Die Madonna. Leipzig, J. J. Weber.
(Siehe Seite 5.)
Zehn derartige Darstellungen sind noch vorhanden. 1. Trennungsbogen
der cappella greca in der Katakombe der heiligen Priscilla aus dem Anfang
des II. Jahrhunderts. Auf diesem frühesten Bilde allein sitzt die Jungfrau
auf einem Stuhl ohne Rücklehne und tragen die Gabenspender ihre Ge-
schenke in bloßen Händen. In den übrigen Darstellungen hat der Sessel
immer eine hohe abgerundete Rücklehne und werden die Geschenke auf
flachen Schüsseln angeboten. 2. Lünette des Arkosols der Marienkrypta
in Santi Pietro e Marcellino. 3. Decke der Kammer 54 in der gleichen
* 6 *
Katakombe. 4. Eingangswand der Kammer 14, ebenda; die drei letzt-
genannten Darstellungen stammen aus dem III. Jahrhundert, die zwei letzten
zeigen nur zwei Gabenspender. 5. Ueber einem Grabe in der Domitilla-
Katakombe malte der Künstler dagegen vier solche, je zwei zu Seiten der
Madonna. Erste Hälfte des IV. Jahrhunderts. 6. Bogen des Arkosols der
Madonna in San Callisto. Erste Hälfte des IV. Jahrhunderts. 7. Grab einer
Frau in der Nähe der Basilika der hh. Petrus und Marcellinus. Hier
huldigen fünf männliche und drei weibliche Gestalten der Madonna.
8. Grabstätte in der Katakombe unter der Vigna Massimo. 9. Front des
Arkosols 15 in der Annonaregion der Domitilla- Katakombe. Maria ist hier
auffallend ältlich gegeben. Um den Hals trägt sie eine Perlenschnur. Die
erste ihr dargebotene Schüssel ist mit Goldstücken belegt. 10. Linke Wand
der Krypta der Magier in der gleichen Katakombe. Die vier letzten Dar-
stellungen stammen ebenfalls aus dem IV. Jahrhundert. — Genannt seien
dann noch in diesem Zusammenhange die drei Muttergottesdarstellungen
mit den drei Magiern und dem Stern im Coemeterium majus aus der
zweiten Hälfte des IV. Jahrhunderts.
Die Prophetie des Michäas: „Und du, Bethlehem, bist keineswegs die
geringste unter den Fürstenstädten Judas, denn aus dir wird hervorgehen
der Fürst, der mein Volk Israel regieren soll," in Verbindung mit einer
Muttergottesdarstellung findet sich auf einem Fresko des Cubiculum IV.
in Santa Domitilla. Der bärtige Prophet in hohenpriesterlicher Gewandung
zeigt auf die durch zwei turmartige Bauten repräsentierte Stadt Bethlehem,
vor welcher Maria mit dem Jesuskinde auf dem Schöße sitzt. Das eigen-
artige Gemälde stammt aus der zweiten Hälfte des IV. Jahrhunderts. —
Ganz originell mutet auch eine Malerei in der Lünette der Hinterwand
der Kammer 5 der Priscilla-Katakombe an, in die auch eine Madonnen-
darstellung hineinverflochten ist, aus der zweiten Hälfte des III. Jahrhunderts.
Veranschaulicht soll uns die Uebergabe eines Schleiers an eine gottge-
weihte Jungfrau werden. Gemeint ist die alte Sitte, von der schon Tertullian,
De velandis virginibus, erzählt. „Während die weltlichen Bräute zu ihrer
Vermählung mit dem Schleier auf dem Kopf erschienen und dann ver-
hüllt ihrem Bräutigam übergeben wurden, empfingen die Bräute Christi den
Schleier bei der Zeremonie ihrer mystischen Vermählung selbst." Auf
unserem Gemälde spricht der auf einer Kathedra thronende bärtige Bischof
zu der neben ihm stehenden, noch unverschleierten weiblichen Gestalt,
welche die offene Schriftrolle mit der Formel des Gelübdes in Händen
hält. Hinter ihr steht ein ministrierender Diakon mit dem Schleier im
Arm. Der Bischof weist nun mit Hand und Blick nach der Seite hin, wo
wir Maria mit dem göttlichen Kinde auf dem Schöße gewahren; so stellt
* 7 *
er der einzukleidenden Jungfrau die Allerreinste als Vorbild hin; denn
„Maria ist ein Spiegel der Jungfrauschaft, das Leben der einen ist eine
Schule für alle". (Ambrosius, de virginibus, 2, 2 Migne, 208 ff.)
Ein Typus der Mariendarstellung, der besonders in den letzten Jahr-
hunderten der Christenverfolgungen in den Katakomben beliebt wird,
gibt Maria als virgo orans, als Fürbitterin, mit ausgebreiteten Armen
betend, meist in halber Gestalt und ohne das Jesuskind. Derartig ist
Maria wiedergegeben z. B. auf sieben Goldgläsern (die z. Zt. in verschie-
denen Sammlungen altchristlicher Kunst zerstreut sind) mit beigefügtem
Namenszug: „Maria", teils allein, teils in Gesellschaft von Heiligen, und
zwar meist von Petrus und Paulus. Auf einem Grabstein in den Kallistus-
Katakomben sowie auf einem Deckengemälde in jenen der heiligen Agnes
steht die virgo orans zwischen zwei Lämmern als Fürbitterin des christ-
lichen Volkes, das die Lämmer symbolisieren. Diese Symbolik des der
Fürbitte bedürftigen christlichen Volkes findet sich noch wiederholt, so auf
Grabsteinen mit Darstellungen des besonderen Gerichtes. Unter solchen
Tierbildern verstanden sich die Hinterbliebenen, die als Orans gegebene
gläubig Dahingeschiedene so gleichsam bittend sich ihrer am Throne
Christi zu erinnern. In diesem Sinne zeigt z. B. ein Graffito in der In-
schriftengalerie des Lateranensischen Museums eine verschleierte Orans
zwischen zwei Schafen und rechts von ihr den Heiland als Richter auf
der Kathedra. Doch wohl mehr als hundert Jahre später, etwa aus dem
Ende des V. Jahrhunderts, stammt das die Maria orans gebende
Graffito aus Berre in der Krypta des heiligen Maximin bei Tarascon.
Das gleichartige Fresko in der Katakombe von Albano aus dem IX.
Jahrhundert beweist, wie lange die Darstellung der mit ausgebreiteten
Armen Fürbitte einlegenden heiligen Jungfrau volkstümlich blieb. In diesen
Kreis gehört schließlich auch das aus dem IV. Jahrhundert her-
rührende Madonnenfresko im Ostrianum der Agnes-Katakomben. Vor der
in feierlicher Haltung betenden, in halber Gestalt gegebenen Gottesmutter
sehen wir diesmal ausnahmsweise auch noch Köpfchen, Hals und Schulter
des Christusknaben. Gerade der Umstand, daß wir in dem Knaben sicher
das Jesuskind zu erkennen haben, beweist, daß die das Kind haltende Frau
die Mutter Gottes und nicht eine beliebige Verstorbene ist. Es handelt
sich nämlich hier um eines der zehn Gräber, die mit dem Brustbild Christi
geschmückt sind. Alle stammen wie unsere Malerei aus dem IV. Jahr-
hundert und in den anderen neun Fällen— also auch in diesem zehnten —
existiert außer der Büste Christi wenigstens noch ein anderes Bild an der
betreffenden Grabstätte, welches den Heiland irgendwie zum Gegenstande
hat. Außerdem weist übrigens noch das Monogramm Christi, das
beigegeben ist, auf das göttliche Kind und damit auch auf seine himmlische
Mutter hin. Dieser Madonnenkopf ist der am sorgfältigsten ausgeführte,
am feinsten modellierte und am besten erhaltene, der sich überhaupt in
den Katakomben findet. Dank Wilperts sorgfältigen Waschungen sind
Konturen und Farben wieder ganz deutlich geworden. Maria trägt
prächtige Gewandung, dunkelgelbe Dalmatika, an den Aermeln wie an
der Brust mit breiten Streifen von sattem Purpur verziert, und fein ge-
webten Schleier. Um den Hals hat sie ein aus Perlen und Edelstein
bestehendes Halsband. In ihren Ohren glänzen zwei funkelnde Perlen.
Beide Auffassungen, jene, die Maria im Lehnstuhl sitzend, Gaben
entgegennehmend, zeigt und jene der virgo orans gehen auf antike
Vorbilder zurück. Für letztere sei auf die bekannte altgriechische Bronze-
statue des mit ausgebreiteten Armen betenden Knaben der Antiken Sammlung
des Berliner Museums verwiesen; für erstere sei an die Grabstelle der
Hegeso auf der Gräberstraße zu Athen erinnert: Auf dem Lehnstuhl sitzt
Hegeso, die vornehme Frau, und nimmt von der vor ihr stehenden Unter-
gebenen eine Gabe entgegen.
In dem zuletzt erwähnten Fresko der Agnes-Katakomben und in
einem anderen der Valentinus- Katakomben aus dem VII. Jahrhundert
weisen der Umstand, daß Maria gleichsam als Brustbild gegeben ist, die
en face-Stellung des Kindes vor der Mutter, erhöhtes Bestreben: körperlos,
ja wesenlos zu erscheinen, vor allem die aus dem Orient nach Rom ver-
pflanzte Liebe zur Pracht, zu prunkender Kleidung, bereits auf die Art der
frühesten Marienbilder, die über der Erde entstanden sind, hin.
Byzantinische Kunst.
)er heilige Evangelist Lukas, so erzählt die Legende, habe das
Malerhandwerk betrieben, und von seiner Hand sei die heilige
Jungfrau zum erstenmal gemalt worden. Obwohl nun einmal
in früher Zeit Väter einer orientalischen Synode dazu neigten,
in Jerusalem damals aufbewahrte, angebliche Sankt Lukasbilder für
Acheropoieta, das heißt: für authentische Porträts Mariens zu halten, so
wollen wir doch lieber den Versicherungen der heiligen Bischöfe und
Kirchenlehrer Ambrosius und Augustinus glauben, daß das glaubwürdige
Bildnis der Gottesmutter nicht erhalten sei. Diese sog. Sankt- Lukas-
Madonnen gehen vielmehr auf den der klassisch -antiken Kunst ent-
nommenen Junonischen Typus zurück. Behandlung von Augen, Nase und
Kinn ist hierfür besonders charakteristisch. Als älteste Marienbilder des
heiligen Lukas, die geschichtlich erwähnt werden, galten die Hodegetria,
9 *
die im Kloster der Hodegen verehrt wurde und im IV. Jahrhundert auf
dem Wege der Schenkung in den Besitz der Kaiserin Pulcheria kam, dann
die Nikopeia, der die Römer ihren Sieg über die Avaren und über Phokas
verdanken zu müssen glaubten, und die später im Kaiserpalast der Blachernen
einen Ehrenplatz erhielt.
Dem heiligen Lukas zugeschriebene, jedenfalls uralte Madonnen-
bilder finden sich heute noch; es sei nur erinnert an jenes in der Capeila
Borghese in Santa Maria Mag-
giore zu Rom und an ein an-
deres hochverehrtes im Kloster
von Montserrat in Spanien.
Im Anschluß an die aus der
Antike geborenen Sankt Lukas-
Bilder entstand nun für den
Marien typ us in der by-
zantinischen Kunst folgen-
der Kanon : großer, fast un-
förmiger Kopf, große, meist
längliche, geschlitzte Augen,
lange, schmale Nase, kleiner
Mund mit zusammengepreßten,
oft wulstigen Lippen, hervor-
stehendes, spitzes Kinn. Die
Gewandung ist breit, bauschig,
mit groben Falten, läßt nur Ge-
sicht und die langfingerigen,
unrichtig gegliederten Hände
frei. Maria sitzt entweder auf
breitem Throne und hält das
meist in unschöner, hockender
Stellung mitten auf ihrem
Schöße befindliche Jesuskind,
das mit dem rechten Händchen segnet, oder Maria ist — allerdings weit
seltener — stehend, allehvmit ausgebreiteten Armen betend, gegeben. Der
Gesichtsausdruck ist vorderhand leer, der Blick leblos, der Gesamtein-
druck idolenhaft.
Dieses so geformte sogenannte byzantinische Marienbild war nicht
nur für den Osten eigentlich für alle Zeiten maßgebend, sondern blieb
auch für die Kunst des Abendlandes bis in das XIII. Jahrhundert hinein
typisch.
Abbildung 4. Gnadenbild Maria Schnee in Rom,
nach frommer Ueberlieferung vom hl. Lukas gemalt.
(Siehe Seite S.)
10
Als das Konzil zu Ephesus (431 n. Chr.) die Irrlehre des Nestorius
verdammt hatte und Maria feierlich ex cathedra zur Gottesgebärerin er-
klärt worden war, wünschte Papst Sixtus III., daß in bildnerischen Dar-
Abbild. 5. Mosaik des 9. Jahrhunderts. Santa Maria in Dominica oder della Navicella in Rom.
S. 8 aus Venturi-Schreiber, Die Madonna. Leipzig, J.J.Weber.
(Siehe Seite 11.)
Stellungen der im Konzil zu Ephesus definierte Glaubenssatz künstlerischen
Ausdruck fände. Als früheste Frucht dieser päpstlichen Bemühungen
darf das noch aus der ersten Hälfte des V. Jahrhunderts stammende
* 11 *
Mosaik am Triumphbogen von Santa Maria Maggiore in Rom
gelten. Ein kostbares gesticktes Kleid schmückt hier die zu höchster
Würde Erkorene. Ein Edelstein-Diadem ziert ihr Haupt. Edelsteine funkeln
auf ihrer Stirn und in ihren Ohren. Zwei Perlenbänder erglänzen am
Halse. Scharen huldigender Engel grüßen ihre Königin.
Das Modell war nun vorhanden, das durch königliche Insignien,
Glanz, Farbenpracht die hohe Würde der Gottesmutter kennzeichnete.
Und in der byzantinischen Kunst wurden die hier zur Verwendung ge-
brachten Motive gern wiederholt.
Es erübrigt nun, die hauptsächlichsten der primitiven Kunst an-
gehörigen Mariendarstellungen zu nennen. Erwähnt seien die Mosaik-
darstellung der heiligen Jungfrau mit dem Kinde aus dem VI. Jahrhundert
in der Basilika San Appollinare Nuovo zu Ravenna, die beiden betenden
Madonnen aus dem Oratorio di San Vincenzo bei der Taufkirche des
Laterans in Rom aus dem VI. und in der Kirche San Marco zu Florenz
aus dem VIII. Jahrhundert. In dem zeitlich kaum späteren Mosaik in
der Apsis der Kathedrale von Parenzo ist die Madonna zum erstenmal
außer von Engeln auch von Heiligen umgeben. Wie eine durch Edel-
steine, durch Gemmen und Perlenschmuck gleichsam erdrückte Mumie
war die auf Veranlassung Johanns VII. zur Verpönung der Bilder-
stürmer für den päpstlichen Palast angefertigte Madonna anzusehen, zu
deren Füßen die miniaturenhafte Figur des Papstes kniend angebracht
war. In dem Mosaik der Apsis von Santa Maria Navicella zu Rom huldigt
ebenso Papst Paschalis I. der von zahlreichen Engeln umgebenen Mutter
Gottes (s. Bild). Zeugnisse des rasch vorwärts schreitenden Verfalls der Mosaik-
kunst sind dann die Madonnen in Santa Francesca Romana zu Rom, in
der Apsis des Doms auf der Insel Torcello, in der Kirche der Martorana
in Palermo aus dem XII. und in San Marco zu Venedig aus dem XIII.
Jahrhundert. Doch nicht nur in Mosaik wurde die also versteinerte, leb-
lose byzantinische Madonna damals dargestellt. Ein Bild in der Dom-
opera zu Siena, ein Relief aus der Sammlung Stroganoff in Rom wären
z. B. sehr charakteristische Beispiele für Malerei und Plastik.
Sienesische Meister.
er hauchte nun zuerst dem starren, leblosen Idol Seele und
Empfindung ein? Welcher Künstler schuf die neue Epoche
in der Geschichte des Marienbildes? Dieses Verdienst muß
einem sienesischen Maler zuerkannt werden, dem Guido
da Siena, der im XIII. Jahrhundert lebte. Dieses Meisters für San
Domenico in Siena gearbeitete, jetzt im Rathause daselbst befindliche
12 *
Abbildung 6. Guido da Siena, Madonna.
Siena, Palazzo Comunale.
(Siehe Seite 11.)
* 13 *
große Madonna ist sicherlich die überhaupt früheste Mariendarstellung,
in welcher mit voller Absichtlichkeit inneres Leben, Empfindung zum
Ausdruck zu bringen versucht wurde. Wie weit dem Künstler sein
Bestreben, innerlich belebte Gesichtszüge zu schaffen, wirklich gelang,
ist infolge der späteren Uebermalung des Bildes durch Duccio nicht
mehr mit völliger Sicherheit festzustellen. Daß aber Guido dieses
Bestreben hatte, ist schon erkenntlich aus der leichten, aber entschiedenen
Neigung des Kopfes nach links anstatt der herkömmlichen en face-Stellung.
Auch das Gesichtchen des Jesuskindes auf der Mutter Schoß blickt nicht
mehr starr auf den Beschauer. Das Köpfchen ist vielmehr der Mutter
zugewandt. Und gerade dieser von Guido zum erstenmal geschaffene
Kontakt zwischen Mutter und Kind bedeutete für die Gestaltung des Ma-
rienbildes ein neues, belebendes, hochwichtiges Moment. Anstatt der auf
byzantinischen Bildern üblichen, steif zu Häupten Mariens stehenden zwei
Engel malte der Sienese sechs durch Körperhaltung und Gestikulation
lebhafte Verehrung bezeugende. An Stelle des Starren und Toten tritt
überall Wärme und Leben. Und so bedeutet des Guido von Siena
Madonna von San Domenico eine schöpferische Tat. Das Bild ist laut
Inschrift 1221 entstanden. Alle Versuche, die an der Authentizität dieses
Datums Zweifel setzen wollten, erwiesen sich als willkürliche Zweifel-
sucht und sind mit völligem Recht zurückgewiesen worden. Und so
gilt es als völlig ausgeschlossen, daß irgend ein anderes Marienbild,
das eine Spur innerer Belebung zeigt, vor diesem Werke geschaffen
worden wäre. (Vergl. Walter Rothes, Die Blütezeit der Sienesischen
Malerei und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Italienischen
Kunst, ein Beitrag zur Geschichte der Sienesischen Malerschule. Heitz,
Straßburg 1904. S. 33 ff.)
Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Anfänge der Re-
naissance-Kunst in Italien nicht nur zeitlich zusammenfallen, sondern auch
untrennbar verbunden sind mit dem kulturgeschichtlich epochemachenden
Wirken des großen heiligen Franziskus von Assisi. Die Liebe zur Natur
und poetische Begeisterung für dieselbe, die den Seraph von Assisi ent-
flammten man denke an den Sonnenhymnus — , die Rückkehr zur
Natürlichkeit und warmer Nächstenliebe, die sein Orden predigte, mußte
auch die in byzantinischer Verknöcherung, ja im Absterben begriffene bil-
dende Kunst neu und warm beleben.
In der Zeit der höchsten franziskanischen Begeisterung ist unseres
Sienesen für die Geschichte des Marienbildes epochemachendes Werk
entstanden. Wie in Florenz des Cimabue und des genialen Giotto Ge-
mälde gleichsam Früchte der vom heiligen Franz angefachten Bewegung
* 14 *
sind, so sind es in Siena die des Guido, dann des Duccio und des Simone
Martini. Guido aber war der früheste von diesen Meistern; seine Madonna
von San Domenico das erste Werk der neuen Kunst.
Abbildung 7. Duccio di Buoninsegna, Madonna Ruccellai.
Florenz Santa Maria Novella.
(Siehe Seite 15.)
Ohne dem Ruhm, der Kunst von Florenz, Cimabues und besonders
Giottos Eintrag tun zu wollen, muß doch betont werden: das Verdienst,
das Madonnenbild aus dem Zustande byzantinischer Erstarrung erweckt und
* 15 *
zuerst künstlerisch gehoben zu haben, gebührt Siena und nicht Florenz.
Diese Tatsache ist um so weniger anzugreifen, als es jetzt zweifellos fest-
steht, daß die als angeblich Cimabues bekanntestes Werk berühmt ge-
Abbildung 8.
Duccio di Buoninsegna, Thronende Madonna der Domopera zu Siena.
(Siehe Seite 16.)
wesene sog. Madonna Ruccellai in Santa Maria Novella zu Florenz nicht
von diesem Maler, sondern von dem Sienesen Duccio (1260-1318) herrührt.
Typus und Gesichtsmodellierung Mariens sowie der sechs umgebenden
knienden betenden Engel in diesem Bilde sind ganz entschieden siene-
sisch und auch speziell ducciesk. Das Ruccellai-Bild erscheint wie eine
* 16 *
Vorarbeit zu jenem großen vortrefflichen Werke Duccios, das für den
Hochaltar des Domes zu Siena bestimmt war und sich jetzt in der Dom-
opera daselbst befindet. Diese am 9. Juni 1310 unter Glockengeläute und
Abbildung 9.
Simone Martini, Madonna. Siena, Stadthaus.
(Siehe Seite 17.)
Posaunenschall feierlich zur Kathedrale geleitete Maiestas Beatae Mariae
Virginis blieb das vollgültige, prächtige Modell für alle italienischen
thronenden Madonnen auf Jahrhunderte hinaus. Sanft und ernst gestimmte
Heilige, reizvolle Engel, von welchen vier, wie traumverloren, über die
Lehne des Thrones der Jungfrau herniederschauen, umgeben huldigend
Abb. 10. Carlo Dolci, Madonna mit Kind.
München, alte Pinakothek.
( Siehe Seite 65. i
* 17 *
des Himmels Königin. Vor allem hat Duccios Genius erreicht, was Guidos
hohes künstlerisches Verständnis erstrebt hatte. Mit diesem Bilde hat
Duccio Seele und Schönheit in die italienische Kunst eingeführt.
Das fünfteilige Altarbild, das in der Akademie zu Siena die Madonna
mit dem Kinde zwischen den Heiligen Augustinus und Paulus, Petrus
und Dominikus zeigt, darf ebenfalls als Originalarbeit dieses Meisters
gelten.
Duccios Maiestas war Vorbild für eine solche, mit der Simone
Martini (1283—1344) im Jahre 1315 die Sala del consiglio im Stadthause zu
Siena schmückte. In der vordersten Reihe knien wieder, wie bei Duccio,
rechts und links vom Throne die vier Stadtpatrone, Ansanus und Savinus,
Creszenzius und Viktor. Engel und Heilige, von welch letzteren acht die
Tragstäbe des Baldachins halten, unter welchem die der Madonna huldi-
gende Versammlung weilt, umstehen ferner in großer Zahl Maria, der
Siena seit 1260 in besonderer Weise geweiht war und die als Advocata
Senensium hoch verehrt wurde. Sinnig wirken die beiden Engel, die am
Fuße des Thrones knien und mit dem Ausdrucke tiefster Ehrerbietung
der heiligen Jungfrau gefüllte Blumenkörbe mit emporgehobenen Armen
entgegenhalten. Blumenkränze, meist aus Rosen und Lilien geflochten,
schmücken der Engel Lockenhaar. Die Sienesen liebten Blumenpracht.
Und so ließ es sich auch Simone Martini in seiner phantasievoll-poetischen
Art nicht nehmen, der Blumen leuchtende, bunte Menge zur festlichen
Gestaltung des Maria verherrlichenden Zeremonienbildes recht reichlich
zu verwenden.
Wie hat Simone Marias Antlitz verklärt! Eine Welt von Empfin-
dungen lebt in diesen Augen. Kaum werden wir uns darüber klar,
was sie alles uns zu sagen haben. Ein Schwärmerisches, ja Unergründ-
liches hält unseren Blick gebannt. Ihre Gedanken sind offenbar umfassen-
der, beschäftigen sich nicht mit dem göttlichen Kinde allein, das auf ihrem
Knie steht, in priesterlichem Gewände, übrigens mit wohltuend frischem
Gesichtchen, den rituellen Gestus des Segnens vollzieht. Wie andere
Madonnenbilder des Meisters bezeugen — z. B. Nr. 13 und 26 im Museo
civico zu Pisa (s. Bild) — , ist Simone Martini aber auch derjenige Künstler,
dem das hohe Lied von der Mutterliebe wie vielleicht kaum einem zweiten
erklungen ist. Mit einem rührenden Kinderlächeln auf den Lippen hat
diesmal Klein-Jesus der Mutter Schleier ergriffen und guckt ihr herziglieb
in die Augen. Und dieser Blick wird von Maria mit einer Innigkeit und
Wärme erwidert, wie ihn nur die treueste Mutter ihrem höchsten Kleinod
spenden kann. Man muß bedenken, daß Simone Martini im XIV. Jahr-
hundert im Trecento bereits gewirkt hat. Trotzdem zählen seine Marien-
Rothes, Madonna. 2
* li
bilder zu den schönsten Kunstwerken, welche die Verehrung der Gottes-
mutter jemals gezeitigt hat.
Ein anderer Sienese, ein Zeitgenosse des Simone, war wohl nach
diesem der hervorragendste Madonnenmaler des Jahrhunderts, Ambruogio
Lorenzetti (ca. 1315
bis 1348). Auch in
dieses Meisters Bildern
wird die Mutterliebe
gefeiert. In seiner Ma-
donna del latte in San
Francesco zu Siena
greift Ambruogio zu
dem das intimste Ver-
hältniszwischen Mutter
und Kind bezeugenden
Motiv zurück, das
schon jener Maler in
den Priscilla- Kata-
komben anwandte: er
zeigt Maria, wie sie ihr
Kind nährt. Auf einem
mehrteiligen Altarwerk
Ambruogios in der
Galerie zu Siena steht
- in halber Gestalt —
dieMadonna mit ihrem
Knaben zwischen Ma-
ria Magdalena , der
heiligen Elisabeth von
Thüringen und den bei-
den Johannes. Mutter
und Söhnchen halten
sich fest umschlungen.
Zärtlich preßt sich
Wange an Wange. In
anderen Bildern betonte unser Meister mehr als das familiäre Moment
die hohe Würde der Königin des Himmels. Auf einer weiteren Tafel der
Akademie huldigen der thronenden Madonna kniend die vier Stadtpatrone
von Siena. Sankt Katharina und Sankt Elisabeth stehen ihr zur Seite. Je
drei Engel rechts und links schließen sich an.
Origioal-Aufoahme.
Abbildung 11. Simone Martini, Madonna.
Pisa, Museo civico.
(Siehe Seite 17.)
* 19 *
In Gegensatz zu der von Simone Martini und Ambruogio Lorenzetti
beliebten, für sienesische Art so charakteristischen weichen und vollen Ge-
sichtsmodellierung ver-
rät der Marientypus,
wie ihn Ambruogios
älterer Bruder, Pietro
Lorenzetti, (um 1309
— 1348) geschaffen hat,
herbe, ja strenge Züge.
Im übrigen sind auch
die Madonnendarstel-
lungen Pietros einzu-
teilen in solche, welche
die Mutterliebe und
in solche, welche die
Königin des Himmels
in erster Linie verherr-
lichen. Zu ersteren
zählen die Altartafeln
in der Akademie zu
Siena aus San Ansano
und Santa Maria della
scala sowie jene in den
Uffizien zu Florenz, zu
letzteren die in der
Pieve zu Arezzo.
Die Namen Martini
und Lorenzetti be-
deuten den Höhepunkt
nicht nur für diesiene-
sischen Mariendarstel-
lungen überhaupt, son-
dern auch den — man
darf es kühn aus-
sprechen— für die ge-
samteinternationale Trecento-Kunst. Dem zartbesaiteten, weich empfindsamen
sienesischen Volksstamm war es vorbehalten, durch die Genialität eines Guido,
eines Duccio, eines Martini und der Lorenzetti den Samen gleichsam zu legen
zu dem mächtigen, mit seinen Zweigen alle Länder beschattenden Baume,
der für die bildende Kunst später allüberall die herrlichsten Blüten der
1 Photogr. Alioari.
Abbildung 12. Ambr. Lorenzetti, Madonna del latte.
Siena, Kirche S. Francesco.
(Siehe Seite 18.1
* 20 *
Marienminne getrieben hat. Die sienesische Mal er schule genoß
damals speziell für die Anfertigung von Marienbildern einen Weltruf. Und
ihre sienesische Eigentümlichkeit überall hin verbreitende Tätigkeit erstreckte
sich bis in die fernsten Länder. Simone Martini arbeitete selbst zu Avig-
non in Frankreich in der Residenz der Päpste. In deutschem Land
berief Karl IV. für die Kapellen der Burg Karlstein in Böhmen sienesische
Künstler, Martini -Schüler. Sienesische Maler waren am Hofe Juans I.
und Juans II. in Spanien beschäftigt. Es besteht gar kein Zweifel, daß, be-
sonders was die Gestaltung des Marienbildes angeht, sienesische Einflüsse
weit stärker und verbreiteter sind als florentinische. Das gilt nicht nur
für das Ausland, sondern auch für Italien selbst. Für San Gimignano
z. B. steht es urkundlich fest, daß bis in die letzten Jahrzehnte des Tre-
cento hinein ausschließlich sienesische Maler berufen wurden, um bei
ihnen zu lernen, während man die Florentiner absichtlich vernachlässigte.
Aehnliches wäre von anderen Städten zu berichten. Die Madonna des
Margeritone von Arezzo in der Pinakothek zu Arezzo erscheint völlig ab-
hängig von jener Guidos; die einem Cavallini zugeschriebene in Assisi,
die Mutter und Kind in so innigem, seelischem Verein zeigt, gänzlich von
jenen des Simone Martini. Des Fra Barnaba von Modena Madonnen
verleugnen keinen Augenblick den sienesischen Einfluß. Man denke nur
an dieses Künstlers Marienbilder im Museo civico zu Pisa und im Städel-
schen Institut zu Frankfurt am Main.
Anfänge der Florentiner Kunstentfaltung.
Jie altflorentinischen Marienbilder haben sicherlich auch
zur Kunst eines Guido, später eines Duccio von Siena in Be-
ziehung gestanden. CoppusMarcoaldus aus Florenz arbeitete
in Siena. Seine Madonna aus dem Jahre 1261 in der dortigen
Servitenkirche beweist, daß er es noch nötig hatte, von Guido zu lernen.
Auch Cimabue (ca. 1240^1302) und Giotto (1266 — 1336) standen,
wenn auch vielleicht unbewußt, wenigstens was die innere Belebung der
Darstellung von Mutter und Kind anbetrifft, unter dem Einfluß Guidos.
Noch steif und seelenlos wirken die frühesten Madonnen von Cimabue
in der Akademie zu Florenz und in Santa Chiara zu Assisi, schon inner-
lich belebter die aus San Francesco in Pisa stammende, im Louvre zu
Paris und die aus Santa Croce in Florenz herrührende in der National-
galerie zu London. Am höchsten aber steht die ebenfalls diesem Meister
zugeschriebene thronende Madonna mit dem heiligen Franziskus in der
* 21 *
Unterkirche von San Francesco zu Assisi. Wie in diesem Fresko das
Kind sich zur Mutter wendet, sowie Typik und Haltung der den Thron
umgebenden Engel weisen unbestreitbar auf sienesische Vorbildung hin.
Photogr. Alinati.
Abbildung 13.
Cimabue, Die Madonna mit dem Kinde und Engeln. Assisi, Unterkirche.
(Siehe Seite 20.)
Auch in den Madonnen von Giotto erkennt man, gemäß der zeitlichen
Entstehung, wachsend innere Lebendigkeit. In feierlicher Majestät trägt \
Maria in dem Giotto benannten Bilde in der Akademie zu Florenz den
segnenden Knaben. Die Heiligen, die sich um den Thron gruppieren,
besonders die beiden Engel, die vorn mit Blumenvasen knien, erinnern
sofort an Martinis Fresko in Siena. Auf dem Bilde in der Sakristei von
Sankt Peter zu Rom steckt das Kindlein den Finger in den Mund. In
22 *
Photogr. Alioari.
Abbildung 14.
Giotto, Die Jungfrau mit dem Kinde und Engeln. Florenz, Akademie.
(Siehe Seite 21. )
* 23 *
den Gemälden der Akademie zu Bologna und der Brera zu Mailand läßt
Giotto den Knaben lebhaft nach der Mutter Schleier fassen. In der Ober-
kirche zu Assisi schaut der kleine Jesus freudig lächelnd zu Maria empor.
Spezialität ist bei Giottos Madonnen mitunter das weiße, um das Kinn
gebundene Kopftuch.
Es kann nicht geleugnet werden, daß der sonst doch epoche-
machende Giotto in der Geschichte des Bildes der heiligen Mutter mit
dem Kinde nicht die gleiche Stellung einnimmt wie ein Duccio oder
Simone Martini. Für die Ikonographie der Szenen aus dem Marienleben
schuf Giotto dagegen in den Fresken der Arenakapelle zu Padua Hoch-
bedeutendes, nachhaltig Wirkendes.
Auf einem Lorenzetti-Madonnenbilde in der Akademie zu Siena
spielt das Jesuskind zum ersten Male mit einem kleinen Vogel. Dieses
Motiv hat dann dem lange Zeit in der sienesischen Provinz arbeitenden
Giotto-Schüler Taddeo Gaddi (1300 — 1366) außerordentlich gefallen ; er
übernimmt es und bringt es auf seinen, übrigens in keiner Weise einen
Fortschritt darstellenden Marienbildern in San Felicita zu Florenz, San
Giovanni zu Pistoja und San Pietro a Megognano bei Poggibonsi.
Agnolo Gaddi (1333 — 1396) benutzt es in San Spirito und in der
Akademie zu Florenz. In einem anderen Bilde Agnolos ebendaselbst
hält das Jesuskind eine Blume. Daß das Christkind Vögel, Blumen oder
auch Früchte in der Hand hält, sind demnach bereits aus dem Trecento
stammende Erfindungen, die in der späteren Kunst — besonders auch bei
deutschen Meistern — allgemein beliebt werden. Giovanni da Milano
(geb. 1300) gibt, im Anschluß an sienesische Vorbilder, den Knaben fast
unbekleidet, nur mit einem Tuche leicht verhüllt. Auf der Portal-Lünette
von San Niccolo in Prato wiederholt ein Künstler eine bereits von Giotto
gebrachte Nuance: Der kleine Jesus steckt verlegen den Finger in den
Mund.
Verfall der sienesischen Kunst.
)m XV. Jahrhundert, dem Quattrocento, ging die sienesische Kunst
einem sicheren Verfall entgegen. Ein Sano di Pietro mit seiner
quantitativ äußerst fruchtbaren Madonnenmalerei kann hierfür als
trauriger Beweis gelten. Aeußerliche, süßliche Empfindelei ohne
innere Kraft und Wahrheit sind das Merkmal seiner Kunst. Die Galerie von
Siena besitzt an zwanzig Marienbilder von ihm. Das Franziskanerkloster all'
Osservanza bei Siena besitzt in seiner Madonna delle grazie eines seiner
relativ besten Werke. Das Kind, das außerdem mit dem rechten Händchen
* 24 *
einen Apfel festhält, greift mit beiden Armen nach der Mutter Brust. Vier
Engel umstehen den Thron, zwei halten schwebend eine Krone über
Marias Haupt. Madonnen in den Gemeinden Buonconvento und Sinalunga
unweit Siena zählen zu seinen besten Stücken.
Im allgemeinen ist die Qualität der sienesischen Quattrocento-
Madonnen nicht eine derartige, daß sie hier eine besondere Erwähnung
verdienten. Am ehesten kann noch das auf einen wunderbaren Schnee-
fall im Sommer bezügliche Altarwerk des Matteo di Giovanni
(1430—1475) in Santa Maria delle Nevi beanspruchen, hier genannt zu
werden. Die zahlreichen Engel, die den Thron umschwärmen, die teils
Schalen voll frisch gefallenen Schnees halten, teils solche voll sorglich
geformter Schneeballen, teils einen solchen Schneeballen wie wurfbereit
in der Hand haben, sowie die zwei die Thronlehne schmückenden, mit
Schnee gefüllten Vasen geben diesem Bilde der thronenden Madonna ein
eigenartig winterlich-romantisches Gepräge.
Florentiner Maler.
)ie künstlerische Oberherrschaft Italiens besaß im Quattrocento,
fast konkurrenzlos, Florenz. Zum wenigsten hatte sich diese
Stadt im Laufe dieses Jahrhunderts zur unbestrittenen Metropole
für toskanische Kunst emporgearbeitet. Seitdem die im Trecento
so mächtige, in der Gestaltung des Marienbildes damals geradezu führende
Rivalin Siena ohnmächtig darniederlag, konnten die Florentiner Quattrocento-
Künstler getrost ernten, was die sienesische Trecentisten gesäet hatten. In
der Tat! Nicht die mehr oder minder auf sienesische Einflüsse ganz ver-
zichtenden Madonnenbilder eines Masolino oder Masaccio — zweier
Männer, deren Schaffen für die Kunstentwickelung von Florenz im übrigen
von höchster Bedeutung war — in Bremen, München, Pisa, sondern die
bewußt sienesische Kunstelemente mit florentinischen verbindenden
eines Orcagna, eines Lorenzo Monaco, besonders eines Fra Giovanni
Angelico da Fiesole bedeuten einen künstlerischen Fortschritt in der
Geschichte des Marienbildes. Man gedenke der Auffassung der heiligen
Jungfrau von Seiten Lorenzo Monacos und Orcagnas in ihren Werken
in den Uffizien, in Or San Michele und in dem Paradiesesbilde der
Strozzikapelle von Santa Maria Novella.
Man bezeichnet gerne die Bilder des Fra Angelico da Fiesole
(1387—1455) als »gemalte Gebete". Und sicherlich! Seine Marienbilder hat
er gleichsam mit in Devotion getauchtem Pinsel gemalt. So innerlich tief
empfundene, zur Andacht stimmende Madonnendarstellungen konnten nur
25 *
Photogr. Alinari.
Abbildung 15.
Fra Giovanni Angelico da Fiesole, Madonna mit dem Kinde und Engeln.
Perugia, Pinakothek Vaiinucci.
(Siehe Seite 24.)
26
einem treuen Diener Mariens, einem ihrer begeistertsten Verehrer gelingen.
Des Frate früheste Arbeiten aus Cortona und Perugia beweisen völlig
seine Sympathien für die sienesische Trecentokunst. Auf dem Altarbild
von San Domenico zu Cor-
tona steht der Knabe, mit
dem rechten Händchen seg-
nend, auf der Mutter Schoß.
Der kleine Kopf ist dem
zart modellierten Mariens
zugewandt, deren sanfter
Blick voller mütterlicher
Freude auf dem kleinen
Jesus ruht. Vier Engel um-
geben den Thron, einer von
ihnen hält einen Blumen-
korb. Auch das Jesuskind-
chen trägt in der linken
Hand eine Rose. Die beiden
Seiten desTriptychonsbilden
die Heiligen Markus und
Maria Magdalena, Johannes
der Täufer und Matthäus.
Des Dominikanerbruders
zweites Madonnenbild aus
San Domenico zu Perugia,
jetzt in der Pinakothek da-
selbst, ist diesem ersten in
der Auffassung durchaus
ähnlich. Der diesmal fast
unbekleidete, reizvoll lieb-
liche Jesusknabe hält statt
der Rose einen Granatapfel.
Die zwei vorderen der vier
sich eng um den Thron
schließenden Engel tragen
Körbe voller Rosen. Rote und weiße Rosen leuchten aus den drei Vasen,
die zu Füßen der Madonna stehen. Die Heiligen Johannes und Katharina,
Dominikus und Nikolaus leisten diesmal der hl. Jungfrau Gesellschaft.
Im Jahre 1433 malte der mittlerweile in das Kloster nach Fiesole
versetzte Fra Giovanni Angelico das jetzt in den Uffizien zu Florenz
Photogr. Alioari.
Abbildung 16.
Fra Angelico, Madonna der Linajuoli.
Florenz, Uffizien.
(Siehe Seite 27.)
* 27 *
befindliche Altarwerk für die Zunft der Linajuoli. Das Bild trägt mehr
als die vorigen den Stempel überirdischer Feierlichkeit. Maria erscheint
unnahbarer, wesenloser. Das hagere, ältliche göttliche Kind, das in
priesterlicher Kleidung auf dem linken Knie der Mutter steht, segnet
mit der rechten Hand und hält in der linken die Weltkugel. Zu Mariens
Häupten schwebt — als Taube — der Heilige Geist. Den Ruhm dieses
Bildes machen die zwölf musizierenden Engel auf dem Rande der Tafel
aus, die himmlischsten, ätherischsten Engel, die wohl der bildenden Kunst
jemals gelungen sind. Sankt Johannes und Sankt Markus sind auf den
inneren, Sankt Petrus und noch einmal Sankt Markus auf den äußeren
Flächen der Seitenflügel des Altarwerks angebracht.
Die miniaturenhafte Madonna della Stella auf dem Reliquienschrein
des Maso — jetzt in San Marco zu Florenz — dürfte ihre Entstehung
gleichfalls dem Aufenthalt unseres Mönches in San Domenico zu Fiesole
noch verdanken. Die — und das ist in der Malerei ein Ausnahmsfall —
stehend gegebene Madonna trägt ihren Knaben auf dem linken Arm.
Dieser sucht mit beiden Aermchen die Mutter zu umschlingen und
drückt Stirne und Näs'chen fest an der Mutter Wange. Zwei auf Harfen
musizierende Engel sind zu Füßen der Madonna, durch eine Vase voller
Blumen getrennt, gelagert, sechs weitere, ihr zur Seite, verehren sie betend.
Ueber ihrem Haupte schwebt eine Krone. Oberhalb derselben — und
nun kommt des Fra Giovanni symbolische Art zur Geltung — blickt aus
einer von Seraphim gebildeten Mandorla heraus in gereiftem Mannesalter
der Erlöser voller Genugtuung auf Maria herab, wie sie ihn als Kind
auf den Armen trägt.
Bedeutende Darstellungen der von Heiligen umgebenen Madonna
von unserem Frate fallen dann noch in die Zeit seines ersten (1436 — 45)
und zweiten (1450 — 52) Aufenthalts in San Marco zu Florenz. Zu nennen
wären das Hochaltarbild von San Marco, die Madonna von Annalena
und Mugello in der Akademie und das Fresko im oberen Korridor von
San Marco. Auf dem Hochaltarbild von San Marco umgeben noch dicht-
gedrängt zahlreiche Engel den Thron der Madonna, auf dem Mugello-
Bilde nur noch zwei; auf den anderen Gemälden sind sie ganz weg-
gelassen. Auf dem Hochaltarbild stehen zur Rechten des Thrones die
Heiligen Dominikus, Franziskus und Petrus Martyr, zur Linken: Markus,
Johannes der Evangelist und Stephanus. Vorne knien die Mediceer-
Patrone Cosimo und Damian. Die Madonna von Annalena umstehen
links: Cosimo, Damian und Petrus Martyr, rechts: Franziskus, Laurentius
und Johannes der Evangelist, die von Mugello rechts Franziskus,
Antonius und Ludwig, links: Petrus Martyr, Cosimo und Damian.
28
* 29 *
In dem Fresko von San Marco sieht man zur Rechten der heiligen Jung-
frau: Matthäus, Thomas von Aquin, Laurentius und Petrus Martyr, zur
Linken: Johannes den Evangelisten, Cosimo, Damian, Dominikus.
Fra Angelico hat ersichtlich in seinen letzten Madonnendarstellungen
sein Interesse von den Engeln ab- und den Heiligen zugewandt. Schon
Cimabue hatte in seiner Madonna al fresco in der Unterkirche von San
Francesco zu Assisi den heiligen Franziskus als Fürsprecher für die
Menschen am Throne der mächtigsten Fürbitterin seiner Komposition
beigesellt. Hieraus entwickelten sich die Darstellungen der sogenannten
sacra conversazione, der Heiligen späterer Jahrhunderte am Throne der
Mutter des Herrn. Der Dominikaner von San Marco befaßte sich zuerst
eingehender mit solcher Idee und brachte sie zu künstlerisch hoher Ge-
staltung. In seinen Frühwerken zu Cortona und Perugia stehen die
Heiligen noch steif, hölzern, teilnahmlos zu seiten der Madonna. Wirkungs-
voll gruppiert und innerlich belebt agieren sie in den späteren Gemälden.
Ein Reflektieren, ein Sich-Versenken in religiöse Wahrheiten, ein Mitein-
ander-in-Beziehungtreten, ein gegenseitiges Austauschen geistiger Erfah-
rungen spricht nunmehr aus diesen ausdrucksvollen Heiligen-Physiogno-
mien. Und Maria scheint als Schutzgeist heiliger, zu Gott führender
Wissenschaft in der Mitte zu thronen.
Schon die Auffassung und Vervollkommnung der Madonnendar-
stellung durch Fra Angelico zeigt diesen Künstler nicht nur als den
kindlich -gläubigen, naiven Mönch, sondern auch als den geistig tiefen,
intelligenten Mann von schwungvoller Phantasie und gründlicher Gelehr-
samkeit. Eine ganze Reihe noch von der Quattrocento -Kunst neu ge-
brachter Motive dürften nämlich auf die Erfindung resp. Weiterbildung
unseres Frate zurückgehen. Daß Vorhänge hinter dem Throne Mariens
aufgezogen, Teppiche ausgebreitet, Mauern aufgeführt oder ein Stück
Natur, Bäume sichtbar sind, findet sich in reicher Abwechselung zuerst
auf seinen Werken. Lebendig, mannigfach auch sind die Beziehungen
zwischen Mutter und Kind. Von äußerster Feinheit und Delikatesse zeugt
die Modellierung der Köpfe seiner Madonnen. (Vergl. Walter Rothes,
Die Darstellungen des Fra Giovanni Angelico aus dem Leben Christi
und Maria. Ein Beitrag zur Ikonographie der Kunst des Meisters. Heitz,
Straßburg 1902, S. 43 ff.)
Auf den Pfaden des Dominikaners Fra Angelico wandelte in einigen
seiner Madonnendarstellungen der Karmeliterbruder Filippo Lippi
(1406—1469). In einem Zellenfresko zu San Marco gab der Domini-
kaner Christi Geburt, indem er Maria und Joseph das neugeborene, auf
der Erde liegende Kind anbeten ließ. Hierzu gesellten sich bei späteren
* 30 *
Behandlungen des Gegenstandes die anbetenden Hirten. Indem er nun
alles auf die Weihenacht speziell Bezügliche beiseite ließ, verarbeitete der
Karmeliter die Komposition zu einem neuen Marienbild. Auf einer Tafel
4» """ * a-, /
Abbildung 18.
Fra Filippo Lippi, Madonna im Walde. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.
(Siehe Seite 30.)
des Fra Filippo im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin liegt das Christ-
kind im Walde auf blumiger Fläche. Maria betet es kniend an. Gott
Vater und der Heilige Geist schauen von oben herab. Einen betenden
Einsiedler sieht man in der Ferne. Filippo Lippi gab auch zuerst den
hier sich schüchtern nahenden Johannesknaben dem Jesuskinde als
* 31 *
Spielgesellen bei. Reizvoll ist das gleiche Sujet in einem Lippischen Schul-
bilde der Pittigalerie zu Florenz behandelt. Außer Maria und dem kleinen
Johannes knien anbetend vier Engel um das in zierlichem Garten, auf
Abbildung 19.
Fra Filippo Lippi, Madonna. Florenz, Galerie Pitli.
(Siehe Seite 32.)
duftiger Wiese gebettete Kind ; ein fünfter streut Rosen über das holde
Jesulein,
Fra Filippo Lippi war aber nicht alle Zeit seines Lebens der religiös
empfindende und schaffende Klosterbruder. Es kam eine Zeit, in der
ihn päpstlicher Dispens von seinen Ordensgelübden entband und ihm
Rückkehr in die Welt und selbst zur Ehe gestattete. Und diese Wandlung
* 32 *
in Filippos Leben sollte auch für die Geschichte des Marienbildes einen
wichtigen Abschnitt bedeuten. Das bekannte Rundbild im Pittipalast zu
Florenz, das außerdem Maria Geburt im Hintergrunde dargestellt zeigt,
Abbildung 20.
Filippino Lippi, Maria erscheint dem heiligen Bernard. Kirche der Badia zu Florenz.
(Sielie Seite 33 und auf der letzten Textseite gelegentlich der Besprechung der „Erscheinungen Maria" erwähnt.)
ist hierfür charakteristisch. Nur der schwache Nimbus um den Häuptern
erinnert noch an Ueberirdisches. Im übrigen sitzt als Madonna in
Tracht und Aussehen eine schlichte, florentinische Bürgersfrau vor uns.
Sie ist Lukrezia Boti, Filippos Ehegespons. Und auf ihrem Schöße
strampelt — als kleiner Jesus — ganz vergnügt ihr Söhnchen, der wenig
schöne, aber recht gesunde kleine Filippino.
* 33 *
Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß jedoch betont werden,
daß der von Filippo eingeführte, von späteren Künstlern oft und selbst
von einem Raffael teilweise verwandte „Realismus" in der Madonnen-
malerei von jeder Trivialität der Auffassung unendlich weit entfernt ist.
Und daß hierdurch das „ideale" Madonnenbild nicht verdrängt wurde
und nicht verdrängt werden sollte, beweisen uns Werke seiner Schule
und seines eigenen Sohnes Filippino Lippi. Die schönste Madonna
des letzteren ist jene in einem Tabernakel an der Via S. Margherita in
Prato. Vor einem kostbaren antiken Sarkophage, mit einem Blicke
warmer Liebe auf ihr Kind im Arm, das segnet und die Weltkugel
trägt, steht Maria, in langer, weißer Umhüllung, eine ätherische Gestalt.
Aus den Hintergrund verschleiernden, weißen Wolken lugen oben
mit gefaltenen Händchen eine reizende Reihe kleiner Englein hervor.
Die Kirche der Badia zu Florenz besitzt ebenfalls ein Hauptwerk des
Meisters.
Die gefühlvollsten, den Beschauer vielleicht am meisten ergreifenden
Madonnen des Quattrocento malte Sandro Botticelli (1446 — 1510).
Man läßt ihn aus der Filippo Lippi-Schule hervorgehen, muß aber zu-
geben, daß er im Formalen mehr an Verrocchio erinnert. Wie für Filippo
Lippis Madonnen eine Lukrezia, soll für jene Botticellis eine Simonetta
Vorbild gewesen sein. Und diese Simonetta soll den Schwindsuchtskeim
in sich getragen haben. Daraus will man das Schmächtige, Aetherische
erklären, das die Madonnen Botticellis charakterisiert. Hier hat man denn
doch wohl ohne genügenden Grund stark und trivial phantasiert. Botti-
celli war keine vor Lebenslust und Sinnenfreude übersprudelnde, sondern
im Gegenteil eher eine melancholische, auf jeden Fall tief religiöse Natur.
Er war nahe daran, das Ordensgewand der Dominikaner zu nehmen. In
späteren Jahren unter dem Eindruck der Bußpredigten Savonarolas steigerte
sich seine Frömmigkeit fast bis zur fanatischen Leidenschaft. Am Hofe
der Medici, als Freund des Lorenzo, im Verkehr mit dem Dichter Angelo
Poliziano glich sein Dasein einem poetischen Traumleben. Seine Neigung
zum Schwärmerisch-Sentimentalen konnte ihn aber in der Madonnen-
malerei nur auf die Pfade verweisen, die ein ähnlicher Träumer, der
Sienese Simone Martini, vor ihm gewandelt war.
In seinem frühesten Werk, einer Madonna im Spital der Innocenti
in Florenz, hat Botticelli offenbar an ein Gemälde des Filippo Lippi in
den Uffizien angeknüpft. Beide Male sehen wir, wie ein Engelknabe den
an seiner Mutter heraufkletternden kleinen Jesus hierbei unterstützt. Hier
wie auf dem Bilde mit dem schönen Rahmen und der Unterschrift: Ave
Maria gratia plena im Palazzo Corsini zu Florenz, das in halber Gestalt
Rothes, Madonna. 3
* 34 *
die Mutter mit dem Kind auf dem Arm zeigt, wird man vielleicht auch
an Verrocchios Typisierung gemahnt.
In den folgenden Werken aber hat sich Sandro Botticelli selber
Photogr. Verlag J, Löwy, Wien.
Abbildung 21.
Sandro Botticelli, Madonna aus der Casa Canigiani. Wien, Akademie.
(Siehe Seite 35.1
gefunden. Und in seinen Madonnen spiegelt sich nur noch sein ureigenstes
melancholisches, träumerisches Wesen wider. Die mater dolorosa, die
schmerzerfüllte Mutter, deren Seele ein Schwert durchdringt, die alle die
Leiden, die das göttliche Kind in ihrem Arm später erdulden sollte, im
voraus weiß und bereits innerlich miterlebt, malt uns der Meister immer
* 35 •*
wieder. So umfaßt sie auf dem Bilde im Louvre zu Paris wehmutsvoll
sinnend ihren Knaben, der ihr Trost zuzusprechen scheint. Der Johannes-
knabe, der das tiefe Sinnen von Mutter und Kind noch nicht versteht,
blickt neugierig zu ihnen auf.
In dem Werk im Museo Poldi Pezzoli zu Mailand sitzt Maria mit
dem kleinen Jesus vor der aufgeschlagenen Heiligen Schrift. Das Kind,
um dessen linkes Aermchen sich — als Leidenssymbol — die Dornen-
krone schlingt, weist mit einem Finger auf eine Stelle aus den Propheten
und blickt zur Mutter empor, als wolle es sagen: „Siehe, all dies habe
ich dereinst zu leiden, aber ich tue es gern zum Heile des Menschen-
geschlechtes." Und als könne sie den Inhalt der Worte noch nicht voll
erfassen, blickt Maria auf das hehre Buch hernieder.
Bei des Malers Madonnen in Santa Maria Nuova zu Florenz und
im Museum zu Neapel blickt die Jungfrau wehmütig träumend auf das
göttliche Kleinod in ihrem Arm. Devot umstehen sie reizvolle jugendliche
Engel und der liebliche kleine Johannes.
Durch ihren Symbolismus interessant, in ihrer Art einzig ist die
Mariendarstellung in der Galerie Chigi zu Rom. Ein bekränzter Jüngling
reicht Aehren und Trauben dar, die Zeichen für Brot und Wein. Und
das Jesuskind segnet die Gaben. Das letzte Abendmahl, die unblutige
Erneuerung des Opfers auf Golgatha, die heilige Messe, die heilige
Kommunion, das allerheiligste Altarssakrament sind hier vorbedeutet.
Maria blickt in geheimnisvollem Staunen auf die Gaben nieder und
greift nach einer Aehre.
Auf einem Bilde in der Nationalgalerie zu London sehen wir wieder
die von traurigen Gedanken gequälte, in eine bange Zukunft blickende,
sorgenvolle Mutter, ihr liebes Kind innig umfassend. Wie treuherzig
blicken die Aeuglein des kleinen Jesus, der sich liebevoll an die Mutter
schmiegt, zu dieser empor! Nichts läßt der Knabe unversucht, um das
betrübte Mutterherz zu trösten.
Eine Steigerung erfährt das hier zum Ausdruck gebrachte reiche
Gefühl noch auf der Tafel aus der Casa Canigiani in der Akademie zu
Wien. Völlig versunken in tiefem Schmerz preßt hier Maria die fieber-
heiße Wange an des geliebten Kindes Stirn. Wahrhaft rührend ist der
mitleidende, ängstliche Blick, mit dem diesmal der Kleine die innere Qual
der Mutter gewahrt. Soeben hatte er noch harmlos mit den beiden
reizenden Engelknaben gespielt, die daneben stehen. Der eine verwahrt
in dem zum Schoß gefaltenen Gewand schier zahllose prächtige Rosen,
von welchen Klein-Jesus auch etliche erhielt. Aber kaum hatte er den
inneren Schmerz der Mutter wahrgenommen, so ist er hastig zu dieser
* 36 *
Photogr. Alioari.
Abbildung 22.
Sandro Botticelli, Die Jungfrau Maria mit Jesus und Johannes.
Florenz, Galerie Pitti.
(Siehe Seite 37.)
* 37 *
geeilt. Zitternd greift Maria nach ihres Lieblings kleinen Händen, von
welchen sie weiß, daß sie einst eiserne Nägel durchbohren werden.
Voll sorgender Mutterliebe blickt auch auf dem Botticellibilde in
der Gemäldegalerie zu Turin Maria auf ihr Kind, dem sie gerade die
Brust reicht. Links schaut voll sehnsüchtigen Verlangens, es zu herzen,
der kleine Johannes auf das Christkind. Rechts hat sich ein Engel ein-
gefunden.
Ein ergreifendes Idyll malte Botticelli in seiner Madonna del Passeggio
im Pittipalast zu Florenz. Der in einem Blumengarten mit ihrem Kinde
wandelnden Gottesmutter ist der Johannisknabe begegnet. Maria beugt
sich nieder und reicht ihren Knaben dem kleinen Johannes hin. Dieser
umschlingt das Jesulein fast heftig mit seinen Aermchen und küßt es
inbrünstig auf die Wange. Tiefes seelisches Leiden spricht diesmal nicht
allein aus der Mutter Zügen, sondern auch aus jenen des Kindes schon.
Wie willenlos senkt es sein Köpfchen zu dem liebkosenden Johannes nieder.
Mit seinen Händchen streichelt es den Johannesknaben, dankbar selbst
dafür, einen Menschen gefunden zu haben, der seine Liebe zur Mensch-
heit anerkennt, diese unermeßliche grenzenlose Liebe, die sich blutig am
Holze des Kreuzes aufopfert.
Die thronenden Madonnen des Botticelli konnten natürlich ihrer
Bestimmung gemäß nicht so tief tragisch gestimmt sein. Eine Neigung
zur Schwermut verleugnen aber auch sie niemals, die in bezug auf kom-
positionelle Motive von Fra Angelico ersichtlich abhängig sind. Zwei
Madonnen mit Heiligen von ihm besitzt die Akademie zu Florenz. Bei
der schlichter aufgefaßten umgeben Johannes der Täufer und Maria
Magdalena, Franziskus und Katharina den Thron, während die beiden
Mediceer-Heiligen Cosimo und Damian vorn knien; bei der auf prunk-
vollerem Thron erhöhten stehen vier Engel dem Sitze Mariens zunächst:
zwei, welche Leidenswerkzeuge Christi, Dornenkrone und Nägel vorweisen,
zwei, welche die Vorhänge des Thronbaldachins zu beiden Seiten geöffnet
halten. Unterhalb des Thrones sind sechs Heilige postiert, rechts: Johannes
der Evangelist, Ambrosius, Barbara, links: Johannes der Täufer, Augu-
stinus, Michael.
Eine ansprechende Komposition ist die im Kaiser-Friedrich-Museum
zu Berlin, welche die Madonna zwischen den beiden Johannes in einer
Gartenlaube zeigt, blätter- und blumenumrankt, umgeben von Vasen mit
leuchtenden Rosen. Eine andere Madonna Botticellis ebendort steht auf-
recht vor ihrem Thron. Das segnende Kind, das sie umfaßt, hat sie auf
die rechte Seitenlehne des Thronsessels gestellt. Ringsherum halten sieben
mit Rosen bekränzte Engel in mit Blumen geschmückten Vasen brennende
* 38 *
Kerzen. Lobsingende Engel umschließen eng den Thron der heiligen
Jungfrau in einem Bilde der Uffizien zu Florenz.
Welche entzückende Engelsköpfe dem Pinsel Botticellis gelangen,
erkennt man auch in seinen sogenannten Magnifikatbildern in den
Abbildung 23.
Sandro Botticelli, Magnificat. Florenz, Uffizien.
(Siehe Seite 38.)
Uffizien sowie im Louvre zu Paris. Zwei Engel halten über Maria eine
Krone, die in den Strahlen erglänzt, die von dem oben in Taubengestalt
schwebenden Heiligen Geiste ausgehen. Drei weitere Engel halten ein
Buch aufgeschlagen, in welchem die Worte des Lobgesangs Maria, wie
sie der Evangelist Lukas im ersten Kapitel aufgeschrieben hat, zu lesen
sind. Das Jesukindlein auf der Mutter Schoß weist gerade mit der Hand
* 39 *
auf den Text: „Magnificat anima mea Dominum" und wie entgeistert, mit
in weite Fernen schauendem, seherischem Blick stimmt es den Hymnus
zu Ehren seiner Mutter an.
Fra Angelico, Fra Filippo und Botticelli waren die bahnbrechendsten
und interessantesten florentinischen Maler für die Geschichte des Marien-
bildes. Unter dem Einflüsse dieser stehen mehr oder weniger sämtliche
anderen Florentiner Meister. Baldovinettis (geb. 1427) thronende Ma-
donnen sind Nachahmungen jener des Fra Angelico. Lorenzo di Credi
(1459 — 1537), der aus der Schule Verrocchios (geb. 1435) stammt, hat das
Volle, fast zu Ueppige der Körperlichkeit, besonders der kleinen Jesus und
Johannes, sicher von diesem Meister entlehnt. Aber seine Madonnen sind
völlig abhängig von der durch Filippo Lippi neu geschaffenen Auffassung.
Seine beiden Madonnen in Rom, in der Galerie Borghese mit dem sich
vor dem Jesulein verneigenden — sehr fetten — kleinen Johannes, in der
Galerie des Kapitols mit zwei Engeln gehören zu seinen erfreulichsten
Leistungen.
In London, Paris, Dresden befinden sich weitere Madonnen von
ihm. Zu London, Paris, Budapest, Glasgow, Modena sind ferner solche,
die zwar als Verrocchio bezeichnet, aber wohl nur aus dessen Werkstatt
kamen und in der Hauptsache eben von seinem befähigtesten Schüler
Lorenzo di Credi herrühren werden. Die Marienbilder des Benozzo
Gozzoli (geb. 1420) zu Wien, Cöln und Castel Fiorentino zeigen diesen
Meister abhängig von Lippi und als Schüler Fra Angelicos.
Im Rathaus von San Gimignano in der sienesischen Provinz malte
der dorthin berufene Ghirlandajo (geb. 1449) die Mutter Gottes mit
dem Jesuskinde auf dem Knie, wie dasselbe den von einem Engel ge-
haltenen Johannisknaben liebkost. Aus des Meisters sienesischer Zeit
stammt offenbar auch seine „Madonna in der Glorie", mit vier sie verehren-
den Heiligen zu ihren Füßen, in der Pinakothek zu München. Ghirlandajos
thronende Madonnen mit umgebenden Engeln und Heiligen dagegen in
den Uffizien und in der Akademie zu Florenz sowie in der Kathedrale zu
Lucca erscheinen ersichtlich von der Kunst Fra Angelicos stark beeinflußt.
Von zwei thronenden Madonnen des ebenfalls zur Arbeit in das
Rathaus nach San Gimignano berufenen Florentiners Pier Francesco
(um 1480 — 1523) sind vor der einen Thomas von Aquin und Justus
kniend gegeben; die andere dagegen umstehen in gewohnter Weise
Franziskus und Fina, Johannes der Täufer und Gregorius. Mit diesem
Künstler darf der aus Umbrien stammende Piero della Francesca
(1423 — 1492) nicht verwechselt werden, der seine helle, klare Farbengebung
Domenico Veneziano verdankt, sich im Formalen seiner Madonnen an
* 40 *
Fra Angelico, in den kompositioneilen Motiven an Fra Filippo anlehnt.
Sein hervorragendes Talent für fein durchgearbeitete Perspektive und
landschaftlichen Hintergrund kommt auch in seinen Marienbildern wirk-
sam zur Geltung, besonders prächtig in jenem im Louvre zu Paris.
Florentiner Bildhauer.
|on den Florentiner Malern der Frührenaissance sind in bezug auf
die künstlerische Ausgestaltung der Madonnendarstellung die
Florentiner Bildhauer der gleichen Epoche nicht zu trennen.
Maler und Bildhauer arbeiten hier zusammen. Die einen ent-
lehnen Motive von den anderen und verarbeiten dieselben. So war die
Kunst des Giovanni Pisano (1250 - 1320) ohne die des Guido, des
Duccio, des Giotto nicht möglich. Des Giovanni Pisano lebendige und
innige Beziehungen zwischen Mutter und Kind verratende plastische
Madonnen im Campo Santo zu Pisa, in der Kathedrale zu Prato (siehe
Bild) und in der Sakristei der Kathedrale zu Pisa sind durchaus auf der
von Guido da Siena in seiner Madonna von San Domenico geschaffenen
Grundlage gearbeitet. Ebenso knüpften die della Robbia und Donatello
an durch Fra Filippo Lippi gegebene Motive an. Während uns selbst
ein hervorragender sienesischer Künstler wie Jacopo della Quercia
(1371 — 1438) auch in späterer Zeit noch in seiner Arbeit in der Sakristei
der Kathedrale zu Ferrara ein Werk — sowohl was die heilige Mutter als
auch das auf ihrem rechten Knie stehende Kind angeht — von fast steifer
Bewegungslosigkeit und Feierlichkeit gibt, ist der unbekannte Meister
der Pellegrinikapelle wohl einer der ersten, welcher der schlichten,
bewegten Natürlichkeit und Anmut, die uns an den Madonnen der della
Robbia und des Donatello erfreuen, vorgearbeitet hat. Seine heilige Jung-
frau mit dem auf ihrem Schöße so sprechend natürlich gelagerten,
schlummernden Jesusknaben im Museum des Louvre zu Paris, sowie die
dem Meister der Pellegrinikapelle ebenfalls mit vollem Recht zuzuschrei-
bende im South Kensington-Museum zu London, welche Maria und den
kleinen Jesus in herzlicher Umschlingung, Wange an Wange gelehnt
zeigt, seien zur Maßnahme genannt.
Luca della Robbia (1400— 1482) war eine Natur, bei der so recht
Liebe zur Gottesmutter sozusagen den Meißel führte. Nicht nur mit offen-
* 41 *
barer Freude hat er das Thema häufig behandelt, auch in großer Mannig-
faltigkeit hat er es verschiedenartig gestaltet. Das Bronzerelief an der
Abbildung 24.
Madonna mit Kind von der Kathedrale in Prato. Von Giov. Pisano
S. 20 aus Venturi-Schreiber, Die Madonna. Leipzig, J.J. Weber.
(Siehe Seite 40.)
Sakristeitür der Kathedrale zu Florenz, das Maria sitzend gibt, mit dem
segnenden Kind auf dem Schoß, von zwei betenden Engeln umgeben,
ist eine seiner frühesten Kompositionen. In vielen seiner Werke war es
* 42 *
dem Luca darum zu tun, die Göttlichkeit des Kindes Jesu demonstrativ
zu betonen. Maria ist dann nur als Hüterin des ihr von Gott anvertrauten
himmlischen göttlichen Kleinods gedacht. Maria, die mit heiliger Scheu
das Kind zart umfaßt und betrachtet und deren Gewandung durch die
antikisierende vornehme Linienführung wirkt, tritt fast in den Hintergrund
gegenüber dem Gott in Kindergestalt, der entweder feierlich segnet
(Madonnen von San Pierino, auf dem Wappen der Aerztezunft in Or San
Abbildung 25.
Luca della Robbia, Madonna der Via dell'Agnolo. Florenz, Bargello.
iSiehe Seite 41.)
Michele) oder ein Schriftband in den Händchen ausgebreitet hält, worauf
man die Worte liest: Ego sum lux mundi (Madonnen von Urbino und
im Findelhaus zu Florenz).
Das Kind der von zwei Vasen mit Blumen tragenden Engeln flankierten
Madonna von der Via dell'agnolo (Florenz, Palazzo Bargello, jetzt Museo
Nazionale) segnet nicht nur mit der Rechten, sondern trägt außerdem
noch die Spruchrolle mit der genannten, die allmächtige Gottheit bezeugen-
den Inschrift in der Linken.
Eine Erfindung des Luca dürfte das häufig von ihm gegebene,
eigenartige Motiv sein, daß er Maria hinter einer Rampe, gleichsam
stehend, nur in halber Gestalt sichtbar gibt, während der Jesusknabe auf
eben dieser Rampe, auf der Brüstung, mit beiden Füßchen steht.
43
Eine gemalte Poesie ist des Meisters „Jungfrau im Rosenhain" im
Museo Nazionale zu Florenz. In der linken Hand hält der kleine Jesus
einen Apfel, mit der rechten greift er, freudig bewegt, nach einer Blüte der
umgebenden Rosenstöcke. Ganz ähnlich greift das göttliche Kind — in
der Sammlung Liechtenstein zu Wien — nach einer Lilie, deren Stengel
sich ihm, zuvorkommend gleichsam, entgegenneigt.
Von bestrickendem Reiz sind die beiden sogenannten Madonnen
dell' Impruneta. An der Mutter Brust gelehnt, gibt sich hier das
Kind ahnungslos erquickendem
Schlummer hin. Auch im South
Kensington -Museum zu London
ist der auf der Mutter Schoß weich
gebettete Kleine gerade im Be-
griff einzuschlafen.
Zwei weitere reizvolle Kompo-
sitionen Lucas besitzt das Museo
Nazionale zu Florenz. In der einen
Darstellung umfaßt der diesmal
sehr kräftig und gesund gegebene
Knabe mit beiden Händchen
krampfhaft einen Apfel. Das
Köpfchen ruht an Mariens Kinn.
Und die Aeuglein blicken halb
schalkhaft, halb ängstlich in die
Ferne, ob nur keiner komme, den
sorgsam gehüteten Apfel zu rauben.
Das andere Bildwerk, die „Jung-
frau mit dem Kinde im Wickel-
kleid" zeigt uns Maria und das
Jesulein in herzlichster Um-
armung. Entzückend ist das gegenseitige Liebesgefühl ausgedrückt. Das
anmutige, sanfte Gesicht der Madonna, das runde, vollwangige Köpfchen
des Knaben sind trefflich modelliert.
Mit der rechten Hand das Gewand der Mutter fassend, in der linken
einen Apfel, so erscheint uns das Kind der Madonna aus der Sammlung
des Marquis Carlo Viviani della Robbia.
Als Beweis dafür, wie bei den Madonnen Lucas mit der Zeit an
Stelle des Hieratisch-Feierlichen immer mehr ein Familiär-Intimes tritt,
mögen die wertvollen Stücke des Meisters im Kaiser-Friedrich-Museum
zu Berlin gelten. Bald liebkost der Kleine die Mutter, bald faßt er sie,
Abbildung 26.
Luca della Robbia, Jungfrau im Rosenhain.
Florenz, Museo Nazionale.
(Siehe Seite 43. i
# 44 *
schalkhaft spielend, mit beiden Händchen am Gewand; dann umhalst er
die Mutter traut, dann steckt er, kindlich verlegen, den Finger in den
Mund. Die im Ausdruck familiärer Zwanglosigkeit am weitesten gehende
Madonna ist jene zwischen den zwei betenden Engeln, die den Kleinen
unter dem linken Aermchen kitzelt, worauf er in natürlicher Reflex-
bewegung mit beiden Beinchen mächtig strampelt.
Sind so, gleichsam auf den Spuren Filippo Lippis, die Madonnen
des Luca della Robbia aus Verkörperungen der sublimen Idee von der
Menschwerdung Gottes durch Maria die Jungfrau, allmählich schlichte
Schilderungen trauten Familienglücks geworden, so ging sein Neffe Andrea
della Robbia (1435 — 1525) wieder zur Verbildlichung des göttlichen
Geheimnisses zurück. Doch auch er knüpfte hierbei an ein von Fra Filippo
beliebtes Motiv an. Das göttliche Kind liegt — auf kleiner Erhöhung —
auf dem Boden. Maria ist vor demselben niedergekniet und betet es an.
Durchgängig ist ein Schwärm von Engeln — meist in halber Gestalt
gegeben oder auch nur als beflügelte Köpfchen — Zeuge der Anbetung
des Gotteskindes durch die Mutter. Häufig erscheint Gott Vater, mitunter
auch der Heilige Geist, in Gestalt der Taube, zugegen. Die hohe Würde
Mariens ist zuweilen dadurch betont, daß von Engelshänden eine Krone
über der heiligen Jungfrau Haupt gehalten wird. Engel halten vielfach
ferner ein Spruchband, das außer der Inschrift Gloria in Excelsis Deo
auch die betreffenden Noten für die Gesangmelodie enthält.
Als derartige bedeutendste Kompositionen des Andrea della Robbia
seien nun genannt jene mit der Unterschrift: „Verbum caro factum est de
Virgine Maria" im Casentino zu Venia, drei kleinere im Museo Nazionale
zu Florenz, eine im Musee de Cluny zu Paris, eine in der Sammlung
Fould ebenfalls in der französischen Hauptstadt.
Zumal diese letzte Madonna weist in der Modellierung stilistische
Eigentümlichkeiten auf, die keinen Augenblick darüber im Zweifel lassen,
daß Andrea, wie das auch natürlich ist, in der Werkstatt seines Onkels von
diesem viel gelernt hat. Bei zahlreichen Wiedergaben der Madonna sind
auch die Motive die von Luca vorher verwandten. So läßt auch er
gelegentlich das Kind auf einer Brüstung vor Maria stehen, z. B. in dem
Tympanonrelief jetzt im Dommuseum zu Florenz. In sehr vielen seiner Arbeiten
hat, wie bei Luca, der Kleine den Finger im Mund. Eine eigenartige Nuance
des Andrea ist die, daß er, wenn Gott Vater und der Heilige Geist in der
Darstellung zugegen sind, die Anwesenheit des ersteren nur durch seine zwei,
wie wohlgefällig hinweisend ausgebreiteten Hände kundgibt. Man beachte
dies betreffend des Meisters „Heilige Jungfrau der Architektenzunft" im Museo
Nazionale (Pal. Bargello) zu Florenz und seine Madonna von Bertello.
* 45 *
Photogr. Alinari.
Abbildung 27.
Andrea della Robbia, Die Madonna der Architekten. (Konsole von Francesco di Simone.
Florenz, Bargello.
(Siehe Seite 44.)
* 46 *
Zuweilen sind Andreas Madonnen von Heiligen umgeben, von
zweien: am Portal des Domes von Prato und auf dem Campo Santo zu
Arezzo, von vieren: auf dem Altarwerke von Gradara, von sechsen: auf
jenem der Mediceerkapelle in Santa Croce zu Florenz. Namentlich die
letztere Arbeit mit den frei gruppierten, innerlich bewegten, umgebenden
Heiligen läßt die Beeinflussung durch Fra Angelico ganz deutlich erkennen.
Engel fehlen fast niemals in Andreas Arbeiten. Geflügelte Seraphim-
köpfchen, Girlanden und Blumen schmücken auch meistens den Rahmen.
Als selbständigste, von Lehrmeistern und Vorbildern losgelösteste
Gruppe kann wohl die der folgenden, in der letzten Lebensperiode des
Meisters ausgeführten Werke gelten: „Heil. Jungfrau mit dem Kissen"
(Museo Nazionale); „Maria mit Kind" im Hospital von Santa Maria
Nuova zu Florenz und im Rathause von Stia, wo beidesmal der kleine
Jesus ein Vögelchen in der Rechten hält; Tympanon am Portal der
Kathedrale von Pistoia mit vier Engeln; Tympanon am Hauptportal der
Kirche der Madonna della Quercia zu Viterbo, wo Maria von zwei
Heiligen umgeben ist und von zwei Engeln gekrönt wird. Ebenfalls von
zwei Engeln gekrönt und von vier Heiligen umgeben wird die Madonna
auf den Altarwerken der Antoniuskapelle in Camaldoli und der Kirche
von Verna. Die devotioneile Stimmung, welche diese beiden letzten
thronenden Madonnen beherrscht, hat der Künstler durch Unterschriften
verstärkt. Die unter der einen Arbeit lautet: Ave Maria gratia plena, die
unter der anderen : Sub tuum praesidium confugimus, sancta Dei genitrix.
Die Mutter Gottes zwischen den Heiligen Dominikus und Jakobus im
Tympanon der Kirche von Ripoli bei Florenz gehört ebenfalls zu den
besten, namentlich im Gesichtsausdruck der beiden Heiligen, durch-
geistigtsten Schöpfungen des Meisters.
Andrea della Robbia führte ein sehr glückliches Familienleben. Sieben
Knaben, die ihm sein Weib gebar, belebten das Heim. Alle wurden
religiös erzogen und zur Kunstbetätigung angeleitet; zwei, Marco und
Paolo, traten in den Dominikanerorden ein. Dem Giovanni allein ge-
lang es noch in der vom Vater und dessen Onkel betriebenen Kunst
einigermaßen berühmt zu werden. Giovanni della Robbia (um
1480—1523) bildet gleichsam das letzte nennenswerte Glied in der
Künstlerkette der della Robbia. Ohne jede Originalität klingt in seinen
Madonnen nur die Art seiner Vorfahren leise verhallend aus. Es genügt
daher, seine bedeutendsten Arbeiten kurz zu verzeichnen: Maria und Kind
zwischen zwei betenden Engeln auf den Lavabos in San Niccolo da
Tolentino zu Prato und in der Sakristei von Santa Maria Novella zu
Florenz, Madonna mit vier Heiligen, von zwei Engeln gekrönt, in San
* 47 *
Giacomo zu Gallicano; mit Heiligen und Engeln in der Kathedrale zu
Arezzo; in Santa Croce zu Florenz; in San Medardo zu Arcevia; das
Tabernakel delle Fonticine in der Via Nazionale zu Florenz; eine Madonna
im Palazzo des Marchese Vieri-Canigiani; zwei im Palazzo Vincigliata,
ebenfalls zu Florenz.
Als eine Arbeit der della Robbia-Werkstatt im allerengsten Sinne
muß auch das Tympanonrelief der Badia zu Florenz, eine anmutige
Maria mit Kind und zwei verehrenden Engeln, von der Hand des Bene-
detto Buglioni gelten.
Photogr. AliDari.
Abbildung 28.
Donatello, Die Anerkennung des Kindes. Bronzerelief in der Basilika di S. Antonio, Padua.
i Siehe Seite 48.)
Donatello (1386 — 1466), der andere große Florentiner Plastiker
des Quattrocento, kommt in vielen seiner Madonnen der Auffassung des
Luca della Robbia sehr nahe. Man braucht deswegen nicht an gegenseitige
Beeinflussung zu denken. Weit wahrscheinlicher ist, daß beide für einen
großen Teil ihrer Bildwerke aus derselben Quelle schöpften. Beide Meister
arbeiteten eine Zeitlang in Siena. Hier lernten sie an den Bildern der
Trecentomaler den Ausdruck weicher, sehnender Empfindung kennen.
Sie nahmen wahr, daß er für die Madonnen-Wiedergabe außerordentlich
passend war und suchten das hier Gelernte, soweit es die schwerer hand-
liche Materie gestattete, in der Bildhauerkunst zu verwerten. Donatellos
48
Wiedergaben der heiligen Mutter mit dem Kind im Arm an den Grab-
mälern Johanns des XXIII. im Baptisterium zu Florenz und des Raynaldo
Brancacci in San Angelo a Nilo zu Neapel zeigen noch am ehesten
klassische Ruhe und Feierlichkeit.
Bald aber wird kraft sienesischer Einflüsse lyrisches Gefühlsleben
vorherrschend. In dem Marmorrelief aus der Casa Pazzi zu Florenz, jetzt
im Berliner Museum, hat
Jesus sein Köpfchen fest an
die Mutter gepreßt. In einem
ansprechenden Bronzerelief
ebenda faltet der kleine
Christus selbst seiner Mutter
die Hände zum Gebet. In
einem Straßentabernakel am
Albergo di Londra zu Verona
und im Louvre zu Paris
drückt Maria das Kind voll
heißer Inbrunst an Herz und
Wange. Im South Kensing-
ton-Museum zu London be-
tet die heilige Jungfrau das
diesmal ganz gewickelte
Kind auf ihrem Schöße an.
Voller Mutterfreude betrach-
tet sie dasselbe in einem
Stuckrelief des Berliner Mu-
seums; in botticellesker
Traumverlorenheit neigt sie
jedoch schwermütig ihren
Kopf zu ihm herab in
einem weiteren Marmor-
relief ebenda.
Klassisch - ruhig durch
diegemessene,antikisierende
Linienführung, aber doch zugleich durch die intime Umarmung von Mutter
und Kind überaus herzlich wirkt das Madonnenbildnis in der Hintergrunds-
architektur des Bronzereliefs „Anerkennung des Kindes" am Hochaltar des
Santo zu Padua.
Gelegentlich fügt Donatello seiner Komposition auch Engel hinzu
und gestaltet sie dadurch besonders lebendig und freundlich. Diesbezüglich
Abbildung 29.
Michelangelo Buonarroti, Madonna an der Treppe
der Casa Buonarroti zu Florenz.
(Siehe Seite 50.)
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* 49 *
seien genannt das Marmortabernakel der Medicikapelle bei Santa Croce
zu Florenz; Bronzemedaillons im Louvre zu Paris und in der Sammlung
Hainauer zu Berlin, sowie
die von zwei betenden
und zwei musizierenden
Engeln umgebene Ma-
donna im Besitz von
WernerWeisbach, ebenda.
Die Madonnen der
übrigen Florentiner Pla-
stiker des Quattrocento
sind wohl alle mehr
oder minder künstlerisch
abhängig von Donatello
oder den della Robbia.
In Rosselinos Arbeiten
— z. B. im South Kensing-
ton-Museum zu London
und in der Sammlung
von Gustav Dreyfuß zu
Paris — sind die Züge
der Madonna stets durch
ein freudiges Lächeln ver-
klärt; das Jesukind er-
scheint ebenso meist heiter
gestimmt. Des Mino da
Fiesole Madonna im
Museo Nazionale zu Flo-
renz erfreut durch die
überaus duftige, zarte
Modellierung, besonders
der Halspartie und des
Schleiers um Hinterkopf
und Hals. Im Gegensatz
hierzu erscheinen die Au-
genlider zu massig und
wirken schwerfällig. Breit
und ohne zu detaillieren
Abbildung 31.
Michelangelo Buonarroti, Madonna in der
Liebfrauenkirche zu Brügge.
i Siehe Seite 50.)
erscheint der grobkörnige Marmor modelliert bei Benedettos da
Maiano Madonna in der Kathedrale zu Prato. An Matteo Civitalis
Rothes, Madonna.
* 50 *
Mater nutriens in der Dreifaltigkeitskirche zu Lucca, bei der ebenfalls auf
feinere Nuancierung verzichtet wurde, stört das zu volle, massige Kinn und
der zu breite Mund Mariens.
Später fallen dann die Madonnen von Michelangelo Buonarroti
(1475—1564), jene im Medaillon im Museo Nazionale und die sog. „an
der Treppe" in der Sammlung Buonarroti in Florenz durch ihre kraftvollen,
fast männlichen Formen auf. Demgegenüber gelang es demselben großen
Meister doch, in seiner heiligen Jungfrau der Liebfrauenkirche zu Brügge
ein Werk reizvollster, weiblicher Anmut zu schaffen. An machtvollem
Ausdruck, starken, ja stürmischen Empfindens wird die marmorne Madonna
in der Grabkapelle der Mediceer in San Lorenzo zu Florenz allerdings
von keiner der früheren annähernd erreicht.
Paduas Meister.
|er weitgehende, künstlerische Einfluß, den Florenz ausübte, war
zumal im fünfzehnten Jahrhundert in ganz Italien zu spüren.
Padua und Venedig blieben hiervon nicht unberührt. Paduas
größter Künstler, Andrea Mantegna (1431 — 1506), der seiner-
seits wieder für die venezianische Kunst sehr maßgebend war, lernte an
Werken Donatellos, die Padua besaß. Hierdurch erhielt die durch Squar-
ciones Kreis in Padua bereits vorhandene antikisierende Richtung noch
Verstärkung. Dieses Wiedererwachen der Antike in der Renaissance-Kunst,
das auch durch die Paduaner Universität mächtig gefördert wurde, ist in
Mantegnas gemalten Verherrlichungen der Mutter Gottes meist erkenntlich.
Das architektonische Beiwerk seiner gewöhnlich thronenden Madonnen,
die hierbei verwandten Säulen mit den korinthischen Kapitalen und Reliefs
mit mythologischem Inhalt, die üppige Ornamentierung, Girlanden,
Früchte, die so zahlreichen, kleinen Engelsputten, gleichsam wiederauf-
erstandene Eroten, Liebesgötter des Altertums, sind charakteristisch für
seine Bilder.
Das prächtige Altarwerk in San Zeno zu Verona, eine der glänzend-
sten künstlerischen Schöpfungen zu Ehren der heiligen Jungfrau, die exi-
stieren, gibt den überführendsten Beweis für das Gesagte. „Maria mit dem
Kind" im Kaiser- Friedrich -Museum zu Berlin zeigt auf dem Rahmen
Putten mit den Leidenswerkzeugen Christi. Dieser hier von Mantegna
betätigte Symbolismus ist wohl durch die Bekanntschaft mit Fra Angelicos
gleicher Art veranlaßt. Scheinbar zahllose Engelsköpfe lobsingen der
Jungfrau auf dem Gemälde in der Brera zu Mailand. Dieses musikalische
51
Abbildung 32.
Andrea Mantegna, Madonna della Vittoria.
(Siehe Seite 52.)
Paris, Louvre.
* 52 *
Element stammt aus Siena. Maria mit dem kleinen Jesus und Johannes
sowie dem heiligen Joseph und der Base Elisabeth stellt eine in bezug
auf das Physiognomische recht ausdrucksvolle Komposition in der Galerie
zu Dresden dar.
Verwandt in Auffassung und Stil mit diesem Original des Meisters
sind Schulbilder im Museo civico zu Verona und in der Galerie zu Turin.
Ganz von der Hand Mantegnas sind wieder „Maria mit Kind in
einer Landschaft" in den Uffizien zu Florenz, die Mutter und Kind in
liebevollstem Verein gebenden Bilder in der Galerie zu Bergamo und im
Museo Poldi Pezzoli zu Mailand sowie der Kupferstich B. 8.
Die in einer Rosenlaube hoch thronende Madonna della Vittoria im
Louvre zu Paris ist von vier stehenden und zwei knienden Heiligen um-
geben. Der zu Jesus aufblickende kleine Johannes steht auf des Thrones
breitem, hohem Fußgestell, das als Relief Adam und Eva und den Sünden-
fall zeigt. Den gleichen symbolistischen Hinweis hat wieder Fra Angelico
vor Mantegna in seinen Verkündigungsbildern oft gebraucht. Der pro-
phetische Zusammenhang zwischen der alten Eva, die der Verführung
der Schlange erliegt, und der „neuen Eva", Maria, die der Schlange den
Kopf zertritt, sollte künstlerisch notifiziert werden. Diese treffliche Kom-
position Mantegnas wird an glänzender Wirkung von desselben Malers
„Madonna in der Glorie nebst vier Heiligen" in der Sammlung des Marchese
Trivulzi zu Mailand und jener mit dem heiligen Johannes dem Täufer und
Maria Magdalena in der Nationalgalerie zu London nicht erreicht.
Venezianische Kunst.
ijerhältnismäßig spät gelangte Venedig zur künstlerischen Blüte.
Die nahen Beziehungen Venedigs zu Byzanz erklären das lange
Festhalten der Lagunenstadt an byzantinischer Starrheit. Der
Umbrier Gentile da Fabriano (um 1360 — 1428) führte wohl
zuerst vom Byzantinismus losgelöste sienesisch-umbrische Elemente ein;
etwas Anmutiges und Seelisch-Bewegtes hielt durch diesen fremden Künstler
in der venezianischen Kunst Einzug. Der Boden war geebnet, auf dem
sich die beiden ältesten Malerschulen Venedigs entwickeln konnten,
die muranesische und die der Bellini.
Giovanni und Antonio di Murano sind deutscher Abstammung;
so unterzeichnet sich der erstere gelegentlich als Johannes Alamanus.
Aus dem Jahre 1446 stammt das Altarwerk der beiden Brüder -- jetzt
in der Akademie zu Venedig — , das die heilige Jungfrau mit dem Kind
* 53 *
auf prächtig geschnitztem Thron in venezianischer Gartenanlage zeigt.
Sinn für Anmut und Kolorit streitet gleichsam noch mit der byzantinischen
Ueberlieferung. Dieselbe beherrscht auch noch die Tafel eines jüngeren
Muranesen, Bartolommeo Vivarini, aus dem Jahre 1464, welche die
Gottesmutter mit dem schlafenden Knaben auf dem Schoß, umgeben
von vier Heiligen, ebenda, darstellt.
Abbildung 33.
Luigi Vivarini, Madonna.
Venedig, Sakristei der Redentorekirche.
(Siehe Seite 53.)
Erst der noch jüngere Luigi Vivarini hat mit Byzanz völlig ge-
brochen. Die sechs Heiligen, die seine vor einem Vorhang thronende
Madonna umgeben, erscheinen nicht nur selbst seelisch erregt, sondern
stehen auch mit dieser in psychologischem Zusammenhang. Auf einem
anderen Bilde dieses Künstlers in der Sakristei der Redentorekirche sitzt
Maria vor einer Rampe, auf der Früchte liegen und zwei Engelknaben,
bequem gelagert, musizieren. Auf einem Kissen weich gebettet, schlummert
das Jesukindlein auf der Mutter Schoß. Diese blickt, die Hände zum
Gebet zusammengelegt, andächtig zu dem kleinen Schläfer nieder. Das
Werk ist von bestrickendem Reiz.
* 54 *
Carlo Crivelli (1440—1495) ist der erste Repräsentant venezianischer
Prachtliebe. Daraufhin betrachte man seine Madonnen, z. B. in der Brera
in Mailand und in der Pinacoteca Podesti in Ancona. Glänzende Diademe
krönen ihr Haupt. Schimmernde Perlen schmücken die kostbare Gewan-
dung. Quellende, saftige Südfrüchte an irgendeiner Stelle seiner Marien-
bilder als Ornament gleichsam anzubringen, ist eine immer wiederkehrende
Eigenart Crivellis.
Jacopo Bellini (1400—1471) stand in einem Schülerverhältnis zu
Gentile da Fabriano und lernte durch Andrea Mantegna, der sein Schwieger-
sohn wurde, paduanische Art kennen. In seinem offenbar frühen Madonnen-
bild in der Akademie zu Venedig ist allerdings davon noch wenig zu
spüren. Aber auf seine Söhne haben sich diese Einflüsse vererbt. Von
diesen, Gentile und Giovanni, hat sich nur der jüngere und begabtere
Bruder der Madonnenmalerei in weiterem Umfange befleißigt. Viel hat
Giovanni Bellini (1426 — 1516) sicher dem Antonello da Messina zu
danken, der die Oelmalerei in Venedig einführte. Kraft dieser neuen
Technik gelang es Giovanni vorzüglich, seine Madonnenbilder durch warmes
Kolorit und verklärendes Licht leuchten zu lassen. Giovanni schuf auch
das typische Modell für die venezianischen Madonnen: die in vollen
üppigen Formen blühende, gesunde, schöne Frau. Er liebt es, Maria mit
Kind, umgeben von zwei Heiligen, in halber Gestalt zu geben, so in der
Akademie, einmal zwischen Magdalena und Katharina, und einmal zwischen
Paulus und Georg (s. Abb. 34) , im Louvre zu Paris zwischen Petrus
und Sebastian. Auf einer anderen Tafel der Akademie umgeben die hoch
thronende Madonna sechs Heilige, von welchen uns namentlich der hei-
lige Franziskus vorn rechts und der heilige Sebastian — ein prachtvoller
Akt! — vorn links durch den schwärmerischen Aufschlag ihrer schönen
Augen fesseln. Berühmt sind die drei entzückenden Engel, die am Fuße
des Thrones musizieren. Fast noch erhabener wirkt der dreiteilige Marien-
altar in der Sakristei der Frari aus dem Jahre 1488. In schmaler Nische
thront Maria. Umgebende Heilige, musizierende Engel erhöhen wieder
die festliche Stimmung. Das Altarbild in San Zaccaria, die heilige Jung-
frau, umgeben von Petrus und Katharina, Lucia und Hieronymus, mit
dem Geige spielenden Engel, der auf der niedrigsten Stufe des Thrones
sitzt, 1505 entstanden, war eine der letzten Arbeiten des hochbetagten
Greises. Ein Schüler des Giovanni Bellini ist Vicenzo Catena (gest.
1531), dessen Madonna, die auf der Treppe eines Parkes die Huldigung eines
Ritters mit turbanartiger Kopfbedeckung entgegennimmt, in der National-
galeri zu London, koloristisch sehr wirkungsvoll ist, aber zu sklavisch die
Methode seines Lehrers nachahmt, um nicht etwas manieriert zu erscheinen.
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* 56 *
In dem Bilde des Rocco Marconi (gest. um 1525), der dem
Künstlerkreis des Carpaccio angehörte, in der städtischen Gemäldesamm-
lung zu Straßburg, sitzt Maria vor einer dunkeln Wand, vor der das
weiße Kopftuch scharf absticht. Im Hintergrund links ist ein Stück Natur
sichtbar. Lazzaro Sebastian! zeigt sich in seiner Madonna mit dem
Kinde in der Akademie zu Venedig als Liebhaber grauer, kalter Farbentönung
Abbildung 35.
Giov. Bellini, Madonna mit sechs Heiligen und drei Engeln.
Venedig, Akademie.
i Siehe Seite 54.)
und schlanker Gestalten. Des Benedetto Diana beste Madonna ist jene
mit vier Heiligen in freier Natur thronende in der Akademie. Cima da
Conegliano (1460 — 1517) schwelgt in Farbenfülle. Seine Madonna
zwischen Paulus und Johannes Baptista in Halbfiguren und seine große
thronende, von sechs Heiligen umringte, mit zwei musizierenden Engeln,
ebenfalls in der Akademie, bezeugen seine koloristische Begabung. Des
* 57
Abbildung 36.
Giorgione, Madonna zwischen S. Franziskus und S. Liberalis. Castelfranco, S. Liberale.
(Siehe Seite 53.)
* 58 *
Bartolommeo Montagna zwischen Sebastian und Hieronymus thronende
Madonna, an gleicher Stelle, verrät deutlich mantegnesken Einfluß.
Alle die zuletzt genannten Meister sind übrigens mehr oder weniger
auch von Giovanni Bellini künstlerisch abhängig.
Ein ganz origineller Kopf dagegen war Giorgione (1477 — 1511).
Seine thronende heilige Jungfrau zwischen Sankt Franziskus und Liberalis,
die jetzt noch in der Pfarrkirche seines Heimatsdorfes Castelfranco steht,
ist das hervorragendste Zeugnis seiner Kunst. Giorgione war ein jugend-
licher, träumerischer Phantast. Was Simone Martini für die Sienesen,
Botticelli für die Florentiner, das war Giorgione für die Venezianer:
gleichsam der lyrische Dichter unter den Malern seines engeren Vater-
landes. Das seelenvolle Auge Mariens, der schwärmerische Blick der
beiden im Jünglingsalter gegebenen Heiligen beleben mächtig die Kom-
position. Geradezu bezaubernd aber wirkt die seelische Harmonie, die
zwischen der sehr hoch thronenden Madonna und der ungemein fein
empfundenen, sie umgebenden Landschaft zu bestehen scheint.
Das Ideal venezianischer Madonnenmalerei in bezug auf Fülle und
Schönheit der Formen, Anmut der Typen, Schmelz und Glut der Farben,
Wirkung des Lichts, Freiheit der Gruppierung bedeuten die Arbeiten des
Tizian, Tiziano Vecellio (1477 — 1576), häufig, so in den Bildern in Wien
in der Kaiserlichen Gemäldegalerie und — mit den Heiligen Agnes und
Johannes dem Täufer — in der Sammlung Liechtenstein, erhöht noch
ein beigefügtes Stück Natur die Stimmung. Die sog. Kirschenmadonna,
ebenfalls im Wiener Museum, ist ein oft gepriesenes Kunstwerk. Vor
einer Rampe sitzt Maria. Auf derselben schreitet der kleine Jesus mit
Kirschen im Händchen, freudig bewegt dieselben vorzeigend, zu ihr hin.
Der kleine Johannes vorn scheint auch für die Kirschen sehr interessiert.
Sankt Joseph und Zacharias stehen beiseite. In berauschender Farben-
und Lichtwirkung herrliche Frauen- und Männergestalten, so erscheinen
uns des Meisters Madonnen in Dresden mit vier Heiligen, im Louvre
mit drei Heiligen. Seine „heilige Jungfrau mit dem heiligen Antonius
Eremita" in den Uffizien zu Florenz, auf welchem Bilde der kleine Johannes
dem Jesulein Rosen überreicht, beweist, mit welcher Liebe der große
Künstler Kinderleben beobachtet hat, und wie wirkungsvoll er es wieder-
zugeben verstand. Rührend im gleichen Sinne wirkt seine in idyllischer
Landschaft gelagerte Maria mit dem Kinde, dem Johannesknaben und
der heiligen Katharina in der Nationalgalerie zu London.
Zu den glänzendsten Schöpfungen Tizians gehört zweifellos das
berühmte Altarbild in der Frari-Kirche zu Venedig, die sog. Madonna
del Pesaro. In offener Treppenhalle von herrlichster Raumwirkung mit
* 59 *
zwei schier unbegrenzt nach oben strebenden Säulen thront die Mutter
Gottes. Mit dem Kinde, das auf ihrem Schoß steht, scheint der heilige
Franziskus von Assisi, dem sich der heilige Antonius von Padua beigesellt
hat, in lebhafter, zwangloser Unterhaltung begriffen. Sankt Franziskus
und der unterhalb der Madonna, fast im Mittelpunkt des Bildes gelagerte
heilige Petrus scheinen für die unten mit Gefolge kniende Familie Pesaro
Abbildung 37.
Tiziano Vecellio, Madonna mit den Kirschen. (Heilige Familie.)
Wien, Gemälde-Galerie.
(Siehe Seite 58.)
Fürsprecher zu sein am Throne der Gebenedeiten. In der Luft tummeln
sich auf einer Wolke zwei Engelknaben, die das Kreuzesholz tragen.
Die heilige Jungfrau mit dem Kaninchen in freier Landschaft im
Louvre zu Paris bezeugt wie keines der vorher erwähnten Werke des
Meisters Fähigkeit, mit Licht und Schatten gute Wirkung zu erzielen.
Während Maria das Kaninchen festhält, trägt Katharina den Jesusknaben
und zeigt ihm, der sich lebhaft dafür interessiert, den possierlichen kleinen
Vierfüßler. Im Hintergrund hütet Sankt Joseph Schafe. Eine ebenso in bezug
60
* DU *
auf die Lichtwirkung bedeutungsvolle Komposition stellt in der Pinakothek zu
München die heilige Jungfrau dar mit dem schon etwas älteren, gesunden,
Abbildung 38.
Tiziano Vecellio, Madonna del Pesaro. Venedig, Sta. Maria dei Frari.
(Siehe Seite 58 u 59.)
über kräftige Gliederchen verfügenden Jesusknaben. Am gleichen Ort ist
noch ein anderes Bild Tizians, auf dem Maria dem Täufer rechts das
Jesukind gerade hinüberreicht, während links ein betender Stifter kniet.
* 61 *
Die Bonifazio und Bassano geben nach Tizian nichts Neues mehr
und erreichen ihn nicht. Nur Paolo Veronese (1528 — 1588) und
Robusto Tintoretto (1518 — 1594) vermögen uns noch zu fesseln,
ersterer durch seiner Farben Reichtum und die Pracht seiner Gewandungen,
letzterer durch Tiefe der Empfindung und schimmerndes Spiel des Lichts.
Wertvoller als Veroneses Werke in San Francesco della Vigna und San
Barnaba in Venedig ist jene Madonna, die im Assunta-Saal der Akademie
daselbst in einer Nische auf hohem Marmorfuße thront, umgeben von
Hieronymus, Justina und Franz von Assisi, der den Johannesknaben stützt.
Bei Tintoretto thront die Himmelskönigin immer auf Wolken in lichten
Höhen, während unterhalb Heilige begeistert zu ihr aufblicken. Im Kaiser-
Friedrich-Museum zu Berlin sind es Lukas und Markus; in der Sammlung
zu Modena: Katharina, Kolomba, die beiden Apostelfürsten und der
Evangelist Johannes; bei der glänzendsten Leistung in der Akademie zu
Venedig: Cäcilia, Antonius von Padua, Georg, Cosimo und Damian.
Des venezianischen Bildhauers Tommaso Lombardi (um 1560
bis 1620) vornehme Madonna mit dem Jususkinde und dem Johannes-
knaben in „San Sebastiano" zu Venedig verdient hier Erwähnung.
Die Norditaliener.
fie übrigen norditalienischen Kunstschulen haben wohl ausnahms-
los toskanischen und venezianischen Einfluß verspürt. Der
Bolognese Francesco Francia (1450 — 1517) zeigt in seinen,
von zwei Heiligen bezw. zwei Engeln umgebenen Madonnen
in der Galerie Borghese zu Rom und in der Pinakothek zu München,
sowie in seiner thronenden mit zwei betenden, zwei musizierenden Engeln
und vier Heiligen in San Giacomo Maggiore zu Bologna Bekanntschaft
mit venezianischen Vorbildern in bezug auf Formbildung, Farbengebung
und Komposition, während er in einem anderen Bilde in München, wo
Maria das auf dem Boden liegende Kind anbetet, ein Motiv des Florentiners
Fra Filippo übernommen hat.
Der Ferrarese Francesco Bianchi (1487—1510) beweist mit seiner
in einer Säulenhalle mit Fernsicht in weiter Natur hoch thronenden Madonna,
der zwei auf den Stufen sitzende musizierende Engel sowie zwei Heilige
beigesellt sind, daß ihn Venedigs Kunst, speziell Giorgione Vorbild war.
Am Thronsockel vorne ist der Sündenfall in Nachahmung Mantegnas
gegeben. Der Brescianer Alessandro Moretto (1498—1555) läßt in
seinen thronenden Madonnen mit den Heiligen Antonius und Sebastian
* 62 *
sowie in jener mit den vier Kirchenvätern im Städelschen Institut zu
Frankfurt am Main, besonders aber in seiner Himmelskönigin in Glorie
mit Franziskus und den Einsiedlern Antonius und Paulus in der Akademie
zu Mailand den ihn völlig beherrschenden Einfluß Tizians erkennen.
Bernardino Luini (von 1475 bis 1535) und Gaudenzio Ferrari
(1484 — 1549) bezeugen in ihren Darstellungen Mariens mindern Kinde
Abbildung 39. B. Luini, Sta. Maria degli angeli. Lugano.
„Madonna mit den Jesus- und Johannesknaben."
(Siehe Seite 62.)
in „Santa Maria degli Angeli" zu Lugano (s. Abb. 39) und in der Mai-
länder Brera die nahe Verwandtschaft der lombardischen Schule mit der
venezianischen in Fülle der Form und Wärme des Kolorits.
Den gewaltigen Lionardo da Vinci (1452 bis 1519) zählt die lom-
bardische Schule mit Stolz zu den Ihren. Die meisten der mit dem Namen
Lionardos bezeichneten Madonnen stammen im günstigsten Falle von
Schülern her, die unter des Meisters Aufsicht arbeiteten, etwa von Boltraffio
* 63 *
oder Salai. Höchstens in einem solchen Zusammenhang mit Lionardo stehen
die beiden Darstellungen Mariens mit dem Kinde in der Pinakothek zu
München; die in der Beleuchtung so wirkungsvolle, ihr Kind nährende
Mutter Gottes aus dem Hause Litta in der Eremitage zu Sankt Peters-
burg; das Fresko mit dem
Stifter in San Onofrio zu
Rom; die Madonna mit
dem das Jesukind lieb-
kosenden kleinen Jo-
hannes, jene, die außer
den beiden Kindern die
Base Elisabeth und einen
Engel vorweist, der dem
Jesulein eine Wage hin-
hält, beide im Louvre zu
Paris. Als Hintergrund
für seine Madonnenbilder
hat Lionardo durch eigen-
artige Lichteffekte ge-
heimnisvoll wirkende,
felsige Gegenden geliebt.
Die beiden „Madonnen
unter den Felsen" in der
Nationalgalerie zu Lon-
don und im Louvre zu
Paris, die, bei nur geringer
Verschiedenheit der Mo-
tive, neben den beiden
Kindern und Elisabeth,
einen Engel zeigen, der
das Jesukind hält, sind
hierfür besonders charak-
teristisch und dürften
noch am ehesten unter
Mitwirkung des von Lionardo persönlich geführten Pinsels entstanden
sein. Handzeichnungen zu Madonnenbildern in den Offizien zu Florenz
und in der ambrosianischen Bibliothek zu Mailand dürften ebenfalls vom
Meister selbst herrühren. Ganz sicher von der Hand seines Schülers
Giovanni Antonio Boltraffio (1467 — 1516) sind die im übrigen völlig
lionardesk gehaltenen Gemälde der heiligen Mutter mit dem göttlichen
Abbildung 40.
Lionardo da Vinci, Vierge au rocher. Paris, Louvre.
(Siehe Seite 63.)
* 64 *
Kinde im Nationalmuseum zu Budapest und im Museum Poldi Pezzoli
in Mailand, die lange Zeit als Originalarbeiten da Vincis galten.
Photogr. Alinaii.
Abbildung 41. Carlo Dolci, Madonna mit schlafendem Jesuskind.
Rom, Galerie Corsini.
i Siehe Seite 65.)
Ein Bild des Veronesen Caroto (1470 — 1546) in der Akademie zu
Venedig verdient durch das zur Anwendung gebrachte genrehafte Motiv
* 65 *
Erwähnung. Maria ist mit dem Nähen eines Gewandstückes beschäftigt,
und das Jesukind, das auf dem Schöße steht, oder, besser gesagt,
balanciert, hält sich mit dem linken Händchen am Kopftuch der Mutter
fest und verwahrt mit dem rechten die Schere.
Ein interessanter Madonnenmaler war der Parmese Correggio
(14Q4— 1534). Er weiß durch den Zauber des Lichts seine Darstellungen
zu verklären wie höchstens noch Tintoretto und Rembrandt, weniger in
seinen Jugendwerken, etwa in Maria mit dem Kinde und zwei musizierenden
Engeln in den Uffizien zu Florenz, mit Elisabeth und dem kleinen Johannes
in der fürstlichen Sammlung zu Sigmaringen, mit dem Johannesknaben
im Museo artistico zu Mailand, als in seinen späteren Arbeiten. Seine
zwei von Heiligen umgebenen thronenden Madonnen in der Galerie zu
Dresden, die sogenannten „des Heiligen Franz" und „des Heiligen
Georg", wie die auch der „Tag" genannte „des Heiligen Hieronymus" in
der Galerie zu Parma sind wahre Prachtstücke in tiefstes Dunkel getauchter
blendender Lichterscheinungen. Großartig im selben Sinne wirken auch
seine Madonnen in der Pinakothek zu Modena; „della scala" in der Galerie
zu Parma; mit den beiden Kindern im Pradomuseum zu Madrid; die
gleichartigen von Casalmaggiore im Städelschen Institut zu Frankfurt am
Main und in der Galerie zu Budapest; die Madonna della Cesta in der
Nationalgalerie zu London, und eine weitere das auf dem Boden liegende
Christkind anbetende in den Uffizien zu Florenz.
Solch ein „Lichtkünstler" wie Correggio übte dann auch auf Floren-
tiner Künstler später seinen Einfluß aus, so auf Carlo Dolci (1616—1686).
Dessen beste Arbeiten, Madonna mit Kind und Blumen in der Pinakothek
zu München (s. Abb. 10), Maria mit Kind im Pitti-Palast zu Florenz; Maria
mit Sternenkranz in Blenheim bei Oxford und besonders jene ihr schlum-
merndes Kind so liebevoll betrachtende in der Galerie Corsini zu Rom
(s. Abb. 41) bezeugen das sicher.
Aehnlich zeigen des Andrea del Sarto (1487-1531) Madonnen „mit
Sankt Franz und dem Evangelisten Johannes" in der Tribuna der Uffizien
sowie jene al fresco „del sacco" in der Vorhalle der Annunziata-Kirche
zu Florenz lionardeske und venezianische Einflüsse.
Giovanni Battista Salvi, genannt Sassoferrato (1605—1685)
bildete sich vorzugsweise an Raffael und an der Bologneser Schule.
Seine recht gefühlvollen Madonnen streifen oft nahe an das Manieriert-
Süßliche. Auf dem Bilde im Louvre zu Paris ist das göttliche Kind in
den Armen seiner Mutter eingeschlafen. Dasselbe Motiv ist von Annibale
Caracci (1560 — 1609) in einem Bilde an gleicher Stelle zu einem
kleinen Genrestück erweitert. Der Johannesknabe berührt das schlafende
Rothes, Madonna. 5
* 66 *
Christuskind am Beinchen. Maria aber macht mit dem Finger und im
Ausdruck des Gesichts eine zurückweisende Gebärde, als wollte sie sagen:
„Still! er schläft; wecke ihn nicht!"
Die plastischen Arbeiten des Andrea Sansovino (1460 — 1529),
z. B. seine herzlich empfundene Madonna im Berliner Museum, des
Palermitaners Antonello Gagini (1478 — 1536), z. B. seine sentimental
aufgefaßten Madonnen im Museo civico zu Palermo und in der Kirche
San Francesco in Comiso bei Syrakus, sind ebenfalls Erzeugnisse, gewonnen
aus der Zusammenstimmung verschiedener Kunstschularten.
Umbrische Malerschule.
hi Besprechung der italienischen Madonnendarstellung war die
umbrische Malerschule bis zuletzt aufzusparen. Mit Recht;
denn sie bildet den würdigsten Abschluß. Aus ihr ging der
Künstler hervor, den man den bedeutendsten Madonnenmaler
aller Länder und aller Zeiten nennen darf: Raffael Sanzio.
Die früheste umbrische Kunst ist völlig abhängig von Siena. Des
Ottaviano Nelli (ca. 1380 — 1444) „Madonna del Belvedere" in Santa
Maria Nuova zu Gubbio, die thronende Madonna des Niccolo Alunno
(1430 — 1502) in der Brera zu Mailand lassen das klar erkennen. Des
Pietro Perugino (1446—1524) thronende Madonnen mit vier Heiligen
im Vatikan, mit zwei Heiligen in Cremona, seine das Kind anbetende
heilige Jungfrau in der Villa Albani zu Rom, Pinturicchios (1455—1513)
von Heiligen verehrte Himmelskönigin in der Pinakothek zu Perugia,
die liebliche heilige Mutter mit dem auf einer Brüstung vor ihr stehenden,
segnenden Kind in der Nationalgalerie zu London beweisen alle die Un-
selbständigkeit der umbrischen Schule.
Schuleinflüsse sind bei Raffael Sanzio (1488 — 1520) nur in sekun-
därer Weise wirksam. Sein eigenes mächtiges Genie und eine kindlich
fromme Liebe zu Maria führten ihm den Pinsel bei seinen Madonnen-
bildern. Zu den Frühwerken des Meisters gehören das Dreiheiligenbild,
Maria mit den Heiligen Franziskus und Hieronymus und die Madonna
Solly, beide im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin, sowie die Madonna
Conestabile in der Eremitage zu Sankt Petersburg. Als Vorzüge Raffael-
scher Kunst empfinden wir in diesen Erstlingsarbeiten schon folgende
Motive: Der Künstler liebt es, seine Madonnen in überaus fein empfun-
dener Natur als stimmungsvollen Hintergrund zu geben. Maria betet aus
einem Gebetbuch. Auch das Jesukindlein nimmt an der Andacht teil.
* 67 *
Das Kind der Madonna Solly hält im linken Händchen ein Vöglein.
Gebetbuch und Vögelchen sind bei Raffaels Madonnen noch wiederholt
verwendet. Die Madonna Colonna im Berliner Museum unterbricht für
einen Augenblick ihr Gebet und schaut voller Wonne auf den herzigen
Phot. Hanfstaengl.
Abb. 42. Raffael Sanzio, Madonna a. d. H. Tempi. München, Pinakothek.
(Siehe Seite 68.)
Knaben auf ihrem Schoß. Die Madonna aus dem Hause Orleans im
Besitze des Herzogs von Aumale scheint wie traumverloren in dem Anblick
ihres Knaben versunken. Die Madonna del Granduca im Palazzo Pitti
zu Florenz ist das Urbild einer keuschen Jungfrau, die — mit dem Gottes-
kind auf den Armen — vor Demut nicht wagt, aufzuschauen (s. Abb. 1). Jene
* 68 *
aus dem Hause Tempi dagegen in der Königlichen Pinakothek zu
München, die das wie die herrliche Mutter entzückend geformte Kind
Abb. 43. Raffael Sanzio, La belle jardiniere. Paris, Louvre.
(Siehe Seite 69.)
voll Inbrunst an das Herz drückt, packt uns durch den ergreifenden
Ausdruck mütterlicher Liebe (s. Abb. 42).
In der Madonna Terranuova zu Berlin fügt Raffael im Anschluß an
Fra Filippo Lippi zuerst den Johannesknaben hinzu, außerdem aber noch
* 69 *
— und das ist eine ganz einzige Nuance — den späteren Evangelisten
Johannes ebenfalls in zartestem Alter. Maria mit dem kleinen Jesus und
Johannes dem Täufer gibt dann der Meister in stets wechselnder
Gruppierung in seinen drei nicht hoch genug zu preisenden Madonnen,
Abb. 44. Raffael Sanzio, Madonna della Sedia. Florenz, Pitti-Palast.
(Siehe Seite 71.)
„mit dem Stieglitz" in den Uffizien zu Florenz, „im Grünen" in der
Kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien, und der sogenannten „schönen
Gärtnerin", La belle Jardiniere, im Louvre zu Paris (s. Abb. 43). Auch die
nicht ganz vollendete Esterhazy-Madonna in Pest variiert dieses Thema.
Die Madonna des Hauses Alba in der Eremitage zu Sankt Petersburg,
70 *
Abb. 45. Raffael Sanzio, Madonna di Foligno. Vatikan.
(Siehe Seile 71.)
* 71 *
die mit dem Diadem im Louvre zu Paris, die von dem schlummernden
Knaben sachte den Schleier hebt und ihn entzückt betrachtet, die mit dem
schon herangewachsenen kleinen Jesus lustwandeln de Madonna im Besitze
des Grafen von Ellesmere zu London, welcher der Johannesknabe begegnet,
gehören auch in diesen Zusammenhang.
Der Madonna von der göttlichen Liebe im Museum zu Neapel ist
außer den beiden Kindern noch die Base Elisabeth beigesellt. In der
Ferne sieht man hier wie bei der Madonna del passeggio den heiligen
Joseph. Wahrhaft bezaubernd durch Anmut, Formenschönheit, Farbe,
Licht, Herzlichkeit und Schlichtheit der Auffassung wirkt — aus des Meisters
römischer Zeit — die Madonna della Sedia im Pitti-Palast zu Florenz
(s. Abb. 44). Aus der gleichen Periode dürfte die durch vollendete Licht-
wirkung ausgezeichnete Madonna mit den Leuchtern in der National-
galerie zu London stammen, die außer dem reizenden vollen Jesus-
gesichtchen rechts wie links je einen entzückenden Knabenkopf aufweist.
Thronende Madonnen hat uns der Meister geschenkt in jener „del
Baldachino" im Pittipalast zu Florenz und del pesce im Museum zu
Madrid, in der Gesellschaft von Engeln und Heiligen. Auf Wolken thro-
nend, von Cherubim umringt, von Franziskus, Hieronymus, Johannes dem
Täufer und einem knienden Stifter verehrt, erscheint uns die Madonna
di Foligno im Vatikan (s. Abb. 45).
Auf Wolken auch, zwischen einem geöffneten Vorhang, wie in einer
Vision erscheint uns die Madonna di San Sisto — sein bekanntestes
Bild — in der Galerie zu Dresden. Ihr zur Seite kniet rechts der heilige
Papst Sixtus, der — darauf weisen seine Handbewegungen — die Kirche
und das Menschengeschlecht der Fürbitte der seligsten Jungfrau empfiehlt.
Unterhalb steht das Abzeichen seiner päpstlichen Würde, die Tiara. In
gewolltem, wirksamem Kontrast mit der greisen Papstgestalt steht die
jugendliche heilige Barbara links von der Madonna. Ihre Blicke sind
auf die beiden reizenden Engelsköpfchen gerichtet, die über dem untersten
Rande des Bildes hervorlugen und das Entzücken aller derer bilden, die
sich einmal daran erfreuten. Wahrlich, diese Madonna wirkt wahrhaft
überirdisch. Wie auf göttliches Geheiß, von himmlischer Inspiration be-
seelt, hat Raffael hier Unvergleichliches geleistet. Mit geheimnisvollem
Schauder ergreifen uns die wunderbaren, seelenvollen Augen Marias wie
des göttlichen Kindes. Wir möchten niederknien und verehrend beten.
Man darf Raffaels Sixtinische Madonna kühn die erhabenste Leistung
nennen, die jemals in der bildenden Kunst zu Ehren der allerseligsten
Jungfrau geschaffen wurde (s. Abb. 46).
72 *
Abb. 46. Raffael Sanzio, Madonna di S. Sisto. Dresden, Gemälde-Galerie.
(Siehe Seite 71.)
73
Deutsche Malerschulen.
(Prager, Kölner, Fränkische, Schwäbische.)
farf man eine Nation in bezug auf die Gestaltung des Marien-
bildes die führende nennen, so war es sowohl hinsichtlich der
Menge wie der Bedeutung, als auch was im Ausland nachge-
ahmte Initiative anbetrifft, die italienische. Kaiser Karl IV. berief
schon italienische Künstler. Diese beeinflußten dann die früheste der
deutschen Malerschulen, die sogenannte Prager Schule. Wenn
wir von Miniaturdarstellungen der Mutter mit dem Kinde innerhalb der
Büchermalerei, z. B. im Sakramentarium des Drogo aus der karolingischen
Zeit, absehen, finden wir hier, allerdings an den Ausländern gebildet,
doch auch zuerst nationalen Stil. Dem Nikolaus Wurmser (um 1360)
dürfte man Madonnen in der Marienkapelle der Burg Karlstein im Beraun-
tal und in der Stiftskirche zu Hohenfurt in Böhmen wohl zuschreiben.
Charakteristisch sind das kräftige Oval des vorgebeugten Kopfes Mariens,
ihre hohe Stirn, über welcher die Krone ragt, die wulstigen Formen
des Jesuskindes in ihrem Arm, die von kleinen Engelsgestalten gestützten
Heiligenscheine.
Noch älteren Datums, aus dem XIII. Jahrhundert, ist — ebenfalls im
Oesterreichischen — eine von allegorischen Gestalten umgebene thronende
Madonna im Nonnenchor des Domes zu Gurk in Kärnthen. Die Köpfe
von Mutter und Kind sind zart ineinander geschmiegt. Es ist sehr
charakteristisch, daß dieses vielleicht älteste große Wandgemälde der
thronenden Madonna eines deutschen Meisters, sofort den germanischen
Hang zu symbolisieren, lehrhaft zu werden verrät. Es ist ein sog. „typisches
Marienbild", d. h. nimmt Bezug auf ein alttestamentliches Vorbild. Die
thronende Himmelskönigin ist hier als Thron Salomos verherrlicht.
Nach I. Reg. 10, 18 — 20 machte Salomo einen Thron von Elfenbein und
Gold, umgeben von symbolischen Gestalten, Tugenden, Propheten, Löwen.
Dieser Thron erschien den Auslegern der H. Schrift als der „Sitz der
Weisheit", sedes sapientiae, den die Mutter des wahren Salomon, Maria
mit dem Kinde, einzunehmen habe. Außer im Dome zu Gurk ist Maria
als Thron Salomos noch wiederholt gerade in alten Bildern ausgeführt:
in Schloß Petersberg zu Friesach in Kärnten, in der Neuwerkskirche zu
Goslar, in der Hospitalkirche zu Lübeck, ferner auf einem Antependium
des XIII. Jahrhunderts im Museum zu Bern, in Skulptur an der Nordseite
des Doms in Augsburg, an der Dominikanerkirche zu Retz (Nieder-
Oesterreich) und in einer Engelberger Handschrift, wo unten sogar,
74 *
unter einem Bogen — ebenso wie in Lübeck — mit zwei Königinnen
Salomo sitzt.
Auf dem sogenannten Deichseischen Altar aus der alten Nürnberger
Schule zu Berlin reicht Maria, in schlanken und bereits kräftig individua-
lisierten Formen gegeben, dem Kinde einen Apfel dar. Im Gegensatz zu
der auf byzantinische Muster zurückgehenden, feierlichen repräsentativen
Madonnendarstellung sehen wir hier zuerst auffällig den realistischen Typus
der deutschen Madonnenmalerei
ausgebildet. Ohne den Versuch
zu idealisieren ist Maria nach be-
liebigem Modell als herzensgute
Mutter, biedere Hausfrau gegeben.
Ueber diesen Standpunkt haben
sich aber auch ein Schongaucr
(1445-1491), ein H. Holbein der
Aeltere (1460—1524), ein Wohl-
gemuth(1434 — 1519), ein Kranach
(1472 — 1553) nicht erhoben.
Der eigentliche Boden für die
deutsche Madonnenmalerei war
Köln. Ein kleines Triptychon im
Kölner Wallraf-Richartz-Museum
geht in der Komposition auf
Meister Wilhelm von Herle,
etwa 1380, zurück, hinter welchem
Pseudonym, nach neuen Ansichten,
sich ein Künstler namens Her-
mann Wynrich verbirgt, dessen
ausgebildetere Art der Meister des
Klarenaltars im Kölner Dom vor-
bereitet hat. Die neuerdings laut
gewordenen Zweifel an der Echt-
heit dieser beiden Bilder sind
durch Autoritäten ersten Ranges, wie z. B. W. Bode, als unberechtigt zurück-
gewiesen worden. Wir sehen im Mittelbild der Darstellung des Museums
Maria mit dem Kind auf dem Arme, während auf den inneren Seiten-
flügeln die Heiligen Barbara und Katharina dargestellt sind. Das Ueber-
schlanke, Magere, man möchte sagen, Zerbrechliche der Gestalten läßt
auf einen Einfluß der gelehrten, mystischen Kölner Dominikanerschule,
eines Suso, eines Tauler usw. schließen. Die Maler wollten dadurch das
^*W
Abb. 47. Meister Wilhelm, Madonna mit der
Wickenblüte. Köln, Stadt. Wallr.-Rich. -Museum.
i Siehe Seite 75.)
75 *
Wesenlose, über das Menschentum Erhabene, Himmlische ausdrücken. Der
Körper sollte nur Symbol sein. Flache Brust, schmale Schultern, langer
Hals, aber großer Kopf mit einer hohen und breiten Stirn, die großen
Augen halb geschlossen, der
rtÄv^i *\t;' *««*?&£■ tfltf
kleine Mund zierlich gespitzt,
das war die formale Gestal-
tung der altkölnischen Ma-
donnen. Noch weniger ge-
lang ihnen hierfür ein ent-
sprechender Ausdruck in der
Physiognomie. Bei der eben
erwähnten Madonna — mit
der Wicken blute ge-
nannt (s. Abb. 47) — spiegelt
sicli wohl zum erstenmal mit
Gelingen wie ätherischer
Duft ein himmlischer Lieb-
reiz auf den zarten, scheinbar
durchsichtigen Gesichtszü-
gen Mariens. Liebreizend
strahlt auch das Antlitz des
Jesusknaben, der mit dem
rechten Händchen derMutter
liebkosend an das Kinn greift
und in dem linken einen
Rosenkranz hält. Dieser
Mutter Gottes mit der
Wickenblüte im Städtischen
Museum zu Köln ist eine
nahezu gleichartige Ma-
donna im Germanischen
Museum zu Nürnberg sehr
eng verwandt.
Der deutsche Sinn für
Naturschönheit, Blumen- u.
Pflanzenpracht, für unge-
zwungene Heiterkeit und
Gemütlichkeit macht sich auch in der Schule Meister Wilhelms
geltend. Wie die lyrische Poesie der gleichzeitigen Minnesänger muten uns
ihre anmutigen Madonnen in Blumengärten freundlich und stimmungsvoll
Abb. 48.
Stefan Lochner, Madonna mit dem Veilchen.
Köln, Erzb. Diözesan-Museum.
(Siehe Seite 78.)
* 76 *
an. „O rose rot, o lilie wiz, o blume schoen, o vrauwen priz, o
lichter morgensterne!" so verkündete der Sänger himmlischer Minne
Mariens Lob. So war auch der Himmelskönigin bildliche Verherrlichung
Abb. 49. Stefan Lochner, Madonna. Aus dem Altarbild im Dome zu Köln.
(Siehe Seite 78.)
der alten deutschen Meister in blumigen, blühenden Hainen und Gärten
gleichsam ein Ausfluß mystischer Naturverklärung, wie sie ja so oft als
höchste Blüte aller Kreatur gefeiert wird, Maria, die minnigliche Gottes-
braut, die Pforte des Paradieses, des Himmelsgartens, die blendendreine
* 77 *
Lilie, die mystische Rose. In einem Flügelaltärchen zu Berlin ist Maria
auf blumensprießendem Rasen gelagert. Vier heilige Jungfrauen umgeben
sie. Sankta Dorothea reicht dem Jesusknaben ein Blumenkörbchen. Die
Madonna im Blumenhag im städtischen Museum zu Frankfurt
am Main sitzt neben einem Steintisch und studiert eifrig in einem
Abb. 50. Stefan Lochner, Madonna in der Rosenlaube.
Köln, Stadt. Wallr.-Rich.-Museum.
(Siehe Seite 80.)
Buche. Heilige Jungfrauen machen sich im Garten zu schaffen; die
heilige Cäcilie lehrt den kleinen Jesus das Zitherspiel. Auf einem Bilde
der Pinakothek zu München wird der von heiligen Frauen umringten
Mutter Gottes in einem Garten von Engeln eifrig vormusiziert. Die un-
gemeine Zartheit in den Typen und Formen dieser Komposition, die darin
zum Vorschein kommende Naturfreudigkeit erinnern auffällig an die gleich-
zeitige sienesische Kunst. So unzweifelhaft ein Einfluß der Kölner
* 78 *
Dominikaner-Mystiker auf die Kunst ihres Ordensgenossen in Florenz, Fra
Angelico, vorliegt, ebenso sicher dürfte ein solcher sienesischer Künstler
auf die Kölnische Schule festzustellen sein, wenn auch die Kanäle, wo-
durch die gegenseitige Beinflussung geleitet wurde, zur Zeit der Kunst-
forschung noch nicht offenbar sind.
Unübertroffen an holder, poetischer Stimmung sind Stefan Lochners
(in Köln 1430 — 1451) Madonnen. Dieser Meister hat durch Beseitigung der
Original-Aufnahme.
Abb. 51. Kölner Schule-. Madonna mit Engeln und Stifter
in der Lamberti-Pfarrkirche zu Düsseldorf.
(Siehe Seite 80.1
Härten und Uebertreibungen das ihm vorschwebende Ideal nahezu erreicht,
eine überirdische Unschuld, Demut und Keuschheit im Bilde einer schönen
Jungfrau dem Auge begreiflich zu machen. Jene — mit dem Veilchen
zubenannt — (im Kölner Erzbischöflichen Diözesan-Museum [s. Abb. 48]) mit
der heiligen Dreieinigkeit, mit Engeln, von welchen zwei hinter Maria einen
gemusterten Teppich ausgebreitet halten, und einer knienden Stifterin ist von
fast übertriebener Zartheit, ja Zimperlichkeit, z. B. in der Bewegung der
linken Hand, die das Veilchen hält; ähnlich mutet uns die „Mutter des
Erlösers" auf dem berühmten Dombild an (s. Abb. 49); jene in der
79 *
Abb. 52. Martin Schongauer, Madonna im Rosenhag mit den Distelfinken.
Colmar, Münster St. Martin.
(Siehe Seite 80.)
* 80 *
Rosenlaube (im Städtischen Museum) wirkt in ihrer reizenden Naivität wie
ein Gedicht (s. Abb. 50). Unsere Sinne verwirren sich, wir vermeinen,
die Musik der Engel zu hören, den Duft der Rosen einzuatmen. Durch
den der kölnischen Schule eigentümlichen, poetischen und musikalischen
Geist erfreut auch die al fresco gemalte Madonna mit zwei musi-
zierenden Engeln und kniendem Stifter aus dem XV. Jahrhundert
in der Lamberti-Pfarrkirche zu Düsseldorf (s. Abb. 51).
Abb. 53. Matthias Grünewald, Madonna des Isenheimer Altars, Colmar.
(Siehe Seite 82.)
Die poetische Stimmung der Kölner Madonnen wurde von jenen der
schwäbischen und fränkischen Schulen niemals erreicht, obwohl
sie oft genug ihre Motive von den Kölnern entlehnten, so Martin
Schongauer (1445 — 1491) in seiner Madonna im Rosenhag im
Münster St. Martin zu Colmar i. Elsaß. Der machtvollen Gestalt in dem
bauschigen Gewand fehlt jeder Liebreiz (s. Abb. 52).
In einem mehrteiligen Altarwerk zu Berlin, vermutlich vom
Meister des Münchener Marienlebens, hält die mütterliche
Abb. 54. Van Dyck, Ruhe auf der Flucht.
München, alte Pinakothek.
i Siehe Seite 181. i
* öl *
Freude ausstrahlende Madonna ihr Kind auf dem Schöße. Dem Knaben
reicht die heilige Barbara eine Blume dar. Katharina und Magdalena sind
ebenfalls zugegen. Unten kniet die Familie des Stifters.
Phot. Holle.
Abb. 55. Matthias Grünewald, Madonna v. Stuppach.
(Siehe Seite 83.)
Auf einem Flügelbilde des Isenheimer Altars zu Colmar i. Elsaß,
auf dem Maria voll Liebe ihr Kind betrachtet, lernen wir Matthias
Rothes, Madonna.
* 82 *
Grünewald (von 1475—1530) als den hervorragenden deutschen Meister
in mystisches Dunkel gesetzter, blendender Lichteffekte kennen. Wie leuchtet
das Körperchen des Jesuskindes (s. Abb. 53). In einem anderen Bilde des
Phot. Hanfstaeogl.
Abb. 56. Luk. Cranach, Madonna mit der Traube. München, Pinakothek.
(Siehe Seite 83.)
gleichen Meisters, ebenfalls zu Colmar im Museum, geben in einem
architektonisch prächtigen gotischen Gehäuse schier zahllose musi-
zierende Engel der heiligen Jungfrau ein Konzert. Wie blenden dies-
mal in lichtem Gewände jener große Engel, ganz vorn, der einem
Violoncell, kniend, Weisen entlockt, und ein zweiter in der Nähe, der die
* 83 *
Violine spielt. Zu des Meisters Madonna von Stuppach standen die
Naturempfindung und die poetische Auffassung der Kölner Schule er-
sichtlich Pate (s. Abb. 55).
Original- Aufnahme.
Abb. 57. Lukas Cranach, Madonna mit Heiligen.
Halle a. S., Marktkirche.
(Siehe Seite 83.)
Lukas Cranach, der Aeltere (1472 — 1553), war ein eifriger
Madonnenmaler. Seine Mutter Gottes in der Münchener Pinakothek, die
dem auf einem Kissen stehenden Jesuskinde eine Traube darreicht, ist
wohl eine seiner gemütvollsten, besten (s. Abb. 56). Auch seine thronende
Madonna mit Heiligen und dem knienden Stifter in der Stadtkirche zu
* 84 *
Halle a. d. S. (s. Abb. 57) ist eine sorgfältig ausgeführte Arbeit. Trotz seiner
im übrigen offenen Parteinahme für Luther und die kirchlichen Neurer im
späteren Leben war er doch mit deren Agitation gegen den Marienkultus
sehr wenig zufrieden. Bis zu seinem Ende, als wolle er seine diesbezüglich
von den neuen Lehrern abweichende Meinung öffentlich beweisen, malte er
mit Vorliebe Marienbilder und wurde auch mit entsprechenden Aufträgen
von katholischen Fürsten und Prälaten reichlich bedacht. Trotzdem Lukas
Cranach in liebevoller Feinmalerei die deutsche Landschaft mit Bergzacken,
Burgen, Seen, dunkeln Tannen und hellen Birken unter Gewitterhimmel oder
weißen, segelnden Wolken als Hintergrund für seine Madonnen wirkungs-
voll zu geben weiß, ist er doch schwach in der Stimmung. Ebenso ist
er in der Zeichnung salopp. Nur seine Farbenwirkung ist harmonisch
und kraftvoll. Je zahlreicher später die Aufträge bei ihm einliefen, um
so flüchtiger, ja sogar nachlässiger wurde die Ausführung. Einen bestimmten
Typus für seine Madonnen strebte er gar nicht an. Jede Frau aus dem
Volke war ihm als Modell gut genug. Auf eine gewisse biedere Herz-
lichkeit im physiognomischen Ausdruck seiner Madonnen nahm er Bedacht,
aber nicht auf Schönheit oder gar Erhabenheit.
Hans Holbein — nicht der Aeltere, der in jener, in abgegrenztem
Raum mit Engeln, die einen Teppich hinter ihr und eine Krone über
ihrem Haupte halten, im Germanischen Museum zu Nürnberg, wohl seine be-
deutendste Madonna geschaffen hat, — sondern der Jüngere (1497 bis 1543)
hat die berühmteste deutsche Madonna gemalt. Schon in dem
herrlichen Madonnenkopf im Museum zu Basel, mehr noch in der
„Madonna von Solothurn zwischen den Heiligen Bischof Martin von
Tours und Ritter Ursus", im Privatbesitz zu Solothurn, erfreuen uns breite,
volle Formen, warme Koloristik, wie überhaupt erstklassige, malerische
Qualitäten (s. Abb. 58).
Weit aber werden diese Bilder übertrumpft von den Vorzügen der
weltbekannten „Madonna des Bürgermeisters Meyer" (s. Abb. 59).
Als 1520 die Lehren der sogenannten Reformatoren in Basel ein-
drangen, hielt der Bürgermeister Jakob Meyer von Basel mit seiner Familie
treu am katholischen Glauben fest. Damals bestellte Meyer für den Altar
der Ratskapelle eine Madonna als feierliches Glaubensbekenntnis und als
Vermahnung an die religiösen Neurer, die auch der Himmelskönigin
ihre hohe Würde nicht gönnten. Und Hans Holbein der Jüngere über-
nahm den so gemeinten Auftrag, erfüllte ihn aus vollem Herzen, mit ganzer
Seele und schuf so das hehrste deutsche Madonnenbild.
Warm getönt, in kräftigen, vollen Farben ergreift uns das Gemälde.
Eine wahrhaft majestätische Erscheinung, steht die Gebenedeite unter den
* 85 *
Weibern, höchste Achtung und tiefste Verehrung gleichsam gebietend,
vor einer Nische. Weiches, blondes Haar umwallt reich in langen Strähnen
den Kopf Mariens, den eine Krone schmückt. Huld und Liebe sprechen
Abbildung 58. Hans Holbein der Jüngere, Madonna von Solothurn.
Im Privatbesitz in Solothurn.
(Siehe Seite 84.)
aus dem anmutigen, vornehmen Gesichte, an das sich der kleine Jesus
schmiegt, der liebevoll auf die unten kniende Stifterfamilie des genannten
Bürgermeisters weist. Die schönen, fein modellierten Köpfe dieser, be-
sonders der ausdrucksvolle des Bürgermeisters, dann die seiner zwei Knaben
86 *
Phot. Hanfstaengl.
Abb. 59. Hans Holbein d. J., Madonna des Bürgermeisters Meyer.
Darmstadt, Großherzogl. Museum.
(Siehe Seite 84.)
* 87 *
und der drei weiblichen Personen sind hochgepriesene Schöpfungen
höchster Meisterschaft. Das Originalgemälde befindet sich im Darmstädter
Schloß, eine vorzügliche Kopie in der Galerie zu Dresden.
Wenn man Holbeins Madonnades Bürgermeisters Meyer als schönstes
deutsches Marienbild rühmt, soll man allerdings eines nicht vergessen
zuzufügen. Diese deutsche Madonna ist eine Frucht der italie-
nischen Renaissance. Nur in Anlehnung an die großen Italiener, und
zwar besonders Venezianer, Bellini, Tizian, deren Ideal der Himmelskönigin
die majestätische, blühende, schöne Frau war — während z. B. ein Burgk-
mayer sich den Florentiner Typ angeeignet hatte — , nur in Anlehnung
an diese, wenn auch mit völlig selbständiger, germanisch empfundener
Verarbeitung der Motive, fand Holbein Kraft und Mittel, sein gewaltiges
Meisterstück zu schaffen.
Einen festen deutschen Madonnentypus, etwa entsprechend dem
italienischen, von Byzanz übernommen, von den Sienesen zuerst verfeinerten
und belebten, dann von Raffael zu höchster Vollendung gebrachten, gibt
es nicht. Wohl gab es Anfänge, Versuche zu einem solchen, besonders
in der Kölner Schule. Dann aber kam die willkürliche Modellmalerei auf.
Am wenigsten — um das vorauszunehmen - - ist Dürer zu einem Ziele
gelangt. Seine Madonna ist bald „halbes Kind, schalkhafte Jungfrau, reife
Mutter oder gar häßliche Matrone". Das Barock verlor sich dann ins
Schwärmerisch-Süßliche. Es fehlt zu keiner Zeit an Studien, aber einen
charakteristischen deutschen Madonnentypus hat es nicht ge-
geben.
Deutsche Bildhauer.
ie in der deutschen Malerei spielte auch in der deutschen
Bildhauerkunst die Madonna nicht die alle anderen Stoff-
arten fast verdrängende Rolle wie in Italien. Deswegen fehlt
es aber doch nicht an sehr zahlreichen plastischen Wieder-
gaben der heiligen Jungfrau, die aber nur zum Teil ein künstlerisches
Interesse beanspruchen.
Man kann folgende Auffassungen der deutschen Bildhauerkunst, sei
es in Vollplastik, sei es in Relief, etwa scheiden: 1. Maria mit dem Kinde,
a) stehend, das Kind auf dem linken Arm, in der rechten das Lilienzepter,
Regina coeli (Beispiel: Die Muttergottesstatue Ludwigs d. B. aus dem
Angerkloster in München [s. Abb. 60]), seit dem 14. Jahrhundert häufig
auf der Mondsichel und vom Strahlenglanz umflossen (nach Ap. 12. 1.
mulier amicta sole et luna sub pedibus eius), auf die Immakulata-
Darstellungen hinweisend, auch mit Früchten oder Blumen, die sie dem
Kinde vorhält (Mater amabilis), b) sitzend, das Kind steht oder sitzt auf
ihren Knien, oder sie drückt es mit beiden Händen an die Brust oder
stillt es. 2. Ohne Kind, a) stehend
und in einem Buche lesend als
Virgosapientissima, b) neben ihrem
verherrlichten Sohne sitzend als
Sponsa Dei, c) zwischen Vater und
Sohn, von letzterem gekrönt, Virgo
icoronata, auf die Darstellungen
der „Krönung Maria" hinweisend,
d) allein auf dem Throne, von
Engeln verehrt, Regina angelorum.
Hauptsächlich in diesen Wie-
dergaben hat die deutsche Bild-
hauerkunst die Gottesmutter viel-
tausendmal verherrlicht, in Ver-
bindung mit der Architektur an
Pfeilern, Säulen, Fassaden, Por-
talen, in Lünetten, im Tympanon
vorzüglich in der Steinplastik,
dann in der Holzschnitzerei, an
Altären, auch wohl im Erzguß,
z. B. an Reliquienschreinen, sowie
in der Elfenbeinschnitzerei. Auch
hier ist das völlige Fehlen eines vor-
herrschenden, bestimmten Typs,
der zur Entwicklung gelangt wäre,
charakteristisch. In der älteren
Zeit ist Anlehnung an byzan-
tinische Muster nicht selten, aber
auch dann mit plumpen, ver-
schrobenen Zügen untermischt,
die der Roheit in der Modellierung
des Ganzen entsprechen. Im Mittel-
alter und in der späteren Zeit bildete sich nicht nur keine Schablone,
sondern gerade das Individuelle wurde typisch. Jeder Künstler hat etwas
vom persönlichen Reiz eines Modells oder seines Frauenideals beigemischt.
Ganz individuelle Schönheiten sind die herrlichen Madonnen, besonders
Abbildung 60.
Unbek. Meister des XIV. Jahrhunderts.
Muttergottesstatue Ludwigs d. B. aus dem
Angerkloster in München.
(Siehe Seite S7.)
89
aus dem XIII. Jahrhundert in Freiberg, Bamberg, Trier, Straßburg, Freiburg,
Wimpfen, bei welchen der Ausdruck seliger Mutterfreude von den ver-
schiedenen Meistern mit wachsendem Erfolge angestrebt wurde.
Das in seiner Art Beste und auch
wohl Deutscheste leistete die sächsische
Plastik, zumal der Meister der goldenen
Pforte in Freiberg (thronende Madonna
im Tympanon) und der Meister der
Naumburger Domstifter. In Bamberg,
Freiburg, Straßburg wurden französische
Muster — oft genug ohne viel eigenen
Geist — nachgeahmt. „Wie Spring-
fluten brechen die gallischen Einflüsse
herein." Maria wird nun auch wohl
gelegentlich zu einer„Koketten". Mutter-
freude soll ein nichtssagendes, konven-
tionelles Lächeln widerspiegeln. Von
hier bis zum Süßlich-Manierierten der
Marienstatuen des Barock war eigent-
lich nur ein kleiner Schritt. Das frische
Bürgermädchen, die zufriedene Haus-
frau der damaligen Zeit blieben im
übrigen Modell für die Marienstatuen.
Nur selten wurde ein höheres Ideal
durch sehr breite und hohe Stirn, durch
lieblich geschwungene Lippen erstrebt.
Sonst herrscht peinlicher Naturalismus.
Auch die Madonnen eines bedeu-
tenden Künstlers wie Adam Krafft
(ca. 1450—1507), besonders die auf der
Pergenstörfferschen Grabtafel und am
Eckhause der Bindergasse zu Nürnberg,
bestätigen nur das Gesagte. Für die in
Holz geschnitzten Marienstatuen zum
Schmuck der Altäre gab lange die
Fabrik des Michael Wohlgemuth
(1434—1519) in Nürnberg den Ton an. Schmächtige Figur, runder, voller,
ausdrucksloser Kopf, müde Augen sind bezeichnend für das Schema, nach
welchem die Muttergottesfiguren der Wohlgemuthschen Werkstatt in jenem
unruhigen, knittrigen, bauschigen Holzstil geschnitzt sind. Auf den
Abbildung 61.
Tiltn. Riemenschneider, Madonna.
Frankfurt a. M.
(Siehe Seite 90.)
* 90 *
Wohlgemuthschen Altären der Kreuzkapelle zu Nürnberg und der Marien-
kirche zu Zwickau aus dem Jahre 1479 tritt uns dieser Stil auffällig ent-
gegen. Die von Wohlgemuth ausgehende Manier führte der alle technische
Schwierigkeiten der Schnitzkunst spielend
überwindende Veit Stofs (1440—1533) zu
einem Höhepunkt. Seine schlanken, sich
gleichsam biegenden Madonnen, mit kühnsten
Bewegungen, in übermäßig gefaltete und
flatternde Stoffmassen eingehüllt, verraten
gewiß eine meisterhafte Beherrschung der
Technik — aber auf das Auge wohltuend
wirken sie nicht. Erst in seinen Spätwerken
(Rosenkranztafel, Englischer Gruß in Sankt
Lorenz zu Nürnberg) wird seine Modellierung
ruhiger und weicher. Auf des Meisters
Schrein des Marienaltars in der Marienkirche
zu Krakau und auf dem Hochaltar in der
Stadtkirche zu Schwabach ist Maria als
Sponsa Dei verherrlicht, auf dem Sankt
Ottomar-Altar in der Jakobskirche zu Nürn-
berg als Regina coeli. — Der Rothenburger
Meister des Marienaltars in Cr eglingen
aus dem Jahre 1487 hat sich einer weichen,
großzügigeren Schnitzart befleißigt. Zu den
bestmodellierten gehören die des Meisters
Tilman Riemenschneider aus Würzburg
(1460 — 1531). Die natürliche Heiterkeit seiner
uns freundlich anlachenden Madonnen, z. B.
im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main
(s.Abb. 61) und in der Neumünsterkirche zu
Würzburg, wirkt ungemein wohltuend.
Aus der schwäbischen Bildnerschule be-
sitzt das Kaiser Friedrich-Museum eine Mater
nutriens aus Ton aus dem XIV. Jahrhundert
und eine bemalte Holzstatuette aus dem XV.;
hier hält Maria mit der rechten Hand einen
Apfel, mit der linken bewahrt sie das segnende Kind, daß es nicht vom
Schoß herunterfällt. Beide breit und flach wirkende Arbeiten lassen so
recht erkennen, wie ungleich Wertvolleres in Behandlung des gleichen
Themas zur selben Zeit die Plastik in Italien schuf.
Abb. 62. Hans Multscher, Madonna.
Stadtpfarrkirche
zu Landsberg a. L.
(Siehe Seite 91.)
* 91
Auch die bemalte, von Engeln gekrönte Marienstatue auf dem Hoch-
altare von der Kirche zu Blaubeuren aus dem Ende des XV. Jahrhunderts
kann den Vergleich mit gleichzeitiger italienischer Kunst nicht vertragen.
Der vom Künstler versuchte Ausdruck ernster Milde im Antlitz der Mutter
Gottes und ihre mit
Liebe und Fleiß
durchgebildete
bauschige Gewan-
dung verdienen
aberalleAnerkenn-
ung. Aus den glei-
chen Gründen ver-
dient die Statue der
heil. Mutter des
Ulmer Meisters
Hans Multscher
in der Stadtpfarr-
kirche zu Lands-
berg a. L. an dieser
Stelle lobende Er-
wähnung (Abb. 62;.
Dauchers re-
gina angelorum
versucht die Poesie
der Kölner Maler-
schule in Stein zu
geben iS. Abb. 63).
Von vornehmer
Bildungistdiel496
von Herzog Sieg-
mund gestiftete
schlanke Statue der
betenden Gottes-
mutter in der Klo-
sterkirche von Blutenburg bei München, ein Meisterstück aus der Blüte-
zeit der einheimischen Schule Bayerns, durch Schönheitssinn und mächtigen
schwungvollen Gewandstil weit aus der Zeit und Manier hervorragend.
Ist hier schon südlicher Einfluß wahrscheinlich, so tritt er in der Tiroler
Schule noch mehr hervor, besonders bei Michael Pacher (1430— 1498),
dessen Madonnen (Altäre inGries, 1471, Sankt Wolfgang 1477) ein feiner Sinn
Abb. 63. H. Daucher, Maria Königin der Engel.
Relief in Solnhofener Kalkstein, 1520.
Im Besitz des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen.
(Siehe Seite 91.)
* 92 *
für Linienfluß und feierliche Bewegung auszeichnet. Ein niederrheinischer
Künstler aus der Mitte des XV. Jahrhunderts hat seiner Madonna, einer
sorgfältigen Schnitzarbeit in Buchsbaum, jetzt im Berliner Museum, in für
seine Heimat charakteristischer Weise eine Weintraube in die Hand gegeben.
Abb. 64. Madonna auf der Mondsichel. Kupferstich.
(Siehe Seite 93.)
Deutsche Kupferstecher und Holzschneider.
|ie in Deutschland wie nirgendswo sonst gepflegte Kupferstich-
und Holzschnittkunst widmeten der heiligen Jungfrau
zahlreiche Blätter. Zu den frühesten hier in Betracht kommenden
Kupferstichen mag der des Meisters E. S. (um 1440—1480), genannt
93 *
die „große Madonna von Einsiedeln", gehören. Maria ist auf einem
Postament thronend gegeben, verehrt von Heiligen und unterhalb knienden
Stiftern. Auf einer Em-
pore ist die hl. Drei-
einigkeit, umringt von
musizierenden Engeln,
anwesend. Der Stich
trägt das Datum 1466.
(Hofbiblioth. in Wien.)
Im Berliner K. Kupfer-
stichkabinett befindet
sich eine thronende
Madonna desselben
Meisters. Andere Ku-
pferstiche zeigen die
Art des Meisters E. S.
weiter ausgebildet (s.
Abb. 64). In der Ric-
cardiana zu Florenz
trifft man eine von
Engeln verehrte Ma-
donna auf der Mond-
sichel des „Meisters mit
den Bandrollen". In der
Technik vorgeschritten
erscheinen Martin
Schongauers Ma-
donnen „auf der Mond-
sichel" (Wien) und „im
Hofe" (Berlin). Ebenda
scheint ein Schrotblatt
mit der heiligen Jung-
frau zwischen musi-
zierenden Engeln aus
der Kölnischen
Schule zu sein. „Sal-
ve Regina", eine Holz-
schnittfolge von 16 Blättern eines Regensburger Meisters Lienhart aus dem
XV. Jahrhundert, sei hier erwähnt. Dargestellt sind Wunder, die durch das
Beten des Salve Regina auf Fürbitten Mariens geschahen. Im 16. Jahrhundert
Abb. 65. Hans Burgkmair, Maria mit dem Kinde in
Holzschnitt.
(Siehe Seite 94.)
* 94 *
entstanden ein Holzschnitt Burgkmairs (1472 — 1531) „Maria auf einer
Terrasse" mit der Unterschrift: O mater Dei, tnemento meü, des gleichen
Meisters Holzschnitt „Maria in einer Loggia" (s. Abb. 65), ein herrlicher
Zweifarben-Holzschnitt von Hans Wechtlin: „Heilige Jungfrau im Garten"
(Berlin), zwei Holzschnitte Albrecht Altdorfers (um 1480—1538) „Mutter
Gottes, vor der ein Mönch kniet" (Berlin), und, farbig ausgeführt, in Privat-
besitz, eine Madonna mit der dreimal wiederholten Unterschrift: „Ganz
schön bist du, meine Freundin, und ein Makel ist nicht in dir". Altdorfers
Schüler, Michael Ostendorf er, verherrlichte wiederholt die „schöne
Maria von Regensburg".
Auch Veit Stoß hat sich als Kupferstecher versucht. Besonders in
der übermäßigen Faltengebung der Gewandungen seiner gestochenen
Madonnen erkennen wir das Unruhige, Knitterige, das den Plastiker
charakterisierte, sofort wieder. In seinem Stich (bei Passavant 5) hat die
Gottesmutter, die in einem gotischen Zimmer sitzt, ihr Kind eben aus der
Wiege genommen, dessen beide Händchen nach Kinderart mit dem linken
Füßchen spielen. Der Stich (Passavant 6) zeigt Maria -- echt ä la Stoß —
in förmlich gebogener Stellung. Das auf dem linken Arme sitzende Kind
greift nach der Frucht, die Mutter Maria in der rechten Hand hält.
Auf einem Holzschnitt Hans Holbeins des Jüngeren vom
Jahre 1520 thront Maria zwischen zwei weiteren Schutzheiligen Freiburgs.
Drei sorgfältig ausgeführte Tuschzeichnungen Holbeins mit der Madonna
— einmal nebst einem knienden Stifter, das andere Mal, wie sie im Begriffe
ist, ihr Kind zu nähren, das dritte Mal es herzend — befinden sich im
Museum zu Basel.
Dürers Madonnen.
O Gottesgebärerin,
Des höchsten Thrones Himmelskönigin,
Aller Sünder größte Hoffnung,
Ich bitt' dich durch dein Kindlein jung,
Jesum, der dich erschaffen hat,
Mach' mich würdig seiner Erlösungstat!
Albrecht Dürer.
Es ist wohl noch nicht so allgemein bekannt, daß Albrecht Dürer,
dieser anerkannt leuchtendste Stern am Horizont der deutschen bildenden
Kunst, auch ein lyrischer Dichter war. Die als Motto gewählten Verse
beweisen, daß er diese seine Kunst gern in den Minnedienst der Himmels-
königin stellte. Noch ein anderes, ebenfalls weiteren Kreisen unbekanntes
* 95 *
Gebet Dürers in poetischer Form an Maria sei hier erwähnt, welches in
Lange-Fuhse: Dürers schriftlicher Nachlaß Seite 94 f. wiedergegeben ist:
Mutter Gottes, du reine Maid,
Ich bitt' dich durch dein großes Leid,
Das du hattest mit großer Klag',
Da dein totes Kind vor dir lag.
Komm' mir zu Hülf in meiner Not
Durch Jesus deines Sohnes bitteren Tod!
Phot. Alinari.
Abb. 66. Albr. Dürer, Madonna mit der Birne. Florenz, Uffizien.
(Siehe Seite 97. )
Dürer war offenbar ein treuer Verehrer der Muttergottes und aus
solcher Gesinnung heraus Mariensänger und — Madonnenmaler. Auf
diesen frommen Sinn Dürers mußte mit besonderer Betonung hingewiesen
werden, um Behauptungen als irrig zu erweisen, die da verkünden, „die
96 *
kirchlichen Vorstellungen hätten ihre absolut zwingende Gewalt verloren",
„der innere Anteil an den im Bilde zu fassenden religiösen Vorstellungen
sei im Erlöschen begriffen gewesen".
Albrecht Dürers
(1471—1528), des be-
kanntesten deutschen
Meisters, Muttergottes-
Darstellungen mögen
dann hier endlich ge-
sondertbetrachtet sein.
In keiner derselben ver-
leugnet sich der ker-
nige, urwüchsig derbe,
scharf markierende,
mehr Richtigkeit als
Schönheit anstrebende
Real ismus seiner Kunst-
betätigung. Von seinen
Oelgemälden seien
erwähnt: „Maria, das
Kind anbetend", mit
den Heiligen Antonius
und Sebastian, 1496,
Dresdener Galerie, die
beiden sog. „Fürlege-
rin"-Bilder aus dem
Jahre 1497 in der Augs-
burger Galerie und
dem FrankfurterStädel-
schen Institut, die beide
als Madonnenstudien
gelten dürfen; „Maria
mit Kind", 1503, Hof-
museum zu Wien; die
betende heilige Jungfrau auf dem Flügel des Altarwerkes der Geburt Christi
(1504) in der Pinakothek zu München; „Madonna mit dem Zeisig", 1506,
Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin; „Madonna mit der Schwertlilie", 1508,
Rudolfinum zu Prag; Marienbild, 1512, Hofmuseum zu Wien, „Madonna
mit der Nelke", 151(5, Augsburger Galerie; „Maria mit Kind" und „betende
Maria", beide aus dem Jahre 1518 und im Museum zu Berlin; „thronende,
Abb. 67. Albr. Dürer, Die Madonna mit der Meerkatze.
Kupferstich aus dem Jahre 1505.
(Siehe Seite 97.)
* 97 *
nährende Mutter Gottes mit musizierendem Engel", 1519, Steiermärkische
Landesgalerie zu Graz; „Madonna mit der Birne", Uffizien zu Florenz
(s. Abb. 66), aus
dem Jahre 1526.
Von Dürers
Kupferstichen
mögen genannt
sein: „Maria auf
dem Halbmond",
1494; „Mater
nutriens',' 1503;
„Madonna mit
der Meerkatze",
1505 (s. Abb.
67); „Himmels-
königin nach der
Apokalypse",
1508; „Maria mit
derBirne",1511(s.
Abb. 68); „Maria
amBaume",1513;
„Apokalyptische
Madonna", 1514;
„Maria an der
Mauer", 1514 (s.
Abb. 69); „Apo-
kalyptische Him-
melskönigin",
1516; „Madonna,
von Engeln ge-
krönt", 1518;
„Nährende Mut-
ter Gottes", 1519;
„Maria mit dem
Wickelkind", 1520; „Madonna, von einem Engel gekrönt", 1520; „Maria
am Hoftor", 1522.
Endlich sei auf folgende Holzschnitte Dürers aufmerksam ge-
macht: Apokalyptische Himmelskönigin auf dem Titelblatte der Offen-
barung Johannis, 1511; Folge des Marienlebens, 20 Blätter 1511 (vor
1506 nur das Titelblatt: Apokalyptische Madonna), (s. Abb. 70); Maria, die
Abb. 68. Albr. Dürer, Madonna mit der Birne.
Kupferstich aus dem Jahre 1511.
(Siehe Seite 97.)
Rothes, Madonna.
98
4s?f
Königin der Engel, 1518. Dann geben noch 55 Zeichnungen Dürers die
Gottesmutter wieder.
Albrecht Dürers Mariendarstellungen sind ein familiär-ansprechendes
und devotionelles Element fast durchgängig eigen. Je nachdem sie nach
seinen Auslandsreisen entstanden sind, kann man italienische bezw. nieder-
ländische Einflüsse wahrnehmen. Es ist für den Idealismus des Meisters,
der allzeit ein frommer Verehrer
der heiligen Gottesmutter war,
charakteristisch, daß gerade in
seinen letzten Jahren, als von
der Kirche Abtrünnige die
Marienverehrung bekämpften,
Dürer in demonstrativer Weise
in seinen Darstellungen — wie
übrigens auch in lyrischen Ge-
dichten - - Maria als die Ver-
ehrung heischende Königin des
Himmels, der Engel, der
Heiligen und Menschen feierte.
Wie des Meisters frühestes
Marienbild, eine Federzeich-
nung von 1485 im Kupfer-
stichkabinett zu Berlin, die
heilige Jungfrau gekrönt,
thronend, von musizierenden
Engeln verehrt, zeigt, so waren
seine letzten Arbeiten, Skizzen,
noch eine große Huldigung
gleichsam für die Madonna. Auf
hohem Throne sitztdes Himmels
Königin; Propheten des Alten
Testamentes, Heilige, Engel und
Menschen umringen, loben und verehren sie. Die Skizze war als Vorarbeit
für ein großes Gemälde gedacht, dessen Ausführung der Tod des Malers
verhinderte. Aber auch die Skizzen sagen uns, was das Gemälde werden
sollte: ein feierlicher Protest des treu deutschen und treu katholischen
Dürer gegenüber den von der katholischen Wahrheit Abgefallenen, welche
die unvergleichliche Würde der hl. Mutter des Herrn verkannten.
Auf dem frühesten Marienbilde Dürers (s. Abb. 71), der Berliner Feder-
zeichnung aus dem Jahre 1485, ist also dargestellt die thronende AAuttergottes
Abb. 69. Albr. Dürer, Madonna an der Mauer.
Kupferstich aus dem Jahre 1514.
(Siehe Seite 97.)
* 99 *
mit zwei musizierenden Engeln, im Sinne des Zeitalters der Madonnen
Memlings mit dem Charakter hieratischer Zierlichkeit, in der Formauf-
fassung ein Stück echt altnürnberger Kunst aus der Schule eines Wohl-
gemuth. Von diesem Frühwerk aus wird dann der große Weg betreten
in der Entwicklung des Dürerschen Marienbildes zum Freieren der
Komposition, zum Intimeren, Herzlicheren des seelischen Gehalts, besonders
Abb. 70. Albr. Dürer, Maria mit dem Kinde auf der Mondsichel.
Holzschnitt, Titelblatt zum „Marienleben".
(Siehe Seite 97.)
der Beziehungen zwischen Mutter und Kind, zum formal Vollkommeneren,
zum Grandios-Feierlichen der letzten Altarbildentwürfe. Das Typisch-
Germanische in frühen Darstellungen, wie Maria mit der Meerkatze, Maria
mit den vielen Tieren, mit dem Betonen von Geologischem, Botanischem,
Zoologischem in der Maria umgebenden Landschaft, wobei diese nicht
selten fast ein höheres Interesse beansprucht als Maria selbst, bildet einen
Gegensatz zu den Madonnendarstellungen, welche rein italienisch empfunden
* 100 *
sind — zu den Bildern der Madonna mit Heiligen (s. Abb. 72) im Sinne der
italienischen Sacra conversazione-Tafeln mit italienisierter Formengebung, mit
Abb. 71. Albr. Dürers frühestes Marienbild: Madonna mit den zwei Engeln,
Federzeichnung von 1485. Berlin, Kupferstich-Kabinett.
(Siehe Seite 98.)
völligem Verzicht auf jedwede Umgebung zugunsten hieratischer Feierlichkeit.
Jedoch auch Dürers Madonnen sind nach der zweiten italienischen Reise
(etwa 1506—1511) häufig von dem Schreckbild des Manierismus nicht
* 101 *
«. i? ~«ss». -^31 ' V' \ vis
* 102 *
weit entfernt; die Tendenz zu derber Formenkraft bedingt oft ein Aus-
einanderzerren der Stimmung; betonte äußere formale Schönheit wird oft
mit innerer Gleichgültigkeit erkauft.
Mit dem Jahre 1512 ist bei Dürer eine Vervollkommnung zu kon-
statieren. Anmutigere Formengebung ist größerer Verinnerlichung des
Themas nicht mehr hinderlich. Die Form verbindet sich wieder mit dem
seelischen Gehalt des Bildes. Zeichnungen der heiligen Jungfrau, wie jene
aus dem Jahre 1514 (Oxford, L. 395, Berlin, L. 30) und dem Jahre 1515
(Windsor, L. 390), sind hierfür besonders charakteristisch.
Das für die Spätmadonnen des Meisters vom Jahre 1518 an, dem
Jahre nach Luthers Thesenanschlag, hervorragend charakteristische Merkmal
faßt Wölfflin in seinem ausgezeichneten Buche (Die Kunst Albrecht Dürers,
S. 217) kurz dahin zusammen: „Man sieht einen Stil sich vorbereiten,
der noch entschiedener auf monumentale Wirkung ausgeht! Maria rückt
in zentrale Frontstellung. Das Bildganze wird wichtiger, und der Raum
immer massiger gefüllt. Und dabei geht die Absicht unmittelbarer als
vorher auf das ausgesprochen Feierliche; große krönende
Engel stellen sich ein, und ungewöhnliche Lichterscheinungen sollen
den Eindruck des Sakralen unterstützen." Von derartigen charakteri-
stischen Blättern seien erwähnt: zwei Madonnen mit je zwei krönenden
Engeln, von 1518 (B. 39 und B. 101) (s. Abb. 73), ferner drei Arbeiten aus
dem Jahre 1519: Maria mit heiliger Sippe und krönenden Engeln (Louvre,
L. 322); Maria mit vielen Engeln (Berlin, L. 16); Maria mit musizierendem
Engel (Windsor, L. 391) (s. Abb. 74).
Die letzten Ringe in dieser Kette kirchlich-sakraler, wahrhaft weihe-
voller Mariendarstellungen Dürers bilden, wie schon erwähnt wurde,
Skizzen, Vorzeichnungen zu einem großen Altargemälde, welche die
thronende Königin des Himmels, umgeben von vielen verehrenden Heiligen,
zeigen. Die vier bekanntesten Fassungen befinden sich in Paris, und
zwar drei in der Sammlung Bonnat, eine im Louvre (s. Abb. 75). Detail-
skizzen hierzu sind ebenfalls noch vorhanden, z.B. in Berlin (L. 65); andere,
vermutlich gerade die letzten Vorarbeiten zu dem großen Gemälde, dürften
verloren gegangen sein. Bis zuletzt, bis Krankheit und Tod die Ausführung
hinderten, arbeitete seine Phantasie an dem großen Altarbilde.
Nichts erscheint begründeter als die Annahme, daß die letzten Striche
an der letzten Skizze für das große Marienbild in sein Todesjahr, 1528,
fallen. Und sein berühmtes, zuletzt geschaffenes Werk, die Tafeln mit
den vier Aposteln, sind sie nicht als Stücke, d. h. als zwei Seitenteile
eines Triptychons gedacht? Sollte das Mittelstück die thronende Madonna
werden?
* 103 *
Das Ende des Dürerschen Marienbildes hängt nach Heydrich mit
der veränderten Anschauung der Reformation über den Madonnenkultus
tSK,
Abb. 73. Albr. Dürer, Madonna mit krönenden Engeln.
Zeichnung aus dem Jahre 1518.
(Siehe Seite 102.)
zusammen. Genau das Gegenteil ist zu konstatieren. Es fällt
so in die Augen, daß es gar nicht zu leugnen ist: Vom Jahre 1518 an,'
gerade als man sich gegen die Marienverehrung wandte, und als sich
* 104 *
der Vandalismus der Bilderstürmer zeigte, feierte Dürer in demonstrativer
Weise Maria als die Verehrung heischende Königin des Himmels. Es ist
Abb. 74. Albr. Dürer, Madonna mit musizierendem Engel
Zeichnung aus dem Jahre 1519.
(Siehe Seite 102.)
durchaus nicht bedeutungslos, sondern sehr vielsagend, daß Dürer selbst
nach der offiziellen Einführung der Reformation in Nürnberg noch weiter
das Madonnenthema behandelt, daß aus dem Jahre 1526, zwei Jahre vor
105 x
* 106 *
dem Tode des bereits kränklichen Meisters, noch mindestens drei datierte
künstlerische Verherrlichungen der Gottesmutter stammen, eine Zeichnung,
ein Holzschnitt und ein Gemälde.
Wie die lyrischen Gebetsdichtungen Dürers dieses Kapitel über
Dürer begannen, so mögen andere Worte von ihm, die des Meisters
Gesinnung ebenso unwiderlegbar klarstellen, dieselbe schließen. Auf
einem in der Koburger Kupferstichsammlung befindlichen Exemplare des
1522 entstandenen Holzschnitts Ostendorfers, welcher die Verehrung der
sogen, „schönen Maria von Regensburg" darstellt, schrieb Dürer 1523
eigenhändig nach einem Vermerk, daß Neurer die Anordnung des
Bischofs von Regensburg nicht befolgten, das Gnadenbild in Ehren zu
halten, die Worte: „Gott helfe uns, daß wir die werte Mutter des Herrn
nicht also verunehren, sondern ehren in Christo Jesu. Amen." (Siehe Lange-
Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlaß, S. 381.)
Niederländische Malerschulen.
(Vlamen und Holländer.)
iie Gebrüder Hubert und Jan van Eyck (1370—1426 bezw.
1390—1441) sind die Führer der niederländischen Maler-
schulen. Huberts Vorzeichnung, aber schon Jans Pinsel
dürfte die gekrönte, sitzend betende Madonna auf einem Flügel
des berühmten Genter Altarbilds zu St. Bavon entstammen, welcher die gut
ausgeführte betende heil. Jungfrau in der Kgl. Gemäldegalerie zu Berlin ent-
spricht (s. Abb. 76). Das früheste Marienbild Jans dürfte, abgesehen hiervon,
die mit ihrem Kinde zusammen in einem Buche blätternde, sitzende Mutter
Gottes in der englischen Sammlung Weld-Blundell zu Incehall sein. Auf
des Meisters reifste Zeit gehen folgende Madonnen zurück: jene thronende
mit zwei Heiligen und dem prächtigen Stifter in der Akademie zu Brügge,
genannt Madonna des Kanonikus Pala (s. Abb. 77); die in herrlicher gotischer
Architektur mit Stifter in der Gemäldegalerie zu Antwerpen; eine ähnliche
Federzeichnung in der Sammlung Robinson zu London; ein gleichartiges Ge-
mälde im Berliner Museum, jene in dem perspektivisch wunderbar gegebenen
Kirchenraum auf dem Reisealtärchen der Dresdner Galerie; die thronende,
nährende Mutter Gottes im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main; die
Madonna des Hauses Rothschild zu Paris; die Madonnen „am Springbrunen"
zu Antwerpen und Berlin; endlich die hervorragende, nach dem knienden Stifter
benannte „Madonna des Kanzlers Rolin" im Louvre zu Paris (s. Abb. 78).
Die Kunst des Jan van Eyck hat sich an der vorangegangenen Plastik
und den vorliegenden Miniaturen gebildet. Und zwar gehen speziell für
* 107 *
die Madonnengestaltung die schlanke Erscheinung, die Ruhe und Majestät,
der Faltenwurf der Gewandung auf plastische Vorbilder zurück; die
steinerne Statue einer
sitzenden Madonna in
der Johanneskirche zu
Lüttich, eine im erz-
bischöflichen Museum
zu Utrecht, eine mar-
morne in der Kathe-
drale von Antwerpen,
eine hölzerne aus
Brügge aus der Samm-
lung des OrafenDurrieu
waren geeignete Vor-
bilder. Die Kompo-
sition der Gottesmutter
mit Stiftern und Hei-
ligen, ein Lieblings-
thema der van Eyck
und ihrer Nachfolger,
fand sich ebenfalls, in
Relief, z. B. auf dem
Grabstein des Lanzelot
von Bertaimont in
der Kirche von Saint
Maudrou zuMons, aus
dem Jahre 1418, zur
Nachahmung ein-
ladend, schon vor. Von
Miniaturen dagegen ist
der physiognomische
Typus van Eyckscher
Himmelsköniginnen
abgeleitet. Das rund-
liche Köpfchen, die
zarten Hände mit den
spitzen Fingern, das von der hohen Stirn zurückgekämmte Haar, das in
langen Strähnen über Hals und Nacken wallt, die ziemlich kleinen, etwas
verträumt dreinschauenden Augen, die längliche Nase, das feine Mündchen
mit den gewellten Lippen, schließen sich völlig an den Typus an, wie er
Phot. Haufataengi.
Abb. 76. Hub. und Jan van Eyck, Maria.
Berlin, Kgl. Gemäldegalerie.
(Siehe Seite 106.)
* 108 *
in niederländischen, burgundischen, französischen Miniaturen zur Regel
geworden war. Man vergleiche als Beispiele die Chronik von Cluny,
ca. 1200, Psalter für Ludwig den Heiligen in der Pariser Nationalbibliothek,
Bibel des Johannes von Brügge im Museum Westrhenianum zu Haag,
das livre d'heure du duc de Berry zu Chantilly, usf.
Abb. 77. Jan van Eyck, Madonna des Canonicus Pala (Brügge).
(Siehe Seite 1 06. i
Für die van Eycksche Auffassung der Madonnen sind charakteri-
stisch: edle Einfalt, stille Größe, feierliche Ruhe des Ausdrucks, plastischer
Faltenwurf der Gewandung, ausgebildeter Sinn für Perspektive, Natur-
schönheit und mächtige Architektur des Hintergrunds, warmes, harmonisch
gestimmtes Kolorit. Namentlich letzterer Punkt kann nicht wundernehmen,
da ja doch die Gebrüder van Eyck als erste in der Kunst für die
* 109 *
Oelfarbe dauernde Verwendung erwirkten. Maria hat meist außer Heiligen
kniende Stifter in ihrer Nähe; nirgends findet man diese Stifterbilder so
häufig wie in der altniederländischen Kunst. Als Himmelskönigin voller
Feierlichkeit und Erhabenheit, ja fast mit einem Zuge des Unnahbaren
erscheint sie durchweg, obwohl sie der Maler immer vom Himmel herab
Abb. 78. Jan van Eyck, Madonna des Kanzlers Rolin. Paris, Louvre.
(Siehe Seite 106.)
auf die Erde versetzt, mit Vorliebe in eine geräumige gotische Kirche,
aber auch in eine Halle oder Loggia, mit Durchblick in weite Natur.
Ohne an Feierlichkeit dadurch einzubüßen, wirkt am innigsten in der
Empfindung Jans „Madonna am Springbrunnen" in Antwerpen. Hier hat
die altkölnische Schule eingewirkt. Maria steht in einem Blumengarten;
vor ihr, rechts, plätschert ein Brunnen. Das Motiv, daß Engel hinter der
* 110 *
heiligen Jungfrau einen Teppich ausgebreitet halten, das Jan hier
verwertet, war ebenfalls gerade bei den Kölnern sehr beliebt; schon vorher
kommt es in Italien vor. Lorenzo Monaco, Fra Angelico bedienen sich
seiner. Diese übernahmen es aus Siena. Der sienesischen Malerschule
gebührt die Ehre der Erfindung des Motivs, das auch Jan van Eyck auf
seiner Modonna am Springbrunnen zu schöner Geltung bringt, das sich
übrigens auch in Frankreich eingebürgert hat, so in einem Wandgemälde
der Kathedrale von Clermont (XIV. Jahrhundert), im Widmungsbilde der
Handschrift Cite de dieu (Paris, bibl. frang. nat. 22, 912) und auf einem
Bilde von 1421 im Hospiz Belle zu Ipres.
Mit diesen Angaben über die Kunst des Jan ist nicht nur die van
Eycksche Schule charakterisiert, sondern mehr oder weniger die ganze
frühniederländische Kunst. So halten sich die Arbeiten des Petrus
Christus (gest. um 1475): „Heilige Jungfrau mit den Heiligen Franz und
Hieronymus" im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main; „Madonna
mit Heiligen und Stifter" in der Sammlung Rothschild zu Paris; „Madonna
mit Stifter" im Berliner Museum und in der Wiener Albertina, Madonna
im Metropolitan-Museum zu Newyork, in vielen Beziehungen an die
van Eycksche Art. Künstlerischen Fortschritt betätigt Petrus Christus darin,
wie er die heilige Mutter und die sie umgebenden Personen kunstvoll
in den Raum hineinkomponiert. Er ist nicht mehr mit ungefähr richtig
gegebener Perspektive zufrieden, sondern er konstruiert den Raum nach
mathematisch berechenbaren Gesetzen.
Eine Künstlergestalt, die gleichzeitig neben Jan van Eyck wirkte,
kaum viel weniger interessant, wenn auch weniger vielseitig und scharf
individualisierend, weniger losgelöst vom Mittelalterlichen und weniger
selbständig, weniger epochemachend, aber in seiner Zeit kaum weniger
berühmt, war Rogier van der Weyden aus Tournai (1400 — 1464).
Auf Rogier führt man Madonnen in Wien, London, Berlin, Antwerpen
und — noch am besten beglaubigt — im Städelschen Institut zu Frankfurt
am Main zurück. Sehr berühmt und gefeiert war die Komposition: wie
der heilige Lukas die Madonna malt; sie ist nur in vier Repliken: Peters-
burg, in der Sammlung Wilczek, im Museum zu Boston, und — die beste —
in der alten Pinakothek zu München (s. Abb. 79), erhalten. Die Komposition
geht sicher auf Rogier zurück. In dem malenden heiligen Lukas liegt
sein Selbstporträt vor. Das beweist ein Vergleich mit dem Porträtbild
Rogiers in der Galerie zu Hermannstadt. In der Auffassung war Rogier
von Jan van Eycks Madonna des Kanzlers Rolin hier abhängig. Nicht
nur die Gegenüberstellung der beiden Hauptfiguren ist parallel, nicht nur
die offene Halle, in der sich die Szene abspielt, mit Durchblick auf
* 111 *
Landschaft und Fluß ist gleichartig, nein, die Uebereinstimmung der
beiden Gemälde geht bis zu demselben Muster der Säulenkapitäle, bis
Phot. Haüfstaengl. ~
Abb. 79. Rogier van der Weyden, Der hl. Lukas, die Madonna malend.
München, Pinakothek.
(Siehe Seite 110.)
zu dem Motiv des Fensters über dem Durchblick der Halle, bis zu den
zwei kleinen Staffagefigürchen in halber Ferne, die in den Fluß schauen.
* 112 *
Aber eines ist auch sofort erkennlich: van Eyck detailliert viel mehr, weit
subtiler, namentlich den landschaftlichen Hintergrund und den Fußboden
der Halle, während bei Rogier offensichtlich die Madonna und der
heilige Lukas Hauptsache, alles andere im Bilde aber eben Neben-
sache bleiben.
Unter dem Einflüsse seiner Italienreise steht Rogiers „Madonna mit
Heiligen" im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main. Und zwar hat
sich an einen bestimmten Meister Rogier in ganz auffallender Weise
gehalten, an Fra Angelico da Fiesole. Maria steht auf einer Estrade vor
einem Kriegszelte, dessen Vorhang Engel zurückschlagen. Die Motive des
Kriegszeltes wie der haltenden Engel sind von Fra Angelico entlehnt,
wenn auch das Motiv des Kriegszelts bereits in altniederländischen Minia-
turen vorkommt, so in den tres riches heures du Chantilly und in den
heures de Turin. Von Fra Angelico stammt die bisher ungewohnte, engere,
geschlossenere und zugleich belebtere Gruppierung der Heiligen um die
Gottesmutter, von ihm die gemalte Leiste, die in ihrer Profilierung das
Bild nach unten abschließt, von ihm das blumige Terrain und vor allem
die Vase mit Blumen zu Füßen der heiligen Jungfrau. Im Anschluß an
Fra Angelico ist selbst das Gesicht Mariens hier feiner und ovaler geworden
gegenüber den noch breiteren, derberen Formen der Madonna mit dem
heiligen Lukas, die dem van Eyckschen Typus verwandt sind. Die weit-
gehende Beeinflussung Rogiers durch Fra Angelico ist leicht erklärlich.
Beide Meister arbeiteten - - wenn auch nicht gleichzeitig — in Florenz
für Cosimo von Medici, ersterer die eben besprochene Madonna, die
außer von Petrus und Johannes dem Täufer von den beiden Patronen
des Hauses Medici, Kosmas und Damian, umgeben ist, letzterer in der
Zelle des Klosters, die sich Cosimo für sich selbst einrichten und ausmalen
ließ. Wie müssen des Fra Angelico Fresken in San Marco und des
frommen Klosterbruders Kunst überhaupt den gleichgestimmten Rogier
zur Nachahmung begeistert haben ! Auch in anderen Bildern, die hier zu
besprechen außerhalb unseres Themas liegt, sind die Uebereinstimmungen
in der Kunst Rogiers und des Mönches von San Marco geradezu in
Erstaunen setzend. Diese hochwichtige Tatsache wurde aber auch in den
neuesten Forschungen über altniederländische Kunst, speziell über Rogier,
wieder völlig übersehen ; sie sei daher an dieser Stelle — zum ersten-
mal — besonders stark betont.
Auf Rogier, der die Anregung dazu aus Italien mitbrachte, geht auch
das niederländische Halbfigurenbild der Madonna zurück, das Maria
gleichsam als Porträt nach der Weise weltlicher Personendarstellung zeigt.
Solche Bilder sind z. B. im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin, in der
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* 113 *
Galerie zu Antwerpen, im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main, in
der Sammlung Traumann zu Madrid (dort dem Gerhard David zu-
geschrieben) und im Suermondt-Museum zu Aachen (dort dem Meister
der Ursulalegende zugeschrieben).
Ebenfalls Halbfigurenbilder der Mutter Gottes werden dem Hugo
van der Goes (ca. 1440—1482) zuerkannt: Triptychon mit Stiftern im
Städelschen Institut zu Frankfurt am Main, in der Gemäldegalerie zu
Kassel, in der Sammlung Layard zu Venedig und im Bargello zu Florenz.
Auf diesen Halbfigurenbildern nun ist Maria weiter sichtbar als auf jenen
des van Rogierschen Typs: bis über die Hüften. Das Verhältnis zwischen
Mutter und Kind ist abwechslungsreicher, origineller gestaltet. Auf dem
Frankfurter Bilde hebt der älter als sonst bei den Niederländern gegebene
Knabe eine Nelke empor mit einer Gebärde, als wolle er sie dem
Beschauer zuwerfen; auf dem Kasseler Bilde hüllt Maria das Kind sorglich
in ihren Mantel ein, während sie es säugt. Auf dem Florentiner Bild
drückt die Mutter das Kind an sich, während es seine beiden Aermchen
um ihren Hals schlingt und ihren Mund küßt. Tiefe Melancholie spricht
aus den Zügen von Mutter und Kind auf dem Bilde zu Venedig. Wie
entgeistert starren die vier Augen ins Leere. Gedankenvoll läßt das
göttliche Kind eine lange Kette durch seine Finger gleiten. Hier vor
allem hat der Künstler seinen eigenen Schwermut, der oft an Wahnsinn
grenzte, seinem Kunstwerk eingeprägt. — Die Vorbilder für die überaus
herzlichen Motive in den Beziehungen zwischen Mutter und Kind, wie
sie unser Meister in den Bildern zu Florenz und Kassel brachte, waren in
Siena die Werke eines Ambruogio Lorenzetti und eines Simone Martini.
Auf einer Italienreise 1476, also kurz vor seinem Eintritt als Laienbruder
in das Kloster Rodendale bei Brüssel, malte van der Goes in Florenz, im
Auftrage der Familie Portinari, für das Spital Santa Maria Nuova seine
jetzt in den Offizien befindliche große „Geburt Christi". Bei dieser
Gelegenheit muß er auch in Siena gewesen sein. Seine Modellierung
des Madonnenkopfes, oval, unten spitz zulaufend, ähnelt weit mehr dem
von den Sienesen Duccio geschaffenen als dem van Eyckschen Typus. Die
Engel auf dem Portinari-Altar, ihre Tracht, Frisur, das Blumenkränzchen,
welches das Haar schmückt, dann die Vasen mit Blumen im Vordergrunde
sind direkt sienesischen Mustern entlehnt.
Typisch niederländisch — von jeglichem fremden Einfluß weit
entfernt — sind dagegen wieder in allen Hinsichten des sog. Meisters
von Flemalle (ca. 1400—1450) Madonnen im Städelschen Institut zu
Frankfurt am Main und in der Sammlung Salting zu London. Beidemal
säugt Maria ihr Kind, in Frankfurt auf blumigem Rasen, stehend vor
Rothes, Madonna. 8
* 114 *
einem aus Brokatstoff gespannten Hintergrund, in London in einem
Zimmer sitzend. Gerade im letzten Bild offenbart sich der Künstler als
origineller Meister. Die fast zu massiv wirkende Madonna mit ihrer
statuarischen Formengebung sitzt in einem in die Tiefe führenden Zimmer-
ausschnitt. Wir sehen einen Teil der Wand mit Fenster und Kamin,
beides nach oben vom Bildrand durchschnitten. Diese Art der Behandlung
eines Innenraums, die durch starkes Beschneiden der Wände dem
Beschauer es überläßt, den Rest des Zimmer in seiner Phantasie zu ergänzen,
ist eine kühne Erfindung des Meisters von Flemalle. Nicht von ihm
eigenhändig ausgeführte Schulbilder sind die kleine Madonna der Turiner
Pinakothek und die — in ihrer Auffassung für die altniederländische
Malerei einzigartige - - Madonna in der Glorie des Museums von Aix.
Die Himmelskönigin sitzt mit dem göttlichen Kinde auf einer breiten, in
den Lüften schwebenden Bank. Auf der Erde sitzen rechts und links
zwei Heilige. Zwischen diesen kniet ein Mönch, der Stifter. In der
Petersburger Eremitage zeigt in einem Zimmer, am Ofen, eine Madonna,
die den Knaben auf dem Schoß hat und sich die Hand am Feuer wärmt,
um nicht durch Berührung mit den kalten Fingern das Kind zu erschrecken,
künstlerische Verwandtschaft mit der Madonna Salting in London.
In der Auffassung, als Halbfigurenbild, und ebenfalls ihr Kind säugend,
verwandt mit van der Goes, in der Typik aber mehr an die Madonnen des
Meisters von Flemalle erinnernd, erscheint, vor einem Fenster, dem vor ihr
auf einer Brüstung sitzenden Jesuskinde eben die Brust reichend, die Madonna
des aus Haarlem stammenden Holländers Dirk Bouts (ca. 1410 - 1475)
in der Sammlung Salting zu London. Man hat das Bild wegen der
„edlen Opulenz der Gestalt der Madonna, des wunderbar schönen, weichen
Flusses ihres Haares, der prachtvollen, so fein bewegten Hand, des ge-
diegenen Reichtums der satten glänzenden Farbe und der unendlich zarten
Intimität der Stimmung" mit Recht als „ein Meisterwerk ersten Ranges"
gefeiert. Von diesem Stücke zweifelsohne abhängig, ja vielleicht aus
Bouts Atelier stammend, sind Madonnen der Sammlungen Correr, Pourtales,
Davis in Newport.
Aus der Schulung durch Dirk Bouts läßt die neueste Stilkritik auch
die Kunst des Hans Memling (1430 — 1495) hervorgehen. Ein Früh-
werk des Meisters ist das Triptychon mit der thronenden Madonna,
Heiligen, Engeln und Stiftern zu Chatsworth in der Sammlung des
Herzogs von Devonshire. Die Typik der umgebenden Heiligen, Stifter
und Engel erinnert in der Tat an Dirk Bouts, während das Antlitz der
Madonna in der Innigkeit des Ausdrucks wie im Formalen an Vorbilder
der altkölnischen Schule gemahnt. Unser Künstler ist in Mömlingen in
* 115 *
Phot. Hanfstacngi.
Abb. 81. Hans Meinung, Maria mit dem Kinde.
Wien, Kaiserl. Gemäldegalerie.
(Siehe Seite 116.)
* 116 *
der Diözese Mainz geboren, verlebte seine Jugend nahe bei dem deut-
schen Rhein, und was ist natürlicher, als daß er reiche künstlerische
Jugendeindrücke schon mitbrachte, als er sich in den Niederlanden
niederließ. Die von ihm beliebte, weißlich graue Färbung geht sicherlich
auch auf das übermäßige Verwenden von Weiß in der niederrheinischen
Schule zurück. Vor allem muß die holdselige Empfindung, die in Memlings
Madonnen lebt, als deutsche Eigenart, als Einwirkung durch die lyrisch-
zarten Madonnen der alten Kölner bezeichnet werden. Durch Memlings
deutsche Reminiszenzen kam eine bisher ungewohnte, liebliche, poetische
Stimmungsnote in den Realismus der niederländischen Madonnen-Malerei.
Wenn Maria und das Kind im duftigen Haine, im Blumengarten sitzen,
wenn die Heiligen und Engel freier, näher und ungezwungener um Maria
herum gruppiert sind, mit der heiligen Jungfrau oder dem Kinde in
Beziehung treten, ihnen vormusizieren oder vorlesen, mit dem kleinen
Jesus spielen, sich, wie die heilige Katharina, von ihm einen Ring anstecken
lassen, so finden sich Vorbilder oder Parallelen hierzu weit eher bei den
Kölnern als bei den Niederländern. In diesem Sinne sind Memlings herr-
lichste Madonnenbilder komponiert; so: „Madonna mit Verlobung der
heiligen Katharina" im Louvre zu Paris, Altarbild der Spitalbrüder im Johannes-
spital zu Brügge; Madonna mit Stifter im Hofmuseum zu Wien (s. Abb. 81),
Maria mit Engeln in den Uffizien zu Florenz, im gotischen Haus zu
Wörlitz, Madonna in der Londoner Nationalgalerie. —
Ein originelles Motiv, welches beweist, daß der Meister auch bestrebt
war, kraft eigener Erfindung neues und bewegtes Leben in die Madonnen-
darstellung zu bringen, zeigt die Madonna der Galerie Liechtenstein in Wien
aus dem Jahre 1472. In einem weiten gotischen Gemach hat sich Maria so-
eben von der mit einem Baldachin überdachten Bank erhoben und ist nun
aus dem Hintergrunde des Gemaches nach vorn geschritten, wo ihr der
heilige Antonius einen knienden Stifter empfiehlt. Im Jahre 1487 malte
Meinung die Madonna des Martin Nieuwenhove auf dem einen Teile des
nach dem 23jährigen Stifter benannten Diptychons. Maria, im Brustbilde
gegeben, reicht dem vor ihr auf einer Art Brüstung sitzenden Kinde einen
Apfel dar. Das Gemach der heiligen Mutter ist durch reiche, prächtige
Glasfenster, durch einen an der Wand hängenden Rundspiegel und köst-
liche Teppiche reicher ausgestattet als auf allen früheren Halbfiguren-
bildern. Ein Streben nach üppiger Pracht und größerem Reichtum,
zumal auch in der Profilierung und Umrahmung auf italienische Art
hinweisend, gibt sich besonders in Spätmadonnen des Künstlers kund.
Während auf dem Marienbilde des Ursulaschreins zu Brügge ein gotischer
Spitzbogen oben abschließt, bildet auf anderen Tafeln zu Wien, Wörlitz
* 117 *
und Florenz ein Renaissancebogen die Rahmung, die oben dicke Frucht-
kränze verzieren, von kleinen Putten gehalten. Am charakteristischsten
für die italienische Beeinflussung ist das Bildchen im Wiener Hofmuseum.
Hier stehen auf den Kapitalen der Säulen, die den einfassenden Bogen
tragen, Putten, die das Ende der Girlanden kräftig anziehen, während von
der Laibung des Bogens aus andere Putten dieselben gerade über dem
Haupte der Madonna befestigen (s. Abb. 81). Da Memling selbst niemals in
Italien war, so ist an den vermittelnden Einfluß französischer Miniaturen zu
denken. Wenn Memling mit der französichen Miniaturmalerei so vertraut
war, daß man ihm lange Zeit die dem Franzosen Simon Marmion von
Valenciennes nahe stehenden Malereien der Orgelbrüstung aus Najera hat
zuschreiben können, warum sollten nicht in unserem Falle ihn aus ihm
bekannten Werken eines italienisierenden französischen Manieristen, wie
z. B. Jean Fouquet, Motive zur Nachahmung gereizt haben?
Unter dem Einflüsse von Hans Memling steht Gerard David (1460
bis 1523) aus Oudewater, meist in Brügge tätig. Seine Madonnen mit
Heiligen, Engeln und Stiftern in der Nationalgalerie zu London und im
Museum zu Rouen zeigen das bei Memling übliche Schema. Der Flügel-
altar im städischen Museum zu Brügge zeigt Eigentümlichkeiten in der
Raumverwendung. Die ruhig, scheinbar für sich in Abgeschlossenheit
sitzende Gottesmutter muß sich mit der Außenseite eines Flügels begnügen;
die Hauptflächen nehmen die Gruppen der Stifter und Heiligen ein. Die
thronende Madonna, ganz allein, gibt David in einem Bilde des Museums
Brignole Säle in Genua. Maria als Halbfigurenbild in der Art eines
Rogier, Memling und van der Goes wählte der Maler in Bildern beim
Baron de Bethune in Brügge, in den Sammlungen Traumann in Madrid,
Martin le Roy in Paris, Clemens in München und zu Schleißheim. Die
drei letzten dürften Schülerhänden entstammen. Die niederländische Ader
für Genremalerei greift bei David gelegentlich auch in die religiösen
Darstellungen hinüber. So legt er auf dem Londoner Bild allerlei Gerät
zu den Füßen des Stifters und setzt ein Windspiel daneben. In dem
Madrider Bilde bereitet Maria dem Kindlein gerade eine Suppe. Wie
Memling gewöhnlich einen Apfel, gibt David dem Kind eine Weintraube
in die Hand, das Symbol des heiligen Meßopfers, der Verwandlung des
Weines in das heilige Blut. Folgende Erscheinungen sind im allgemeinen
für die Marienbilder Gerard Davids charakteristisch : unselbständiges
Nachahmen, beginnender Manierismus, Nachlässigkeit, die oft zur Fehler-
haftigkeit wird in Gestaltung des Raums und der Perspektive, kurz:
Beginn eines künstlerischen Niederganges. Dem stehen auf der anderen
Seite in Davids Kunst auch Anzeichen einer neuen Zeit gegenüber:
* 118 *
Maria wird menschlich-weltlicher, irdischer. Und vor allem an Stelle der
feierlichen Gewandung bemerken wir schon an seinen Madonnen das
Modekostüm der damaligen Zeit.
Besonders stark machen sich italienische Einflüsse seit Beginn des
16. Jahrhunderts geltend. Quentin Massys (1460 — 1530) thronende
Madonnen in den Berliner und Brüsseler Museen, betende Maria, Ant-
werpen — Lukas van Leyden (1494 — 1533), — heilige Jungfrau mit
Engeln, Berlin, Cornelisz von Oostsanen (ca. 1490 — 1535), —
Maria mit Kind und musizierenden Putten (Hausaltärchen), Berlin — seien
diesbetreffend genannt. Quentin Massys geht bei seinem Studium der
italienischen Kunst und in der Aufnahme italienischer Motive von großen
Gesichtspunkten aus. Kraft stark ausgeprägter Individualität weiß er bei
seinem Streben nach monumentaler Gestaltung italienische Elemente mit
niederländischer Art ungezwungen frei und doch harmonisch zu ver-
schmelzen. Und so kommen wir vor den zugleich erhabenen und zugleich
gefühlswarmen Madonnen des Meisters zu vollem künstlerischen Genüsse.
Bei anderen dagegen, besonders bei Jan Gossaert, gen. Mabuse
(ca. 1470 — 1541), wirkt die Nachahmung der Italiener direkt manieriert,
vergl. „thronende Madonna mit musizierenden Engeln" im Museum zu
Palermo, und die in den Lüften schwebende, von Wolken und Engeln
getragene Madonna, wie der heilige Lukas sie malt, im Hofmuseum zu
Wien. Besonders bei letztem Bilde, in dem die Szene in einer Kirche
spielt, förmlich überladen mit Renaissance-Bögen, Pfeilern, Nischen, herum-
schwirrenden Putti, wirken die Italianismen überaus aufdringlich.
Eine neue und letzte Epoche in der Geschichte des niederländischen
Marienbildes begann mit dem genialen Vlamen Peter Paul Rubens
(1577 — 1640). Er rettete es vor dem Untergang im Manierismus. Sein
kraftvolles Wesen trotzte allen fremden Einflüssen, in welchen die Vorgänger
untergegangen waren, ohne nur im geringsten auf die Errungenschaften
der italienischen Renaissance zu verzichten. Die Größe und Freiheit der
Italiener verbindet er mit dem derben Realismus der Niederländer; schwung-
voll und doch einheitlich formt er sich daraus einen eigenen neuen Stil.
Michelangelos gewaltige Formensprache, Tizians leuchtende Farbenglut,
Paolo Veroneses genialisch leichte Kompositionsweise erkennen wir in
seinen kühnen Madonnenkompositionen. Und doch spiegelt sich in ihnen
zugleich deutlich und unverkennbar das kraftvolle germanische Volks-
tum, das urwüchsig derbe flandrische Naturell wieder. Die Madonnen,
prächtig-gesunde, herrlich-schöne, starke Frauen, die umgebenden Heiligen
ein kraftvolles Athletengeschlecht, meist in gewaltiger Bewegung, dieEngels-
putti gesundheitsstrotzende, blühend frische, kleine, nackte vlämische
* 119 *
Bauernbuben, so atmen seine Bilder eine den Beschauer hinreißende Lebens-
lust. Daß die Kompositionen der Himmelfahrt und der Krönung der seligsten
Jungfrau hierbei dem Künstler besonders gut lagen mit ihren Nuancen des
Jubels und der Verzückung folgt dann von selbst. Aber auch die auf die
gleiche jubilierende Note gestimmten Altarbilder der von Heiligen ver-
ehrten oder von Engeln umschwärmten Himmelskönigin sind nicht selten:
Museum zu Grenoble, Santa Maria in Vallicella zu Rom, Museum zu
Phot. Hanstaengl.
Abb. 82. Peter Paul Rubens, Madonna im Blumenkranz. München, Pinakothek.
(Siehe Seite 119.)
Antwerpen (zweimal), ebenso zweimal, davon einmal „im Blumenkranz" im
Louvre zu Paris, Eremitage zu Petersburg, Museum zu Lille „mit dem
heiligen Franz", Alte Pinakothek zu München „im Blumenkranz" (s. Abb. 82),
in Worms bei Freiherrn von Heyl zu Herresheim, im Museum zu Lyon
„als Fürsprecherin für die Menschheit", Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin,
zweimal, Museum zu Brüssel, Galerie zu Kassel „mit den bußfertigen
Sündern", Städelsches Institut zu Frankfurt am Main, Augustinerkirche zu Ant-
werpen, Jakobskirche, ebenda, und bei Frederick Cook in Richmond. —
* 120 *
Das Gewand der Rubensschen Madonna ist meist das damals von
den vlämischen Damen getragene Modekostüm des beginnenden 17. Jahr-
hunderts. Modell für die heilige Jungfrau waren dem Meister, sozusagen
durchgängig, je nach der Zeit der Entstehung der Bilder, seine erste Frau:
Phot. Haofstaeogl.
Abb. 83. Anton van Dyck, Die Madonna mit dem kl. Jesuskinde und Johannes.
München, Pinakothek.
(Siehe Seite 121.)
Isabella Brant oder seine zweite: Helene Fourment, wie er denn auch als
Jesus- und Johannesknaben gerne seine Söhnchen porträtierte. Nach all dem
glaube man aber nicht, daß die Rubensschen Madonnengemälde in ihrer
Zeit trivial gewirkt hätten. Im Gegenteil, sie rissen die Gläubigen zur
Begeisterung hin und entsprachen durchaus der Strömung der Zeit. Rubens
* 121 *
war ein frommer Mann, der jeden Tag die heilige Messe hörte, und ein
besonderer Günstling der Jesuiten. Nun denke man an die damals er-
richteten prunkvollen Barockkirchen im Jesuitenstil mit ihrem fortissime
der Wirkung! Was ließ sich Glanzvolleres denken als diese schmuckvolle,
prachtstrotzende Ausstattung, die kostbaren Altäre mit den dickplastischen
Ornamenten und der strahlenden Goldverzierung und, gleichsam als Perle
im Golde, das Altarbild: in Farbenglut getaucht, von Engeln umrauscht,
formenkräftig und pompös: eine Madonna von Rubens.
Von hoher Begabung war auch der Rubens-Schüler Anton van
Dyck, aber weit weniger originell als sein großer Lehrer. Seine Madonnen
sind nicht frei von Manier, sei es, daß der Künstler die Italiener, zumal
die Venezianer, sei es, daß er Rubens zu engherzig, unselbständig nach-
ahmt. Erinnert sei an seine beiden Arbeiten in der Pinakothek zu München
„Maria mit den kleinen Jesus und Johannes" (s. Abb. 83) und „Mutter Gottes
mit zwei Stiftern" und an das Brustbild der Madonna in der Galerie zu
Sanssouci.
In dem gewaltigen Werke des genialen Holländers Rembrandt
van Rijn (1606 — 166Q) von mehr als 600 Gemälden und 2000 Zeichnungen
zeigt nur ein einziges Blatt (Bartsch 61) aus dem Jahre 1641 — wenn man
von Schilderungen der biblischen Geschichte, in welchen Maria handelnd
auftritt, absieht — die heilige Mutter mit dem göttlichen Kinde. Aber wie?
in seiner Art meisterhaft gezeichnet, besonders in der wahrhaft künstlerischen,
echt rembrandtesken Verteilung von Schatten und Licht bedeutend, ruht auf
Wolken ein erschreckliches Weib mit einem noch häßlicheren Kind im
Arme. Dies Bild kann und soll auch nicht andächtig wirken und fällt nicht
mehr unter die Rubrik religiöse Kunst. Entsinnt man sich dann vor einer
solchen Rembrandtschen Radierung der glanzvoll repräsentativen, himmlisch
berückenden Madonnenmalerei eines Rubens, dann erkennt man die un-
überbrückbare Kluft, die nach der Kirchenspaltung zwischen nördlich-
holländischer und vlämischer Kunst gähnte, wo Religion und Kirche zu
künstlerischer Betätigung begeisterten und wo nicht.
Die Franzosen.
)er byzantinische Marientyp muß frühzeitig in das französische
Gebiet eingedrungen sein und hat sich dort ziemlich unverfälscht
bis in das XIII. Jahrhundert hinein erhalten. Die erhaltenen
Bildsäulen und Statuetten dieser Zeit, z. B. jene aus Moissac, aus
dem XIII. Jahrhundert, lassen darüber keinen Zweifel (s. Abb. 84). Die
geschlitzten Augen, die hochgewölbten Augenbrauen, die lange, schmale
122
Nase, die sich unter der Kuppe durch die ausgewölbten Nasenlöcher
unschön erbreitert, der breite Mund, das über den Kopf gezogene Gewand,
die steife Haltung, das greisenhafte Kind in der hockenden Stellung, der
Thron, alles das sind
rein byzantinische
Motive, zu welchen
allerdings schon die
technisch feinere Mo-
dellierung des Ge-
wandes, auch in etwa
des Gesichts und der
Hände nicht mehr
recht passen wollen.—
Im XIV. Jahrhun-
dert überrascht uns
dann ein völlig neues,
französisch-nationales
Madonnen-Ideal, zu-
nächst in Miniaturen.
Gerade in Miniaturen
absorbierte sich da-
mals die beste Kraft
der ersten franzö-
sischen Maler. Die
Miniaturen des jetzt
in Chantilly aufbe-
wahrten Gebetbuchs
des Herzogs Jean de
Berry, die sog. „tres
riches heures du duc
de Berry", vielfach
den durch die Pariser
Schule ausgebildeten
Brüdern von Lim-
purg zugeschrieben,
verraten beispiels-
weise solche tüchtige
Meister, die sehr
Abb. 84. Madonnen-Statue aus Moissac, wohl imstande ge-
französische Schule des XIII. Jahrhunderts. Paris, Cluny-Museum. wesen sein mußten
(Siehe Seite 121.)
* 123 *
in Beobachtung schöner französischer Rassetypen aus dem Volke, in
Veredlung und Verfeinerung derselben ein neues Madonnen -Ideal zu
gründen. Die An-
fänge zu diesen
französisch - natio-
nalen, an Byzanz
in keiner Weise
mehr erinnernden
Muttergottesdar-
stellungen finden
sich schon vor
1400, so charakte-
ristisch in einem
Stundenbuch (livre
d'heures)imCluny-
Museum zu Paris.
Verherrlicht ist die
Regina angelorum,
Maria, von jubeln-
den und musi-
zierenden Engeln
umschwärmt (s.
Abb. 85). Die
Himmelskönigin
ist sehr zart und
schmächtig gege-
ben, fast ätherisch,
mit wallendem
Haar, das ein Dia-
dem schmückt, in
langem, kostbarem
Oewand, die Stirn
hoch, die Nase
schmal, vornehm
leicht gebogen, das
Mündchen über-
trieben zierlich
klein, fast wie ein Punkt, dem ganzen Eindruck nach: ein etwa sechs-
zehnjähriges Fürstenkind aus vornehmstem Geschlecht. Und dann fällt
noch ein Zug auf: Es blitzt etwas wie ein schalkhaftes Lächeln aus den
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Abb. 85. Regina Angelorum.
Mittelstück einer französischen Miniatur des livre d'heures,
XIV. Jahrhundert. Paris, Cluny-Museum.
(Siehe Seite 123.)
124
Augen. In diesem frühen Bilde ist nun in der Tat schon der französische
Marientypus, an dem sich die späteren Zeiten halten, fest ausgeprägt.
Namentlich sind es die zwei Züge, die für alle Zeiten charakteristisch sind:
a) das Höfisch-Vornehme, b) das Lächelnde in der Physiognomie, nur bei
wenigen großen Meistern der gotischen Periode herzliche, innere Freude
glaubhaft bezeugend, sonst konven-
tionell, ja — zumal in den Zeiten des
Rokoko und Barock — hochmütig
und spöttisch wirkend.
Mit der Blüte der gotischen Bau-
kunst in Frankreich war auch eine
Blüte der Plastik verbunden. Es gab
im XIII. und XIV. Jahrhundert keine
Kathedrale, keine Kirche, die nicht im
reichsten Skulpturenschmuck prangte.
Die Statue der heiligen Jungfrau aber
durfte an keiner fehlen; an den meisten
befand sie sich mehrfach. Im An-
schluß an die vertikalen Linien der
Architektur wird die Figur in frei
umwallendem Gewand graziös und
schlank gemeißelt. Die Streckung der
Statuen steigert den Eindruck des
Symmetrischen. Die starren, geraden
Linien wurden dann dadurch wirk-
sam gebrochen, daß der Körper in
der Hüfte leicht eingebogen und
das Obergewand in horizontale oder
schräge Falten geworfen wurden. —
Eine Sonderstellung nimmt Bur-
gund ein. Das Zusammentreffen von
französischen und niederländischen
Künstlern in Dijon am Hofe der bur-
gundischen Fürsten weist schon dar-
auf hin, daß von einer geschlossenen
burgundischen Schule, die aus heimischen Wurzeln emporwächst, kaum die
Rede sein kann. Der Wechsel in den Maßverhältnissen, der Ersatz der
schlankeren Figuren durch breitgedrungenere, derbe Formen, ein Zug
größerer Strenge im Gesichte der Madonnen dürften auf den Einfluß der
Niederländer zurückzuführen sein. Ein bezeichnendes Beispiel für den so
Abb. 86
Madonna mit dem göttlichen Kinde.
Marmor-Statue
aus der Schloßkapelle zu Ecouen,
16. Jahrhundert. Paris, Louvre.
(Siehe Seite 125.)
* 125 *
gewonnenen Typ ist eine aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
stammende Marmorstatue der heiligen Mutter mit dem göttlichen Kinde
aus der Schloßkapelle von Ecouen, jetzt im Louvre (s. Abb. 86). Den
Höhepunkt der burgundischen Kunstrichtung bedeuten die Bildhauer-
arbeiten des Klaus Slüter (ca. 1350—1411), den an kräftigem Realismus
der Durchbildung die späteren Künstler kaum erreichten, und der in seiner
in Haltung wie Gewandung kraftvoll bewegten Madonna am Portal der
Chartreuse von Dijon eines seiner Meisterstücke schuf.
Wenn gelegentlich italienische Kunst auf französische einwirkte, so
bekam die letztere leicht etwas Manieriertes, Langweiliges, so schon bei
Jean Fouquets (1415 — 1480) „betende Maria mit dem Kinde und Engeln"
im Museum zu Antwerpen. Es war kein Unglück, daß die französische
Kunst des Rokoko sich von dem religiösen Ideal ab- und einem weltlich-
höfischen zuwandte, denn die zu dieser Zeit entstandenen, Maria getauften,
süßlich-läppischen Edeldamen mit ihrem spöttischen Lächeln waren mehr
dazu angetan, heilige Gefühle zu verletzen als solche wachzurufen. Als
solche Maler des XVII. und XVIII. Jahrhunderts, die wenigstens versuchten,
in ihren Marienbildern religiös-andächtig zu wirken, ohne aber süßlichen
Manierismus verleugnen zu können, seien genannt: Nicolas Poussin
(1594 — 1664), der bekanntlich auf anderem Gebiete, in der Landschafts-
malerei, Hervorragendes leistete, Simon Vouet (1590 — 1649), Laurent
de la Hyre (1606-1656), Pierre Mignard (1610-1695), Philipp de
Champaigne (1612—1674), Eustache LeSueur(1617 — 1655), Sebastian
Bourdon (1616-1671), Charles A. van Loo (1705-1765) und Pierre
Prud'hon (1758—1823). Auch von den Anhängern der romantischen
Schule des XIX. Jahrhunderts halten sich viele, bei aller Echtheit ihres
religiösen Gefühls, von italienisierender Nachempfindelei nicht frei, so
schon Eugene Delacroix (1799—1863), Ary Scheffer (1795-1858),
Paul Delaroche (1797—1856), besonders Leopold Robert (1794—1835)
und Victor Schnetz (1786—1870).
Spanische und portugiesische Kunst.
nfänglich in der Hauptsache durch die Niederländer vorgebildet,
später mehr auf Grund italienischer Einflüsse entwickelte sich
die spanische Künstlerschule. Sinn für glückliche Verwendung
von Farbe und Licht ist ihr, sozusagen durchgängig, im hohen
Maße eigen. Die kompositioneilen Motive halten sich fast durchgängig
an italienische Vorbilder.
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Abb. 87. B. E. Murillo, Maria mit Kind.
Haag, Mus. Mauritshuis.
(Siehe Seite 128.)
* 127 *
An hauptsächlichsten hierhin gehörigen Arbeiten seien genannt: die
drei großen Wandgemälde der Madonna in Sevilla: in San Lorenzo:
Nuestra Senora de Rocamador, N. S. del Corrat in San Ildefonso aus
Abb. 88. Bart. Esteb. Murillo. Madonna. Rom, Palazzo Corsini.
(Siehe Seite 128.)
dem XIV. Jahrhundert, die im XVI. Jahrhundert übermalte Antigua der
Kathedrale, dann Coello (Pradomuseum, Madrid); Ribera: „die heilige
Jungfrau zwischen Sankt Dominikus und Antonius von Padua" im Augu-
stinerkloster zu Salamanca; Ribalta (Museum zu Valencia); Zurbaran:
* 128 *
die „Virgen de las Cuevas mit Kartäusermönchen" im Museum zu Sevilla;
Cano: „Madonna mit dem Stern"; Pradomuseum zu Madrid; „Heilige
Jungfrau von Belen", Kathedrale zu Sevilla; endlich als die hervorragendsten:
Phot. Udjod.
Abb. 89. J. F. Overbeck, Maria und Elisabeth mit Jesus und Johannes.
(Siehe Seite 129.)
Bartolome Esteban Murillo (1618—1682): „Maria mit Kind", Prado-
museum, Madrid, und Museum zu Haag (s. Abb. 87); „Madonna auf der
Serviette, Museum, Sevilla; „Madonna", Palazzo Corsini zu Rom (s. Abb. 88);
„Maria mit der h. Dreieinigkeit, dem Johannesknaben und der Base
Elisabeth", Louvre zu Paris; „Madonna", Pittipalast zu Florenz; „Madonna
mit dem Wickelband", im Besitz des Prinzen Don Antonio zu Madrid.
* 129 *
Von spanischen Marien statu en sei, außer jenen am Hauptportal
der Kathedrale von Tarragona vom Maestre Bartolome von 1278 und im
dortigen Kreuzgang aus dem XV. Jahrhundert, als interessanten älteren
Stücken, die des Montaiiez in der Kathedrale von Sevilla (etwa 1640) als
wertvolle Bildhauerarbeit neueren Datums genannt.
Als spanische Provinz gleichsam erscheint in der Kunst: Portugal.
Typische Beispiele hierfür bietet das Museum zu Lissabon: Velasco da
Coimbra: „Madonna im Garten, von Engeln bedient"; ferner von
unbekannten portugiesischen Meistern des XVI. Jahrhunderts: Die heilige
Jungfrau mit dem kleinen Jesus, dem zwei Engel Erdbeeren und eine Lilie
darreichen; - - auf den Flügeln des Triptychons die Heiligen Dominikus
und Johannes der Täufer mit den Prinzen Alfons und Johann — dann
eine thronende Madonna, die gemeinsam mit der h. Julita und mit Daniel
Recht spricht.
Mariendarstellungen der neueren und neuesten Zeit.
(Overbeck und die Nazarener; Münchener, Düsseldorfer; fremde Kunst.)
ährend in den südlichen Ländern Europas noch lange Zeit
die großen Meister der Hochrenaissance — ohne daß man
ihre Vorbilder annähernd erreichte — nachgeahmt wurden,
erstickte in den deutschen Landen der Dreißigjährige Krieg
alsbald jede Kunsttätigkeit im Keime. Nur sehr langsam erholten sich
dann in den folgenden Jahrhunderten Staaten und Bürger von den traurigen
Folgen langer Kriegsjahre. Und da erschien es zunächst, als ob Poesie
(Goethe, Schiller, Schlegel, Tieck, Stolberg) und Musik (Bach, Händel,
Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven) alle Schaffenskraft genialer Männer auf
sich vereinigten, während die bildenden Künste brach danieder lagen und
einen neuen Aufschwung nicht mehr erwarten ließen.
Und doch! Wie die Romantiker diejenigen waren, die der Poesie
- alten Inhalt in neuer Form gebend — frischen Nährstoff brachten, so
waren es auch die sog. Romantiker der bildenden Kunst, die ihr neuen
Odem einflößten, besonders aber auch der Madonnenmalerei zu einer
Nachblüte verhalfen.
Der Maler Friedrich Overbeck (1789 — 1869) war der Führer der
sog. Nazarener, der „römischen Klosterbrüder", wie der Künstler und
seine Anhänger sich nannten, die im Sinne christkatholischer Kirchlichkeit
zu Rom religiöse Bilder malten. Die von Overbeck (s. Abb. 89) eingeleitete
Rothes, Madonna. 9
* 130 *
Phot. Gurlitt.
Abb. 90. Jos. v. Führich, Regina Apostolorum.
(Siehe Seite 131.)
131
Richtung wurde dann hauptsächlich in zwei Kunstschulen mit Gründlich-
keit und Selbsthingabe gepflegt: zu München und zu Düsseldorf. Die
römischen Genossen Overbecks, Johannes und der bedeutendere Philipp
Veit (1793 — 1877),
JosephvonFührich
(1800—1876) (s. Abb.
90) , Eduard von
Steinle(1810 — 1886)
arbeiteten zunächst im
Sinne dieses Meisters.
In München malten
dann neben Peter von
Cornelius (1783 bis
1867) mit H. von Heß
zusammen Johann
Schraudolf (1808
bis 1879) die Fresken
in der Allerheiligenhof-
kirche (darunter eine
monumentale thronen-
de Madonna) und die
Kartons für die Glas-
gemälde der Maria-
Hilfkirche in der Au.
In Düsseldorf ver-
arbeiteten dieSchadow-
schüler ErnstDeger
(1809—1885), Franz
Ittenbach (1813
bis 1879), Andreas
Müller (1811—1890)
undKarlMüller(1818
bisl893)dieOverbeck-
schen Anregungen. Ge-
rade diese Künstler der
rheinischen Schule, welchen auch die erwähnten Veit und Steinle sowie
Franz Müller und Theobald von Oer zugezählt werden dürfen,
erfreuten sich als Madonnenmaler der Volkstümlichkeit weitester Kreise.
Man mag über die Kunst der „Nazarener" denken wie man will,
die Tatsache bleibt bestehen, daß ihre Madonnen die Beliebtheit interessierter
Abb. 91. Steinle, Mutter Gottes mit dem Jesuskinde.
Altarbild in der Bonifatiuskirche zu Wiesbaden.
(Siehe Seite 138 )
* 132 *
Phot. der Phot. Gesellschaft.
Abb. 92. E. Deger, Madonna mit dem Kinde.
(Siehe Seite 138.)
* 133 *
Kreise sich zu erringen wußten, wie kaum irgendwelche früherer Meister,
daß sie zu Tausenden und Abertausenden in Nachbildungen als Schmuck
der Kirchen und Privatwohnungen, der Gebet- und Erbauungsbücher
dienen. Es ist nicht leicht, rein kunstwissenschaftlich betrachtet, ein
Abb. 93. Karl Müller, Mutter des Erlösers. Im Privatbesitz in Köln.
(Siehe Seite 13S )
objektives Urteil über die Art dieser Männer zu fällen, deren Wert-
schätzung, von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, in den entgegen-
gesetzten Extremen vielfach sich bewegt. Jedenfalls ist es höchst ungerecht
und einseitig, in ihrer Madonnenmalerei ausschließlich den Ausdruck
kraftloser, sentimentaler Schwärmerei und die schwächliche, manierierte
Nachahmung der Madonnen der großen südlichen Renaissance-Meister
134
erkennen zu wollen. Nein, nicht süßliche Nachempfindelei spricht aus
ihren religiösen Schöpfungen. Echte und tiefe religiöse Empfindung
Phot. der Phot. Gesellschaft.
Abb. 94. Karl Müller, Jungfrau Maria. Im Privatbesitz in Köln.
(Siehe Seite 138.)
führte ihnen den Pinsel. Wohl gingen sie bei Raffael und den italienischen
Renaissance-Künstlern gleichsam in die Schule. Und diese romanische
* 135 *
Phot. der Photogr. Gesellschaft.
Abb. 95. Franz Ittenbach, Mater Christi.
Privatbesitz Prag, Düsseldorf u. Newyork.
(Siehe Seite 138.)
136
Abb. 96. H. Sinkel, Regina coeli.
(Siehe Seite 138.)
* 137 *
Schule bewahrte sie erfreulicherweise davor, Anmut in Ausdruck und
Formengebung ihrer Madonnen zu verschmähen. Aber deutsches
Gemüt und deutsche Empfindungstiefe haben die Gebilde ihrer Kunst
ersichtlich beseelt. Und gerade darum spricht das Overbecksche Madonnen-
Phot. Union.
Abb. 97. H. Ballheim, Die Mutter Gottes.
(Siehe Seite 138.)
ideal mit „seiner sanften Hingabe, dem milden Augenaufschlag, der jung-
fräulichen Zaghaftigkeit" (Gurlitt, Die deutsche Kunst des XIX. Jahrhunderts.
3. Auflage. Seite 210) so ergreifend und dauernd zu den Herzen von
Tausenden im deutschen Volke.
Nur wenige Marienbilder der Nazarener seien namentlich hervor-
gehoben: Philipp Veit: Magnificat, Oelgemälde in Städelschen Institut
138
zu Frankfurt am Main ; der erste Schritt, Oelgemälde für den Kardinal
Viale Prela gearbeitet; Gottes Mutter mit dem schlafenden Kind, im Besitz
der Frau Baronin v. Erlanger; Steinte: Muttergottesaltarbild der Boni-
fatiuskirche zu Wiesbaden (s. Abb. 91). Ernst Deger: „Madonna", Maria
mit Kind in der Apollinariskirche bei Remagen (s. Abb. 92); Maria Virgo,
Himmelskönigin usw.
Franz Ittenbach:
Madonnen mit dem
Motto : Ego dilecto,
Ecce agnus Dei, Mater
Christi, Mater amabi-
lis, Regina coeli usw.
(s. Abb. 95). Karl
Müller: Madonna vor
der Grotte, Galerie zu
Prag; Maria mit dem
Kind im Privatbesitz zu
Köln (s. Abb. 93 u. 94)
usw. Sinkel: Regina
coeli (s. Abb. 96) usw.
Von denjenigen
derzeitigen Münchener
und sonstigen Künst-
lern, die der dortigen
Gesellschaft für christ-
liche Kunst nahe stehen,
umweht uns noch in
vielen der Ehre der
Himmelskönigin ge-
widmetenKunsterzeug-
nissen mehr oder min-
der der Geist Over-
becks. Wir müssen uns
damit begnügen, diesbezüglich einige Künstlernamen hier kurz zu nennen:
Albrecht, Altheime r, Ballheim (s. Abb. 97), Busch, Cornicelius,
Defregger, Dite (s. Abb. 80), Feuerstein (s. Abb. 132), Fugel, Feld-
mann, von Hackl, Kau, Nüttgens (s. Abb. 98), von Kramer,
A. Müller-Warth, Sichel (s. Abb. 99), Schleibner, Wadere,
Zimmermann. Weiten Kreisen unbekannt dürfte es sein, daß der 1882
in Berlin verstorbene Bildhauer Drake, der sonst nur patriotische
Phot. Union.
Abb. 98. H. Nüttgens, Madonna mit d. Jesuskinde.
(Siehe Seite 138.)
139
Bildwerke meißelte, sich einmal mit Erfolg an einer andächtigen und
anmutigen Madonna (s. Abb. 100) versucht hat.
Eine Sonderstellung nehmen die Madonnen von Arnold Böcklin,
Hermann Kaulbach, Gabriel Max und Fritz von Uhde ein. Eben das
„Rein-Menschliche" der Auf-
fassung in Böcklins, durch
einzigartige Farbenwirkungen
wertvollen Marienbildern weiß
uns den Schmerz der um
des Sohnes willen leidenden
Mutter mit ergreifender Wahr-
heit nahe zu bringen. Reiches,
volles Gefühl lebt auch in
H. Kaulbachs Madonnen,
die aber mit ihren anmutigen
Reizen vielen zu weltlich-
modern aufgefaßt sein dürften.
Merkwürdig mutet die Ver-
quickung von „Irdisch-Hüb-
schem" und „Himmlisch-
Geisterhaftem" in des G. Max
Madonnen an. Als „bleich-
süchtige, somnambul ange-
legte, hysterische Frauen" sind
sie von W. Kirchbach cha-
rakterisiert worden. Auch
völlig modern, aber wieder
in einem gänzlich anderen
Sinne gibt F. von Uhde
Maria. Die Frau des vierten
Standes mit all der Armselig-
keit des Weibes dieser sozialen
Schicht zeigt er uns in Maria.
Doch das soll kein Hohn auf
die hohe Heilige sein. Ge-
rade durch den unverhüllten Realismus soll echte Empfindung, Mitleid
erweckend, uns an das Herz greifen.
Overbecks Einfluß machte sich nicht nur, abgesehen von Düssel-
dorf und München, auch in anderen deutschen Kunstzentren geltend
— so inBerlin: Pfannschmidt, Plockhorst, Dresden: H. Hofmann,
Phot. Froitzsch.
Abb. 99. N. Sichel, Madonna mit dem Jesusknaben.
(Siehe Seite 138.)
* 140 *
Wien: Kupelwieser — sondern auch weit über Deutschlands Gauen
hinaus.
In England bewiesen sich die Präraffaeliten Ford Madox Brown
und Dante Gabriel Rossetti als begeisterte Apostel Overbeckscher Art.
Die Engländer Armitage, Dyce,
Parker (s. Abb. 101), Parsons,
Paton, Shields, Waters (s. Abb.
102) malten in diesem Sinne.
Nach Frankreich war der
Düsseldorfer Karl Müller berufen
worden, um die Kathedrale von
Marseille auszumalen. Bouguereau
schuf, hiervon wohl abhängig, seine
religiösen Fresken in den Kirchen
St. Augustin und Sainte Clotilde
zu Paris. In desselben Meisters
Tafelbild Mater afflictorum im
Musee de Luxembourg zu Paris steht
die nervöse Fassungslosigkeit der
unglücklichen Frau, die ihr Kind
durch den Tod verloren hat und
erschüttert zu den Füßen Mariens
liegt, in packendem Gegensatz zu
der steinernen Ruhe der tröstenden
Madonna. Dieselbe den Beschauer
fast erkältende Ruhe und Feier-
lichkeit besitzt die thronende Gottes-
mutter mit den herzig -prächtigen
Knaben Jesus und Johannes von
Humbert im gleichen Museum
(s. Abb. 103). Auf dem Bilde von
Landelle, ebenda, dem sog. Pres-
sentiment, Vorahnung der heiligen
Jungfrau, greift der Jesusknabe wie begeistert nach dem Kreuz, das
ihm der kleine Johannes vorhält. Zwei Engel mit Kelch, Hostie und
Dornenkrone erhöhen die schwermütige Stimmung dieses Marienbildes,
das einem Botticelli nachempfunden ist (s. Abb. 105). Hippolyte
Fl an drin in seinen Fresken in St. Germain de Pres zu Paris und
Saint Vincent de Paul zu Nimes, Jean Baptiste A. Hesse in seinen
Fresken in Saint Gervais und Saint Sulpice zu Paris, Beraud, Collier,
Abb. 100. Madonna mit Kind.
Marmor-Statue von Drake.
(Siehe Seite 139.)
* 141 *
Roy er, Ary Scheffer erinnern alle mehr oder weniger — es ist
selbstverständlich nur von ihren religiösen Malereien, im besonderen von
ihrer Madonenauf-
fassung die Rede —
an die deutschen
Nazarener.
In Italien wirken
die symbolischen Dar-
stellungen der laure-
tanischen Litanei von
Ludwig Seitz im
Chor der Kirche della
Casa Santa zu Loreto
für die Art Overbecks
und seiner Jünger.
Kunstwerke von
Giovanni Dupre,
Cesare Maccari,
FrancescoNenci,
Tito Sarrocchi,
Angiolo Visconti
sind in ähnlichem
Geiste gearbeitet. Ge-
mälde religiösen In-
halts, besonders auch
Marienbilder, von
Gaetano Previati
und Giovanni Se-
gantini erscheinen
dagegen völlig unab-
hängig hiervon, ganz
andersartig, im mo-
dernsten Sinne ge-
schaffen.
Selbst unter den
modernen russischen
Malern fand die
Richtung der Naza-
rener Anklang, wie
die neuerliche künstlerische Ausschmückung der Wladimir -Kathedrale
Abb. 101. S. Parker, Salvator mundi.
(Siehe Seite 140.)
* 142 *
zu Kiew, zumal eine monumentale Madonna von Wasnetzow daselbst
beweist (s. Abb. 106).
Phot. Union.
Abb. 102. S. Waters, Madonna mit dem Lilienzweige.
(Siehe Seite 140.)
Das deutsche Gemüt, die deutsche Oefühlstiefe, die den Madonnen
Overbecks, der Nazarener und ihrer deutschen Nacheiferer doch so
eigentlich erst die rechte Weihe, den andächtigen Stimmungsgehalt ver-
leihen, suchen wir bei den fremdländischen Nachahmern vergebens.
* 143 *
Die Malerschule der Beuroner Benediktiner.
j|ine Kunstschule, die von der Art der Nazarener wesentlich ab-
weicht, ihrem tiefen Gehalt und mystischen Charakter nach nicht
weniger deutsch und neuerdings recht berühmt geworden ist,
bleibt noch hier zu erwähnen: die Benediktinerschule von
Beuron. Eigen ist ihr eine mönchisch -kirchliche, streng hieratische
Richtung, die aber dem
akademischenSchematis-
mus kühn den Fehde-
handschuh hingeworfen
hat. Innerlich ist Ver-
tiefung der Idee, äußer-
lich Tasten nach der
feinen Linie und Be-
wertung der vollen Farbe
ihr Ideal. Theologie
und formale Aesthetik
heißen die beiden Rüst-
kammern, aus welchen
sie sich wappnet. Nicht
l'art pour l'art, die Kunst
um der Kunst willen, son-
dern l'art pour Dieu, die
Kunst zu Ehren Gottes ist
ihre Devise. „Eine solche
Kunst kann aber nur"
— so definiert der Vor-
kämpfer Beuroner Kunst-
anschauungen, PaterAns-
gar Pöllmann, O.S. B. —
„reine, begrifflich reinste
Kunst sein, denn sie ist
nur sie, rückhaltlos und
selbstlos, ohne Nebenab-
sichten, einzig versunken
in den Urquell aller
sinnlichen und geistigen ,
. . Abb. 103. Humbert, Heilige Jungfrau mit den Jesus-
bcnonneit,tursiezugIeich uncj Johannesknaben. Paris, Musee du Luxembourg.
Ursprung und Zweck." (Siehe Seite 140)
* 144 *
Aus dieser Erklärung ersehen wir, von welchem Standpunkt aus
wir der Beuroner Malerschule allein gerecht werden können, und ferner,
worin sie sich wesentlich von den Nazarenern unterscheidet. Diese letzteren
erfassen Christus, die Gottesmutter und die Heiligen in ihrem kurzen
Erdenwallen, ihrem historischen Dasein, das ihnen die Stufenleiter zum
Himmel war, — der überirdische Schein hat sich nur leise auf echt
menschliches Sein und Leiden gesenkt. Die Beuroner Benediktiner geben
einer theologisch tieferen Auffassung statt: es werden die Heiligen am
Ziel ihrer Wanderung von ihrem Prinzip aus und als Glieder am
mystischen Opferleibe Christi erfaßt, und dann wird das Natürliche zum
Symbol für eine Sprache, die nicht von dieser Welt ist, — es ist die
priesterliche Kunst, die, wie jene der Katakomben, gleichsam zum Opfer
mitgehörig, um den Altar steht. Die romantische Richtung ist die lyrische,
die mehr subjektive, die religiöse Kunst des privaten Gebets, die Beuroner
Richtung ist die objektiv -epische und gedankliche Kunst, die Kunst der
kirchlichen Solidarität, die Kunst des göttlichen Dienstes im klösterlichen
Chorgebete. Darum hat eine Madonna von Deger, Ittenbach, Fugel, Busch
als erstes Merkmal die zarte Innigkeit des Gemüts, eine solche von den
Benediktinern, von Lenz, Wueger, Steiner, Krebs, aber - - gleich den
hieratischen Skulpturen der Aegypter oder Babylonier — das fast unnahbar
Erhabene der mystischen Wolke des Allerheiligsten. Tatsächlich sind es
die Grabkammern der Pharaonen des alten Reiches am Nil, deren Malereien
den Beuroner Künstlern in erster Linie als Muster dienten. Wie diese
Kunst ausschließlich der Verherrlichung des großen Osiris und der Dahin-
geschiedenen galt, so weist von dieser selbstlosen Gottesdienstlichkeit
außer Beuron und dem Berge Athos keine Kunstrichtung heute noch
etwas auf, kaum Japan, obwohl auf den Landschaften eines Hokusai mit
seiner rührenden Liebe zum Fuji ein großes Stück religiöser Stimmung,
der Rest einer großen Hieratik, ruht.
Was die Beuroner Kunst der ägyptischen nahebrachte, das war die
gleiche Auffassung von der Gottesdienstlichkeit der Kunst. Beide
hatten sich de principio auf eine typische Kunst festzulegen: Da steht
der Priester in Gewändern typischer Bedeutung uralten Ursprungs beim
heiligsten Werke, seine Zeremonien, seine Bewegungen kommen in der
modernen Gestensprache nicht mehr vor — und nun wollt ihr — so
glauben die Beuroner folgerichtig fragen zu dürfen, — das Gotteshaus
dem jeweils kurzen Geschmack einer ephemeren Anschauung überliefern?
Eine Ausscheidung für Gott muß in der sakralen Kunst stattfinden ; gerade
diese gibt ihr das Geheimnisvolle, denn sie ist ganz und gar unirdisch
und jenseitig; sie führt ihr eigenes mystisches Alphabet der Symbolik.
Abb. 104. Quinten Massys und Willem Key, Pietä.
München, alte Pinakothek.
( Siehe Seite 195.)
* 145 *
Nur dem „Wissenden", dem „Eingeweihten" greift sie daher voll und ganz
ans Herz; nur „durch Mitleid wissend, der reine Tor" kann sie ganz er-
fassen und wird von ihr erschüttert.
Abb. 105. Ch. Landelle, Vorahnung der hl. Jungfrau.
Paris, Musee Luxembourg.
(Siehe Seite 140.)
„Begriffliche Typik" war das Ideal der ägyptischen Kunst; dem
Streben, dieses Ideal zu erreichen, mußte sich die Technik unterordnen.
Gleiche Ziele, gleiche Mittel. Die ägyptische Technik wurde die Beuroner.
Die klaren, flachen Farben der Aegypter hat keine Kunst nachher wieder
erreicht, nur eine, die Beuroner. Man hält dieser Kunst oft ihren
Aegyptizismus vor und meint damit die Zeichnung, während man ihre
Rothes, Madonna.
10
Abb. 106. Viktor Wasnetzow, Madonna mit Kind.
Wladimir-Kathedrale zu Kiew.
Farbe als tief empfunden
rühmt: nirgends sind die
Beuroner ägyptischer als auf
dem Gebiete der Farbe; denn
dieses unplastische, unper-
sönliche Malen entwickelt die
Linie. So gleichartig in ältester
und neuester Zeit ist noch
nirgends der Stift geführt
worden — so einfach und
doch so fein, so frei und doch
so gemessen, so kühn und
doch so anmutig — wie gerade
in Aegypten und in Beuron.
Vor allem aber darf bei
Beurteilung der Beuroner
Malerschule ein Moment nicht
außer acht gelassen werden,
das Monastisch-Benedik-
tinische. Und zwar: äußer-
lich und innerlich, äußerlich
insofern, als die Mönche des
beschaulichen Ordens in her-
vorragendem Maße all jenen
Forderungen des hieratischen
Stils gerecht zu werden ver-
mögen, und innerlich da-
durch, daß es dem Kunst-
schaffen der Schola artistica
ein ganz besonderes, eigen-
tümliches Gepräge verleiht, das
sie von den alten Aegyptern
bei allerVerwandtschaft wieder
unterscheidet und ihre per-
sönliche Note abgibt. Die
Beuroner Kongregation stellt
eine bis in die kleinsten
Lebensfasern sich erstreckende
Kultur dar. Ihr Gesang,
der gregorianische Choral in
(Siehe Seite 142.)
* 147 *
eigener Ausbildung, ihre Kunst und ihr Leben sind eins: sie zielen alle
auf den einen Gottesdienst. Waren die Benediktiner von jeher Männer
des feinen Geschmacks, so zeigt er sich eben bei der Beuroner Kunst-
schule in der Regelung der passenden Verhältniszahlen und in der
symphonischen Besetzung der Farben. So wie bei den vorbildlichen
Aegyptern die Kunst wie eine zarte Lotosblüte aus dem Schafte des
national-religiösen Lebens ohne jede Beeinflussung von außen her aufblühte,
alles gebend, nichts empfangend, so erklärt sich auch die Beuroner Kunst
trotz der ägyptischen Anregung und trotz des Studiums von Giotto und
Fra Angelico ganz allein aus sich selber. Aus dem essentiellen Innersten
ihres Klosterlebens und ihrer Benediktiner-Kultur heraus haben sie „ihren"
hieratischen Stil geschaffen und in demselben ihre Devise verwirklicht,
die da lautet: „Ut in omnibus glorificetur Deus", „in allem Gott die Ehre"!
Alle diese die Beuroner Kunstauffassung betreffenden Erörterungen
waren vorauszuschicken, wenn anders der Beuroner Mariendarstellung
Verständnis entgegengebracht werden und Gerechtigkeit widerfahren sollte.
Pater Willibrord Verkade stellt in einem Gemälde die beiden weib-
lichen Urbilder nebeneinander, Eva, die dem Menschengeschlechte die
Sünde gebracht hat, und Maria, die allerreinste, unbefleckte, aus der ein
Erlöser der Welt hervorgehen soll. Der Augenblick wählt sich ganz von
selbst: es ist der des Protoevangeliums im Paradiese. Das Ewig- Weibliche
ward zum Mittel- und Angelpunkte der gesamten Kunst. Eva im Falle
lautet das ewig variierte Thema der in Sinnlichkeit verstrickten Schön-
heitswelt. Diesem seichten und laxen Prinzip irdischer Weichlichkeit steht
nun das christlich-hieratische Vorbild der himmlischen Schönheit, Maria,
gegenüber. Maria, die keusche Magd des Herrn, steht da mit gefaltenen
Händen, eine gemalte Predigt gleichsam, mahnend zur Demut, Reinheit,
Jungfräulichkeit, unendlich einfach und doch unvergleichlich erhaben. Das
ist das hieratische Schönheitsprinzip! Das ist das Beuroner Madonnen-Ideal!
Programmatisch für die Mariendarstellung der Beuroner Kunst wurde
besonders die thronende Madonna über der Türe unter der Vorhalle
der Sankt Mauruskapelle (Hohenzollern). Umflossen von weitem,
feingefältetem Linnen von schneeiger Weiße sitzt sie da, die Braut des
Heiligen Geistes mit ihrem Priesterkönigssohn, und aus ihren großen,
mädchenhaften Augen bricht ein Strahl des Himmels ins Herz des
Beschauers. Die Cherubime verhüllen ihr Antlitz vor diesem glänzenden
Sinne des göttlichen Schöpferwillens, der hier sich den Menschen — ein
Urtypus geweihter Hoheit — offenbart. Das edle Geschwisterpaar,
Benediktus und Scholastika, steht in Andacht versunken, und die Jungfrauen
beiderlei Geschlechts, Mönche und Nonnen, opfern ihre Kronen, in Habitus
* 148 *
und Gebärde erinnernd an die Adoranten in den Katakomben, an die
Opferspender auf antiken Grabdenkmälern (s. Abb. 107). — Durchaus
verwandt mit dem Fresko der Mauruskapelle ist jenes der Scholastikakapelle
des Benediktinerklosters von Monte Cassino (s. Abb. 108). Benediktus
und Scholastika werden von Engeln an den Thron der Madonna geleitet.
Abb. 107. Beuroner Schule.
Thronende Madonna mit den Heiligen Benediktus und Scholastika.
Vorhalle der St. Mauruskapelle, Hohenzollern.
(Siehe Seite 148.)
Scheinbar steinerne Ruhe gibt auch diesem Bilde, das zwölf Engel beleben,
die hohe, feierliche Würde. Die himmlische Psychologie ist einfach und
schlicht. Die heiligen Stirnen tragen keine Furchen, die Sorge und
Leidenschaft mit eisernem Griffel eingegraben hätten, und in den Engel-
augen brennt kein flackerndes Feuer; was da leuchtet, ist nur einfacher
Widerschein der göttlichen Sonne. Genialische Rasereien und starke
Effekte drängen sich überdies auch der minderscharfen Beobachtungsgabe
149
auf, aber die feinen Regungen kindlich reiner, schüchterner Seelen lassen
sich nur mit dem Mikrometer der höchsten Kunst erlauschen.
Das archaisierende Element in der Beuroner Kunst mußte dazu führen,
daß Oebärde und Stellung Mariens und des Jesukindes nach byzantinischen
Mustern wiedergegeben wurden. Die ägyptisierenden Motive fallen sofort
auf. Die dekorative Ornamentik,
zumal die pflanzliche Typik, weist
deutlich nach Aegypten. Geht
es aber nicht zu weit, wenn wir
sogar die Kleidung der Mutter
Gottes und des Christkindes
ägyptisch gemustert sehen, das
punktierte Gewand des kleinen
Jesus, die Kopfbänder bei Mutter
und Kind? Dadurch wird auf
einen psychologischen, gedank-
lichen Zusammenhang der Dar-
stellung mit Aegypten hinge-
wiesen, der doch ganz und gar
nicht besteht.
Die Beuroner Kunst hat nun
auch eine Richtung aufkommen
lassen, in der das ägyptische
Element in etwa zurückgedrängt
ist zugunsten eines engeren An-
schlusses an die italienischen Tre-
centisten, an Giotto, an Fra Ange-
lico. Diese „etwas ketzerische"
Richtung könnte man die
„mildere" nennen; sie trägt mehr
Unbewußtes, Naives, weniger
pointiert Lehrhaftes an sich; sie
ist nicht mehr so ganz aus-
schließlich „nur hieratisch". Die
thronende Madonna mit musizierenden Engeln in der Kapelle des ver-
storbenen Justizrats Reinhard in Ehrenbreitstein ist hierfür charakteristisch
(s. Abb. 109). Unter den 17 großen Fresken der Abteikirche Emaus zu
Prag, die das Leben Maria darstellen, finden wir eine ganze Anzahl, die
im gleichen Sinne weniger streng, weicher wirken und vor allem ver-
ständnisvollen Anschluß an die Kunst des Dominikaners von Fiesole
f" "J1 ''S4 *S* '& !^r *& *$* *&
iHlingiiiEiiiiiiiliiiliiiliiiln
Abb. 108. Beuroner Schule.
Mittelstück aus dem Bilde in der Scholastika-
Kapelle auf Monte Cassino.
(Siehe Seite 148.)
150
verraten. Zumal bei Darstellungen der mater dolorosa wußten die Beuroner
Künstler ihr hieratisches Ideal mit Schilderung warmen Seelenlebens sehr
wohl zu vereinigen.
In dem IQ Fresken
zählenden großen
Kreuzweg der Marien-
kirche zu Stuttgart
gibt sich das schmerz-
volle Seelenleben der
Madonna sogar in zar-
ter Steigerung kund.
AufdemKreuzigungs-
bilde der Maurus-
kapelle entbehrt der
Madonnenkopf nicht
eines tiefen, leidens-
vollenZuges, während
einematerdolorosaim
charakteristischsten,
strengst hieratischen
Stil der Beuroner
Schule in der Abtei-
kirche zu Sankt
Gabriel in Smichow-
Prag sehr wenig vor-
teilhaft von den eben
erwähnten absticht.
Auch in einem Herz-
Mariä - Oelgemälde
mit den symbolisch
beigefügten sieben
Schwertern kommt
zugunsten der hie-
ratischen Strenge der
seelische Ausdruck
etwas zu kurz.
Um gerecht zu
bleiben, lasse man
keinen Augenblick
den Standpunkt der
VSA- NOSTRAS- L AETIT I A£ *0 P-N-
Abb. 109. Beuroner Schule.
Thronende Madonna mit musizierenden Engeln.
Ehrenbreitstein, Hauskapelle Reinhard.
(Siehe Seite 149.)
* 151 *
Beuroner Kunstschule außer Auge. lieber alles menschliche Fühlen
Erhabenes soll Eindruck auf uns machen. Ruhe, unentwegte Ruhe in
der Darstellung ist die Folge solcher Auffassung. Es soll in der Kirche,
dem „Vorhofe des Himmels", schon wie ein Stück der „beata sessio", der
ruhigen Seligkeit des himmlischen Thronens über uns selbst kommen.
Was da fern von den Straßen des gemeinen Lebens in unendlicher
Hoheit sich zu uns, mütterlich liebend, hinabneigt und uns wie mit
seligen Mutterarmen von oben her umfängt, dem muß auch die Kunst
— läßt sie uns die allerbarmende Königin-Mutter in ihrer Pracht er-
schauen — in erster Reihe jenes Ueberirdisch-Geheimnisvolle, Visionäre
geben, das dem Beschauer — als ersten Eindruck — das einzig wahre:
„Bitte für uns, Königin!" auf die bebenden Lippen drängt.
So sei denn gern öffentlich anerkannt, daß wenn irgend eine, dann
die Beuroner Kunstschule auf hoch ideellen, theologisch unanfechtbaren
Grundsätzen aufgebaut ist. Aber mögen die Beuroner Kunstjünger, ein-
gedenk des liberalen Sinnes und der Toleranz, die gerade den Benediktiner-
Orden immer auszeichneten, sich hüten, ihre Kunst als die einzig berech-
tigte religiöse zu preisen, für sie ausschließlich gleichsam das „Celebret"
zu erwirken. Das hieße zahlreiche andere Knospen im reichen Gottes-
garten kirchlicher Kunst, die auch herrliche Blüten erhoffen lassen,
gewaltsam knicken wollen! — wie in der Kirchenmusik allezeit erschallen
möge — durch seine schlichte, einfache Weise das Herz ergreifend — der
gregorianische Choral, daneben aber dulden möge die freieren, nicht
weniger erschütternden Harmonieen eines Palestrina, eines Orlando di
Lasso, selbst eines Mozart, Haydn weihevoll bestrickende Klänge, ja eines
Beethoven berauschende „missa solemnis"!
Begrüßt sei das Beuroner Madonnen-Ideal als die rosa mystica, die
in der Farbe der Liebesglut purpurn leuchtende Rose im Blumenstrauß
der Kunst, gewunden zu Ehren der heiligen Jungfrau, als funkelnder
Brillant in ihrem Ehren -Diadem, als schwellender Akkord — aber nur
als einer unter vielen! — im hehren Konzerte, dem Magnificat der
bildenden Künste zum Preise der Himmelskönigin.
B. DARSTELLUNGEN AUS DEM
LEBEN MARIA.
Folgen des Marienlebens.
|S erübrigt jetzt noch, von den Darstellungen aus dem Leben
der heiligen Jungfrau, die mitunter in ganzen Zyklen, meistens
aber in Einzelwiedergaben Episoden aus dem Erdendasein und
der Legende der Muttergottes künstlerisch verewigen, zu reden.
Von den in Serien gegebenen Folgen des Marienlebens ist die
in Holzschnitt von Albrecht Dürer von 1506 verfertigte die mit
Recht gefeiertste. In echt deutscher Gemütlichkeit, Innigkeit und von
hohem Schwung der Phantasie getragen, sind folgende Begebenheiten
erzählt: „Joachim vom Hohenpriester zurückgewiesen", „Joachim vor dem
Engel", „Begegnung an der goldenen Pforte", „Maria Geburt", „ihr erster
Tempelgang", „Vermählung", „Verkündigung", „Heimsuchung", „Geburt
Jesu", „Beschneidung", „Anbetung der Könige", „Darstellung im Tempel",
„Flucht nach Aegypten", „Ruhe auf der Flucht nach Aegypten", „der
zwölfjährige Jesus im Tempel", „Christi Abschied von seiner Mutter",
„Tod Maria", „Maria Himmelfahrt". Wie das erst 1511 vollendete Titel-
blatt Maria auf der Mondsichel als Königin des Himmels preist (s.
Abb. 70), so mutet uns das Schlußblatt wie ein Gebet des Künstlers zur
Gebenedeiten an; die treue Verehrung der allerseligsten Jungfrau durch
Erden- und Himmelsbewohner ist trefflich illustriert.
Der Bocholter Kupferstecher Israhel von Meckenem (f 1503)
hatte schon vorher ein wenig originelles „Marienleben" gestochen. Die
vorgeschrittene Art des Meisters des sogenannten Münchener
Marienlebens kann man in Malereien der Münchener Pinakothek
bewundern. In Italien schmückten Reihen von Szenen aus dem Leben der
Madonna wiederholt al fresco Kirchenwände. Nur an Giottos Fresken
in der Arenakapelle zu Padua, an Ghirlandajos im Chor von Santa
* 153 *
'S.
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* 154 *
Maria Novella zu Florenz sei erinnert. Marienleben schufen al fresco in
ausgedehnter Bilderreihe in Spanien: Juan de Borgofia (f 1533) im
Kapitelsaal der Kathedrale zu Toledo, AI. Ca ho in der Capilla Mayor
der Kathedrale zu Granada, Francisco Alfaro an gleicher Stelle in
Sevilla, in Portugal: Velasco da Coimbra, Museum zu Lissabon.
Wir kommen nun zu den Einzeldarstellungen.
Maria Geburt.
Maria Geburt erzählt Giotto in der Arenakapelle zu Padua mit der
größten Umständlichkeit in sieben Gemälden nach den apokryphen Evan-
gelien: Zurückweisung des Opfers Joachims wegen seiner Kinderlosigkeit,
Betrübnis des Joachim in der Einsamkeit, Verkündigung an die Mutter
Anna, daß sie eine Tochter gebären werde, ein Engel meldet Joachim die
Botschaft, Joachim wird vom Engel die Heimkehr vom Felde befohlen,
Begegnung von Joachim und Anna an der goldenen Pforte, endlich die
eigentliche Geburt als Wochenstubenszene. Frauen bemühen sich um das
neugeborene, zu badende Kind und die Wöchnerin.
Die hier gegebenen Motive sind der Darstellung dieser Szene in
der Folge durchgängig eigen. Gelegentlich sind Joachim und Freunde
der Familie anwesend. Auch von den anderen Bildern wurden oft einige,
besonders gern die Begegnung an der goldenen Pforte, wiederholt.
Hauptsächliche Darstellungen: Giovanni da Milano und Taddeo Gaddi
in Santa Croce zu Florenz; Pietro Lorenzetti: Domopera zu Siena; Bar-
tolo di Fredi: San Agostino zu San Gimignano; Orcagna: Or San Michele
in Florenz, Ottaviano Nelli: Palazzo de Trinci in Foligno; B. Vivarini:
Santa Maria Formosa, Venedig; Carpaccio: Akademie, ebenda; Andrea
del Sarto: Annunciata in Florenz; Rundbild des Filippo Lippi im Pitti-
palast, daselbst; Homilien des Mönches Jakob, Nationalbibliothek zu Paris;
Darstellungen in den Biblia pauperum und Canticum canticorum; Marien-
altar zu Lübeck, Schöllenbacher Altar in Erbach von 1503, Tiroler
Elfenbein in Berlin, 1500, Schnitzwerk, ebenda, 1510, Meister des Marien-
lebens in Köln, 1470; Dürer in Folgen des Marienlebens; B. E. Murillo:
Louvre zu Paris (s. Abb. 110). Neue Kunst: Karl Müller: Bleistiftzeichnung
zu einem unausgeführten Entwurf für die Apollinariskirche in Remagen,
um 1845, im Besitz der Familie des Künstlers.
Erziehung Maria.
Bilder der sogenannten Erziehung Maria, wie die heilige Jungfrau
im kindlichen Alter von der h. Mutter Anna unterwiesen wird, waren in
Spanien üblich. Das berühmteste mit Maria als zwölfjährigem Mädchen,
* 155 *
mit allen Reizen spanischer Kinder ausgeschmückt, ist das von Murillo
im Pradomuseum zu Madrid (s. Abb. 111). Roelas behandelte den Gegen-
Abb. 111. Bart. Esteb. Murillo, Erziehung Maria. (Madrid, Prado.)
(Siehe Seite 155.)
stand in einem Gemälde des Museums zu Sevilla, Juan de Juni, sogar
plastisch in einer Gruppe am Trascoro der Kathedrale zu Salamanca. Vom
* 156 *
Abb. 112. Pet. Paul Rubens, Die Erziehung der hl. Jungfrau. Antwerpen, Museum.
(Siehe Seite 157.)
* 157 *
Vlamen Rubens be-
findet sich eine Er-
ziehung Maria im
Museum zu Antwer-
pen (s. Abb. 112), aus
neuer Zeit eine von
Karl Müller in der
Remigiuskirche in
Bonn (s. Abb. 113).
Auf des Anglo-
Italieners Rossetti
Bild „Mariens Mäd-
chenzeit" ist die
heilige Jungfrau mit
einer Handarbeit be-
schäftigt. Die heilige
Mutter Anna lehrt ihr
die Stickerei.
DarstellungimTempel.
Diese Darstellung
ist am weitschweifig-
sten in fünf Bildern
in den schon er-
wähntenHomilien des
Mönches Jakob ge-
malt: Feierlicher Zug
zum Tempel, eigent-
liche Darstellung,
Zacharias umarmt die
kleine Maria, das
Kind wird im Tem-
pel vom Engel er-
nährt, Maria emp-
fängt den Purpur. In
der Regel ist nur die
eine Szene gegeben:
Während unten die
Eltern und Freunde
stehen, eilt Maria die
Phot. Gesellschaft.
Abb. 113. Karl Müller, Erziehung der hl. Jungfrau
Maria. Altarbild in der St. Remigiuskirche in Bonn.
(Siehe Seite 157.)
158
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3
GD [U:
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3
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o
3
* 159 *
Treppe zum Tempel hinauf, wo oben der Hohepriester mit Gefolge sie
empfängt.
Hauptsächliche Darstellungen: Außer jenen in den früher erwähnten
Zyklen von Dürer, Ghirlandajo, Gaddi, Giovanni da Milano, Nelli, Orcagna
seien erwähnt: Livres d'heures des Duc de Berry in der Bibliothek des
Duc d'Aumale in Chantilly, Carpaccio: Brera in Mailand; Sodoma: Ora-
torio di San Bernardino in Siena; Cima da Conegliano, Gemäldegalerie
zu Dresden (s. Abb. 114), Tintoretto: Santa Maria del Orto, Venedig, und
Phot. UnioD.
Abb. 115. Franz Ittenbach, Tempelgang Maria. Fresko in der Apollinariskirche zu Remagen.
(Siehe Seite 159.)
die mit Recht berühmteste von allen: Tizian: Akademie zu Venedig.
Bernhard Striegel: Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin. Aus neuer Zeit:
Franz Ittenbach: Fresko in der Apollinariskirche bei Remagen (s. Abb. 115).
Vermählung.
Die Vermählung Maria ist in der Regel, wie folgt, gegeben: Vor
dem Hohenpriester steht das Brautpaar. Hinter Joseph sind die herbei-
geeilten, verschmähten Freier versammelt, die ihm auf den Rücken klopfen
oder die Stäbe zerbrechen, hinter Maria befreundete Frauen. Bei Giotto
(Padua) und dem Mönche Jakob (Homilien) ist der Stoff wieder in mehrere
* 160 *
Szenen zerlegt. In den früher erwähnten Zyklen wurde dieses Thema
selbstverständlich auch behandelt.
Abb. 116. Raffael Sanzio, Vermählung Maria (Sposalizio). Mailand, Brera.
(Siehe Seite 161.)
Folgende Wiedergaben seien ferner genannt: Lorenzo da Viterbo:
Kirche della Verita, Viterbo, Luini, Kirche zu Saronno, Carpaccio, Brera
zu Mailand; Fra Angelico: Akademie, Florenz; Perugino: Caen, Galerie;
* 161 *
Raffael: Sposalizio, Mailand, Brera (s. Abb. 116). Plastische Gruppe eines
niederrheinischen Künstlers am Marienaltar der Pfarrkirche zu Calcar.
Hans Fries von Freiburg: Germanisches Museum, Nürnberg. Meister von
Flemalle: Museum zu Madrid. Juan Valdes Leal, Kathedrale zu Sevilla.
Von neuen Arbeiten seien die Vermählung von Overbeck in der Raczynski-
Sammlung des Kaiser Friedrich-Museums zu Posen erwähnt und das Ge-
mälde des van Loo im Louvre zu Paris.
Verkündigung.
Die Verkündigung Maria ist wohl das in der bildenden Kunst am
häufigsten gefeierte Ereignis aus dem Leben der heiligen Jungfrau. Viele
hunderte Male ist der Stoff behandelt worden, wie der Engel des Herrn
Maria die Botschaft bringt. „Und sie empfing vom Heiligen Geiste.
Maria sprach: Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach
deinem Worte." Diese Gebetsworte enthalten den Kern der zahllosen Ver-
kündigungsdarstellungen. Ob nun das erste Stammeln der Kunstbetätigung
Maria und den Engel unkenntlich, steif, beziehungslos nebeneinander setzt,
ob Maria und der Engel in lebhafte, künstlerisch vollendet gegebene
Beziehung treten, ob der Engel schwebt, kniet, schreitet oder steht, die
h. Jungfrau majestätisch thront oder bescheiden betend kniet, ob beide
ätherisch zart, wie hingehaucht gegeben sind, ob sie in vollen, breiten
Formen, sehr real, sich gegenübertreten, in welcher Phantasiegewandung,
durch welche Farbenwirkung, mit welchen Abzeichen versehen wir sie
beschauen, ob in geschlossenem, architektonischem Raum, ob in freier
Natur, ob allein, oder ob unter Hinzuziehung himmlischer oder mensch-
licher Zeugen — stets sollen uns das Lob der Demut und Jungfräulichkeit,
das höchste Geheimnis göttlicher Liebe, der Beginn der Menschwerdung
Gottes nahe gebracht werden und uns erschüttern.
Die älteste Wiedergabe des erhabenen Geheimnisses stammt bereits
aus dem II. Jahrhundert und findet sich in der Priszillakatakombe. Der Engel,
in feierlicher Gewandung, steht vor der Jungfrau und hat die Rechte zum
Redegruß erhoben. Maria empfängt sitzend die Botschaft, wodurch der
Maler ihren Vorrang vor dem Engel hervorheben wollte. Ganz ähnlich ist
die Szene auf einem Fresko des III. Jahrhunderts, in Kammer 54 der
Katakombe der Heiligen Petrus und Marzellinus gegeben.
Eine sehr alte und historisch hoch interessante „Verkündigung", nicht
später als aus der Zeit vom V. bis VIII. Jahrhundert, wurde jüngst auf
einem byzantinischen Gewebe aus dem neuerschlossenen Schatze der
lateranischen Palastkapelle der mittelalterlichen Päpste entdeckt. Maria hat
hier bei der Begrüßung durch den Engel einen Arbeitskorb neben sich
Rothes, Madonna. ] ]
* 162 *
stehen, aus dem ein Faden hervorgeht. Den derröm
Sammlung Trivulzio zu Mailand; Sarkophag bei dem
Kästchen des X.Jahrhunderts, Louvre, Paris; Hom
isch-griechisehen Reichs-
kunst eigenen Cha-
rakter beweisen der
reiche Schmuck des
Thrones, die Ge-
wandung des Engels,
mit viereckigen, dun-
keln Clavi versehen,
auch dessen starrer
Blick, dann der Prunk
in den Farben, be-
sonders der Flügel.
Es handelt sich hier
um eines der schön-
sten, wenn nicht
geradezu um das
schönste Stück unter
allen erhaltenen, ge-
webten alten Darstel-
lungen rein christ-
lichen Charakters.
Durch das freund-
liche Anerbieten des
Entdeckers,HerrnPro-
fessors Paters Grisar
S. J., wird das wert-
volle Bild in bei-
stehender Reproduk-
tion zuerst weiteren
deutschen Kreisen be-
kannt (s. Abb. 117).
Aeltere Darstel -
hingen der Verkün-
digung sind ferner:
Elfenbeinrelief des
Bischofsstuhls Maxi-
mians zu Ravenna;
Elfenbeinrelief der
Grab Dantes in Ravenna;
ilien des Mönches Jakob
* 163 *
in fünf Szenen nach apokryphen Evangelien (h. Jungfrau am Brunnen,
Ankunft des Engels, eigentliche Verkündigung, Rückkehr des Engels in den
Himmel, die h. Jungfrau trägt den Purpur zum Tempel); Gemmen der
Nationalbibliothek zu Paris; Exultet von Capua; Kapital an der Kirchtür
von San Andrea zu Pistoja, von Magister Enricus, ebenda; San Bartolomeo
da Pantano: Relief an der Kanzel von Guido da Como; Mosaik in Santa
Maria Trastevere in Rom.
Die ältere Germanische Kunst knüpfte an den sog.syro-palästinensischen
Typ an, wo Maria vor ihrem Sessel stehend, die Arme erhoben oder ge-
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Abb. 118. Lionardo da Vinci, Maria Verkündigung, Florenz, Uffizien.
(Siehe Seite 167.)
kreuzt, den Boten empfängt, so auf dem angelsächsischen Ruthwellkreuz,
in karolingisch-ottonischen Bibeln (Cod. Egberti), an Bernwards Bronze-
Domtüre zu Hildesheim und im Wischerahder Kodex in Prag aus dem
XI. Jahrhundert.
Eine höfische, fast etwas abgeschmackt wirkende Konzeption bringt
die französische Plastik des XIII. Jahrhunderts, die von Rheims her auch
nach Deutschland, Bamberg, Freiburg, Trier eindringt. Gabriel, schalk-
haft lächelnd, als Mitwisser eines süßen Geheimnisses, begrüßt die ob
der Botschaft freudig bewegte Jungfrau. Das Bestreben, die Empfängnis
durch den Heiligen Geist anzudeuten, verleitete die alten deutschen Künstler
oft zu unästhetischen, grob massiven Verirrungen. Noch verständlich und
nicht unkünstlerisch ist das einfachste Symbol, die Taube, die sich auf das
* 164 *
Abb. 119. Albr. Dürer, Die Verkündigung. Holzschnitt aus dem Marienleben.
(Siehe Seite 167.)
* 165 *
Haupt der Jungfrau senkt oder auf sie zuflattert, oft in einem Strahlen-
bündel, das oben vom segnenden Gott Vater in Wolken ausgeht. Dahinter
Original-Aufnahme.
Abb. 120. Lukas Cranach, Verkündigung. Halle a. S., Marktkirche.
(Siehe Seite 167.)
aber, oder statt dessen, ist häufig der Logos gegeben in Gestalt eines
kleinen Kindes, mit dem Kreuze beladen oder in betender Haltung, so an
* 166 *
dem Tympanon zu Wimpfen i. Th. von 1476. Der Strahl nimmt manch-
mal die Form eines Schlauches oder Stabes an, der den Logos oder die
Taube nach dem Ohr der Jungfrau leitet, so am Katzenwicker und der
Liebfrauenkirche, früher auch am Dome zu Würzburg, nach der mystischen
Auffassung, Maria habe durch das Ohr empfangen. „Dur ir öre empfienc
si den vil süezen", singt Walter von der Vogelweide. Im Glasgemälde
der Benediktuskirche zu Freising hat Gott Vater statt des Strahles ein
großes Blasrohr in der Hand, in Thörl in Kärnten reicht er das Kind in
einem Ei mit Kreuz herunter. Erst durch den in diesem Falle „reinigenden"
Abb. 121. Bart. Esteb. Murillo, Maria Verkündigung, Madrid, Prado.
(Siehe Seite 167.)
Einfluß der feierlichen Verkündigungsbilder der italienischen Renaissance
ließ die deutsche Kunst von diesen groben Versinnlichungen des über-
sinnlichsten Geheimnisses ab und erhob sich auch ihrerseits zu weihevollen
und feinsinnigen Konzeptionen des erhabenen Vorgangs.
Im folgenden seien nur noch kurz die Namen bedeutenderer Künstler
genannt, die Maria Verkündigung — zum großen Teil mehrfach — be-
handelten: Giotto, Duccio, Simone Martini, Lippo Memmi, die Lorenzetti
Gaddi, Taddeo di Bartolo, Spinello Aretino, Fra Guglielmo da Pisa
Pisanello, Orcagna, Fra Angelico da Fiesole, Donatello, die della Robbia,
Pier de la Francesca, Filippo Lippi, Botticelli, Carlo Crivelli, Ghirlandajo,
* 167 *
Lorenzo di Credi, Perugino, Filippino Lippi, Francesco Francia, Lionardo
da Vinci (s. Abb. 118), Tizian, Paolo Veronese, Tintoretto, Andrea del Sarto,
Francesco Abani, Meister der Miniatur in der Hofbibliothek zu Darmstadt,
Phot. Alinari.
Abb. 122. Luca della Robbia, Heimsuchung, Pistoia, Skulptur in S. Giovanni.
(Siehe Seite 170.)
Meister F. V. B. (Kupferstich), Dürer (s. Abb. 1 IQ), Lukas Cranach der Aeltere
(s. Abb. 120), Martin Schaffner, Grünewald, Veit Stoß, Jan Joest von Calcar,
Petrus Christus, van Eyck, Murillo (s. Abb. 121), Cano, Pacheco, Verdiguier.
Neuerdings: Eduard von Steinle, Franz Müller, Frl. v. Oer, Vogeler-
Worpswede, Parsons, Shields, Dante Gabriel Rossetti, Segantini.
* 168 *
Heimsuchung.
Maria Heimsuchung ist weit weniger häufig dargestellt. Kurze Zeit
vor der Geburt Jesu besucht Maria ihre Base Elisabeth. Diese empfängt
Phot. Union.
Abb. 123. J. E. von Steinle, Heimsuchung Maria.
(Siehe Seite 171.)
und begrüßt die hl. Jungfrau vor ihrem Hause. Vielfach sind dienende
Frauen, mitunter auch Joseph und Zacharias bei der Begegnung, ja Um-
armung der beiden heiligen Frauen zugegen.
* 169 *
Abb. 124. Karl Müller, Maria Heimsuchung. Privatbesitz in Köln.
(Siehe Seite 171.)
170
Hauptsächlichste Darstellungen: Homilien des Mönches Jakob, der
in einem der eigentlichen Begegnung vorausgehenden Bild auch noch
Maria auf dem Wege zu Elisabeth ausruhend zeigt, Dürer, Giotto, Gaddi,
Ghirlandajo, Sodoma in früher erwähnten Zyklen, Fra Guglielmo da Pisa,
Kanzel zu Pistoia; Carpaccio, Museo Correr, Venedig; Sebastian del Piombo
(Schulbild), Akade-
mie, daselbst; Luca
della Robbia, Pistoia,
S. Giovanni fuori
civitas (s. Abb. 122);
Albertinelli: Uffizien
zu Florenz; Raffael
Sanzio: Pradomu-
seum zu Madrid;
Juanes, ebenda; Juan
del Castillo, Museum
zu Sevilla; Meister
von S. Bento, Museum
zu Lissabon; Tobias
Stimmer(Holzschnitt),
Skulptur des sog.
„Meisters der Heim-
suchung" am Dome
zu Bamberg, Skulp-
tur am Dome zu
Freiburg, Schühleins
Altar in Tiefenbronn.
Auch bei den Dar-
stellungen der Heim-
suchung hat die ältere
deutsche Kunst oft
— was man der sehr
derben Zeit zugute
halten muß — die Grenzen des guten Geschmacks in unerhörter Weise
überschritten. Darstellungen, auf welchen ein vielstrahliger Stern vor
dem Körper der Frauen erscheint, wie auf dem Herlinschen Altar in
Rotenburg, oder die Kinder in Strahlennimben vor den Gewändern
schweben, wie auf dem Hallerschen Altar im Ferdinandeum zu Innsbruck,
auf einem Altkölner Altärchen aus Oberwesel im erzbischöflichen Museum
zu Utrecht und auf einem Bild im Rathaus zu Nördlingen sind zur
Abb. 125. Karl Müller, Maria Heimsuchung.
Im Privatbesitz in Geestemünde.
(Siehe Seite 171.)
* 171 *
Not noch erträglich, nicht mehr aber jene, von offenbar roheren Naturen
geschaffenen, ordinär -sinnlichen Symbolismen auf Wiedergaben an der
geschnitzten Tür von Trandorf bei Straßwalchen im Salzburgischen, bei
einer Elfenbeingruppe auf Burg Falkenstein im Harz, auf einem Teppich
(No. 41) im Museum zu Sigmaringen, auf einer Holzgruppe von Sankt
Petri- Pauli in Görlitz, auf Bildern zu Sankt Georg bei Bonaduz, zu
Bogen an der Donau.
Phot. Löwy.
Abb. 126. Jos. von Führich, Der Gang Maria über das Gebirge.
(Siehe Seite 171.)
Von neueren Künstlern haben: J. E. von Steinle (s. Abb. 123) und
Karl Müller, Düsseldorf 1868 (Privatbesitz zu Köln und zu Geestemünde)
(s. Abb. 124 und 125), das Thema edel behandelt. Den „Gang Mariens
über das Gebirge zu Elisabeth" malte poesievoll Joseph von Führich
(s. Abb. 126). Fritz von Uhdes Gemälde: „Ein schwerer Gang" („Gang
nach Bethlehem"), Pinakothek, München, und „Der heilige Abend" mögen
an dieser Stelle Erwähnung finden.
172
Maria und die Kindheit Jesu.
)n den Bildern, die sich mit der Kindheit des göttlichen Erlösers
beschäftigen, spielt die Mutter Gottes selbstverständlich auch eine
Rolle. Und so haben Künstler, die das Marienleben schilderten,
wie auch Dürer, mit Recht die Szenen aus der Kindheit Jesu in diese
Phot. Hanfstaeogl.
Abb. 127. Albr. Dürer, Geburt Christi. München, Pinakothek.
(Siehe Seite 174.)
Zyklen hineinbezogen. Da aber doch das göttliche Kind hierbei im
Vordergrund des Interesses steht und Maria nur in zweiter Linie in
* 173
Abb. 128. Albr. Dürer, Die Geburt Christi. Kupferstich aus dem Jahre 1504.
(Siehe Seite 174.)
* 174 *
Betracht kommt, sind diese Darstellungen an dieser Stelle nur ganz
flüchtig zu berühren. Christi Geburt ist entweder als Wochenstubenszene
gegeben und Maria als Wöchnerin im Ruhebett (Elfenbeinrelief vom
Bischofsstuhl Maximians zu Ravenna; Elfenbeinrelief des Kölner Museums,
Rheinische Kunst, XII. Jahrhundert; Guglielmo da Pisa, die Pisani, Cimabue,
Giotto, Orcagna), oder die Anbetung des göttlichen Knaben durch Maria
und Joseph (Miniatur im Besitz des Fürsten zu Salm-Salm, Anhalt), oder
Abb. 129. Bart. Esteb. Murillo, Anbetung der Hirten. Madrid, Prado-Museum.
(Siehe Seite 174.)
durch die vom Engel herbeigerufenen Hirten ist gewählt. In diesem
letzten Falle ist Maria meist ebenfalls niedergekniet und verehrt betend
die in der Krippe liegende göttliche Allmacht. (Fra Angelico, Benozzo
Gozzoli, Perugino, Botticelli, Lorenzo di Credi, Correggio, Meister von
Liesborn, Dürer [s. Abb. 127 und 128], Holbein d. J., Barthel Bruyn, van
der Goes, van Dyck, Rubens, Rembrandt, Murillo [s. Abb. 129], Velasquez
u. a.). Neue Behandlungen des Stoffs sind z.B. von Walter Firle, Karl Marr,
Karl Müller, Nüttgens, v. Oer, Sinkel, Uhde usw.
* 175 *
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* 176 *
Die Anbetung der hl. drei Könige zeigt Maria durchgängig
sitzend; auf ihrem Schoß hat sie das Kind, dem gehuldigt wird. (Die
Pisani, Lorenzo Monaco, Gentile da Fabriano, Lionardo da Vinci, Fra
Angelico, Ghirlandajo, Stefan Lochner, Meister der heiligen Sippe [s. Abb. 131],
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Phot. Bruckniann.
Abb. 131. Meister der hl. Sippe. Anbetung der hl. drei Könige.
Im Besitz des Grafen Landsberg-Velen auf Schloß Genen.
(Siehe Seite 176.)
Hans Baidung Grün, Hans von Kulmbach, Albrecht Dürer, Rogier van der
Weyden, Memling, Roelas, Nie. Poussin [s. Abb. 130], Pfannschmidt, Strath-
mann.) Maria ist neben anderen Personen zugegen auf jenen den jüdischen
Ritus gebenden Bildern der Beschneidung (Giottoschule, Lorenzetti-
schule, Salzburger Antifonar, Klosterneuburger Altar, Michael Pacher) und
AJv,
Abb. 132.
Martin Feuerstein
Madonna
auf der Mondsich«
Straßburg.
i Siehe Seite 138.)
* 177 *
der Darstellung Christi im Tempel. (Die Pisani, Giotto, Avanzi,
Montagna, Francia, V. Carpaccio, Meister von St. Severin, Meister des
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Abb. 133. Lukas Cranach d. Ae., „Ruhe auf der Flucht nach Aegypten".
Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.
(Siehe Seite 181.)
Münchener Marienlebens, Memling, Morales, Meister von San Bento,
Bourdon.)
Rothes, Madonna.
12
* 178
Abb. 134. Lukas Cranach d. Ae., Ruhe auf der Flucht nach Aegypten.
Bez. m. d. geflügelten Drachen. Holzschnitt.
(Siehe Seite 181.)
* 179 *
Auf der Flucht nach Aegypten sitzt Maria mit dem Kinde auf
einem Esel, der entweder von Sankt Joseph selbst oder von einem Diener
geführt wird. (Oiotto, Gentile da Fabriano, Fra Angelico, Peruzzi, Mem-
ling, Dürer, Hans Baidung Grün, Elsheimer, Holman Hunt, Hans Thoma.)
Abb. 135. Bart. Esteb. Murillo, Ruhe auf der Flucht nach Aegypten. Petersburg, Eremitage.
(Siehe Seite 181.)
Mitunter ist die gleichartige Darstellung Rückkehr von der Flucht genannt.
Namentlich in späterer Zeit war die sog. Ruhe auf der Flucht
ein beliebtes Thema. Maria ist mit dem Kinde unter schattigem Baume
gelagert. Auch Sankt Joseph rüstet zur Rast oder pflückt zur Erquickung
Früchte vom Baume. Englein sind manchmal vom Himmel niedergestiegen,
* 180 *
Abb. 136 Albr. Dürer, Hl. Familie bei der Arbeit in Aegypten. Holzschnitt.
(Siehe Seite 181.)
* 181 *
um dem Jesukind die Zeit der Rast zu verkürzen. (Tizian, Correggio,
Lukas Cranach d. Ae. [s. Abb. 133 und 134], Altdorfer, Gerard David,
Joachim Patinir, van Dyck [s. Abb. 54], Murillo [s. Abb. 135], Ribera.)
Dürer gibt den Aufenthalt in Aegypten: die heilige Familie bei der
Arbeit (s. Abb. 136).
Den zwölfjährigen, im Tempel lehrenden Jesusknaben zurück
zu holen, treffen wir dort Maria nebst Jesu Pflegevater. (Giotto, Barna,
Luini, Bonifazio Veneziano,
LudovicoMazzolino,Kodex
Egbertus, Fresco zu Terlan,
Creglinger Altar von 1487,
Ulmer Tympanon, Kanzel
zu Naumburg, Dürer, Cam-
pana, Meister von San
Bento, neuerdings: Adolf
Menzel und Max Lieber-
mann.) Simone Martini gibt
in einem Bilde im Museum
zu Liverpool die Rückkehr
des Zwölfjährigen vom
Tempel zwischen Maria
und Joseph.
An dieser Stelle ver-
dienen auch die merk-
würdigen Darstellungen der
Sankt Anna selbdritt,
Mutter Anna mit der hei-
ligen Jungfrau und dem
kleinen Jesus zusammen,
Erwähnung. (Masaccio,
Masolino,Lionardo daVinci
[s. Abb. 137], Andrea San-
sovino, Albrecht Dürer [s. Abb. 138], die beiden Hans Holbein: der
Jüngere und der Aeltere, Lukas Cranach, Bernhard Strigel, Hans Baidung
Grün, „mit der Familie des Christof von Baden" als Stiftern, Geertgen
von Haarlem, Quentin Massys und Jan Skorel, „Heilige Sippen".)
Die heilige Familie, Maria mit dem Jesuskinde und dem Nähr-
vater Jesu, Sankt Joseph, manchmal unter Hinzuziehung des Johannes-
knaben, der Base Elisabeth, auch wohl anderer Heiliger, wurde — darunter
von den ersten Meistern der verschiedensten Länder — recht vielfach
Abb. 137. Lionardo da Vinci, Sankt Anna selbdritt.
Paris, Louvre.
(Siehe Seite. 181.)
182
dargestellt. (Lionardo da Vinci: „mit der h. Katharina", Eremitage, Peters-
burg; Tizian: London, Paris; Raffael Sanzio: „mit dem Lamm", Prado-
r i + m
Abb. 138. Albr. Dürer, Die heilige Anna selbdritt.
Kolorierte Handzeichnung von 1514. Im German. Museum, Nürnberg.
(Siehe Seite 181.)
Museum, Madrid, „mit dem bartlosen h. Joseph", Eremitage, St. Petersburg,
„mit der Eidechse", Prado-Museum, Madrid, „große hl. Familie", Louvre,
* 183 *
Paris, „la perla", Prado-Museum, Madrid, „Impanata", Pittipalast, Florenz;
Michelangelo, Uffizien, Florenz; Correggio, Sodoma, Palma Vecchio,
Abb. 139. Pet. Paul Rubens, Die hl. Familie. Köln, Wallraf-Richartz-Museum.
(Siehe Seite 184.)
[s. Abb. 30], Tiepolo; der Spanier Murillo [Nationalgalerie zu London]
Martin Sehongauer, Pinakothek zu München, Albrecht Dürer: „mit den
zwei am Boden sitzenden Kindchen", „mit der Heuschrecke", „mit fünf
Engeln", „mit den drei Hasen", „an der Mauer" [Holzschnitte und
* 184 *
Kupferstiche], Rubens [s. Abb. 139], Rembrandt. Neuerdings: J. Albrecht,
Karl Müller, Ittenbach, Feuerstein, Fugel, Wirsching usw.)
Weit mehr nebensächlich als in den Szenen aus der Kindheit Jesu
erscheint Maria gelegentlich auf Darstellungen aus dem weiteren Leben
des Herrn, auf der Hochzeit zu Cana, bei Erscheinungen nach seiner
Auferstehung usw. In Bildern mit dem jüngsten Gericht nimmt die
Mutter Gottes durchgängig den Ehrenplatz zunächst ihrem göttlichen
Sohne ein. An dieser Stelle muß dieser kurze Hinweis genügen.
Die Mater dolorosa.
Maria, die schm erzenreiche Mutter des Herrn, steht dem
Herzen der Gläubigen menschlich so nahe! Und wohl selten hatte die
Kunst Ergreifenderes zu schildern nach dem Leiden des Gottmenschen, als
die bitteren Schmerzen der Gottesmutter, als die Erfüllung der Simeonschen
Weissagung: „Deine eigene Seele aber wird ein Schwert durchdringen!"
Maria, die dem gemarterten, dornengekrönten göttlichen Sohne, der
mühsam das Kreuz schleppt, auf dem Wege nach dem Kalvarienberge
begegnet, die unter dem Kreuze steht mit zerrissenem Herzen oder durch
das Uebermaß seelischer Qualen gebrochen zusammenstürzt, die bei der
Kreuzabnahme dem zerschundenen Leichnam des Sohnes, ihn zu um-
fangen, entgegenstrebt, die, den teuersten Leichnam auf dem Schöße,
ihrem sie zermalmenden Schmerze lauten, klagenden Ausdruck gibt,
die dem unschuldig gemordeten Sohne das Grab selbst bereiten hilft -
fand in der bildenden Kunst durch erste Meister packenden Ausdruck.
Für das treu katholische und echt deutsch gefühlvolle Herz des
Altmeisters Albrecht Dürer ist es recht charakteristisch, daß er in seine
Folge des Marienlebens wie in jener der kleinen Passion eine Szene
eingeflochten hat, die den Abschied Christi von seiner Mutter vor seinem
Leidenswege gibt (s. Abb. 140). Maria, nicht mehr Meister ihrer seelischen
Erregungen, ringt die Hände und muß von Frauen gestützt werden, Christus
steht vor ihr, erhaben, beruhigend, völlig ergeben in den Willen des gött-
lichen Vaters. In der Bildhauerkunst hat Adam Krafft das Thema in
einem Relief seines Sakramentshäuschens in der Lorenzkirche zu Nürn-
berg geschildert. Der Italiener Correggio malte die gleiche Episode
(Sammlung R. Benson, London) und erhöhte dadurch, daß er die Nacht
hereinbrechen läßt, die tragische Stimmung. Der Venezianer Lorenzo
Lotto behandelte denselben Stoff in einem Bilde im Kaiser Friedrich-
Museum zu Berlin.
In den Darstellungen der Kreuztragung wirken oft die nach Aus-
druck ringenden Qualen der Mater dolorosa, die ihrem Sohn auf dem
* 185 *
Abb. 140. Albr. Dürer, Christus nimmt Abschied von seiner Mutter.
Holzschnitt aus dem Marienleben.
(Siehe Seite 184.)
* 186 *
Leidenswege nach Golgatha begegnet, herzzerreißender als die geduldige
Ergebung des unschuldigen Gotteslammes selbst.
Bei den deutschen Künstlern, in Dürers Passionen, sucht Maria meist
ihre Schmerzen zu bemeistern und ist noch imstande, dem kreuztragenden
Heiland zu folgen. Weit dramatischer verwenden die Italiener das Motiv.
Bei Giotto (Arenakapelle, Padua) und Simone Martini (Louvre, Paris)
Abb. 141. Gebh. Fugel, Die Muttergottes beim Anblick ihres kreuztragenden Sohnes.
(Siehe Seite 1S8.)
drängen rohe Schergen die nach ihrem Sohne hinstrebende schmerzhafte
Mutter hart zurück. In späteren Darstellungen sind Schmerz und Sehnsucht
der Mutter, Roheit und Grausamkeit der Kriegsknechte noch lebendiger
geschildert. (Lorenzetti in Assisi; Niccolo di Pietro Gerini, Sakristei von
Santa Croce, Florenz; Tiepolo, Votivbild in San Alvise, Venedig.) Den
erschütterndsten Ausdruck verleiht Raffael Sanzio in seinem sog. Spasimo
di Sicilia dieser Szene. Der Heiland bricht unter der Last des Kreuzes
* 187 *
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* 188 *
zusammen, Maria, die ihn auffangen will, ist selbst einer Ohnmacht nahe.
In neuester Zeit behandelte Gebhart Fugel das Thema ergreifend und
voller Lebendigkeit ('s. Abb. 141). Joseph Janssens hält in einer Dar-
Abb. 143. Grünewald, Die Schmerzensmutter.
Teildarstellung aus dem Isenheimer Altargemälde, Colmar.
(Siehe Seite 190.)
Stellung den Augenblick fest, in dem Veronika der schmerzhaften Mutter
das Schweißtuch mit dem eingeprägten Leidensantlitz ihres göttlichen
Sohnes überbringt (s. Abb. 142).
* 189 *
In zahlreichen Darstellungen steht Maria unter dem Kreuzesholze,
an dem ihr göttlicher Sohn verblutet. (Martin Schongauer, Kupferstich,
Akademie zu Wien; Holbein d. J., Tuschzeichnung, Basel; Mosaik in San
Abb. 144. B. Plockhorst, Die schmerzhafte Mutter Gottes am
Fuße des Kreuzes wird von einem Engel getröstet.
(Siehe Seite 190.)
Marco zu Venedig, XIII. Jahrhundert; Jacopo Avanzi, Galleria Colonna zu
Rom; Fra Angelico, San Marco, Florenz; Marco Palmezzano, Uffizien,
Florenz; Perugino, Santa Maddalena dei Pazzi zu Florenz, Akademie,
daselbst und San Agostino, Siena.) Weit häufiger jedoch wird die heilige
190
Mutter auf Golgatha vom Schmerz übermannt; sie ist einer Ohnmacht
nahe, sie wird gerade ohnmächtig oder ist bereits in Ohnmacht gesunken.
(Dürer, Passions -
folgen ; Nicola Pisano,
Kanzel im Dom zu
Siena; Giotto, Assisi
und Padua; Giottino
in Santa Maria No-
vella,Florenz; Duccio,
Domopera, Siena;
Tintoretto, Akademie
zu Venedig; Grüne-
wald, Isenheimer Altar,
Colmar [s. Abb. 143].)
Plockhorstgab neuer-
dings die schmerz-
hafte Mutter am Fuße
des Kreuzes kniend,
während sie ein Engel
zu trösten versucht
(s. Abb. 144).
Die Darstellungen
der Kreuzabnahme
wirken vielfach gerade
durch die Anwesen-
heitderschmerzhaften
Mutter und durch die
Rolle, die sie hier
spielt, erst recht er-
greifend. Während
bei Signorelli in
seinem Bilde in der
Kirche Santa Croce in
Umbertide (La Fratta)
Maria zur Zeit, als der
Heiland vom Kreuze
gelöst wird, noch in
tiefer Ohnmacht liegt
und so die Veränderung nicht gewahr wird, während bei Perugino
in seinem Gemälde in der Akademie zu Florenz Maria, die sich bisher
Abb. 145. Duccio, Kreuzabnahme. Szene aus dem
Dombild in d. Domopera zu Siena.
(Siehe Seite 191.)
* 191 *
mit Aufbietung aller ihrer Kräfte standhaft bezwungen hat, jetzt, ge-
legentlich der Abnahme ihres Sohnes vom Kreuze, die Besinnung ver-
liert und den klagenden Frauen in die Arme fällt, strebt meistens die
schmerzgebeugte Mutter dem vom Kreuze gelösten Herrn entgegen, ihn
zu empfangen, ihre Lippen auf seine Hand oder auf sein Gesicht zu
drücken. Alte Elfenbeinreliefs im Museo nazionale zu Ravenna, im Museo
art. ind. zu Mailand (XIII. Jahrhundert), von Nicola Pisano im Dome zu
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1
Abb. 146. Fra Bartolommeo, Beweinung Christi. Florenz, Pittipalast.
(Siehe Seite 193.)
Lucca, stellen die Szene bereits derartig dar. An wahrem, innigem
Gefühlsausdruck, auch von der späteren Kunst unübertroffen, gibt sie
Duccio auf dem Dombild zu Siena (s. Abb. 145).
Ein überquellendes, mannigfaltig abgestuftes Gefühlsleben spricht
dann aus den zahlreichen Darstellungen der Beweinung Christi. Der
vom Kreuze herabgenommene Leichnam des Heilandes ruht im Schöße
der Mater dolorosa, die den unerträglichen Qualgefühlen, die ihr Inneres
zerreißen, durch heiße Klage Ausdruck verleiht. Vielfach beteiligen sich der
Lieblingsjünger, Maria Magdalena und andere Heilige an der Beweinung.
* 192 *
Häufig ist mit der Beweinung die Grablegung verbunden. Die
ganze Gefühlsskala von sanft elegischer, stiller, ergebener Klage bis zum
wildesten, leidenschaftlichsten Schmerzensansbruch gelangt gelegentlich
Abb. 147. Michelangelo Buonarroti, Pietä in der Peterskirche zu Rom.
(Siehe Seite 193.)
dieser Szenen zum Ausdruck. Das tiefe Leid der Gottesmutter um den
unschuldsvoll hingemordeten göttlichen Duldersohn vibriert in allen
denkbaren Nuancen. Zahlreiche Arbeiten behandeln das Thema in dieser
oder jener Weise: Giotto: Assisi, Padua; Giottino: Uffizien, Florenz und
* 193 *
Santa Croce, ebenda; Fra Angelico da Fiesole: Akademie und Kloster
San Marco zu Florenz; Perugino: Pittipalast zu Florenz; Marescalco,
Museum zu Vicenza; Francesco Francia: Nationalgalerie zu London;
Donatello: South Kensington-Museum, ebenda; Begarelli: San Pietro in
Modena; Tizian: Akademie zu Venedig; Sebastian del Piombo: Museo
communale zu Viterbo; Fra Bartolommeo: Pittipalast, Florenz (s. Abb. 146);
Raffael Sanzio: Galerie Borghese, Rom; Tintoretto: Pittipalast, Florenz.
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Phot. HanfstaeDgl.
Abb. 148. Jaspar de Crayer, Pietä. Wien, Kgl. Gemäldegalerie.
(Siehe Seite 195.)
Nimmt bereits bei Tintoretto das Schmerzgefühl der Madonna
so Oberhand, daß sie, während der tote Heiland auf ihrem Schöße liegt,
plötzlich in eine Ohnmacht sinkt, so ist bei Botticelli (Museo Poldi
Pezzoli zu Mailand, Pinakothek zu München) die Schilderung des Affekts
bis zum alleräußersten gesteigert und überschreitet alle Grenzen.
Michelangelo Buonarroti hat die Beweinung des toten Christus
durch seine Mutter dreimal in Stein gehauen: Die erste Pietä, das be-
kannte Jugendwerk, das im Auftrage des Kardinals de Villiers gearbeitet
wurde, befindet sich in der Peterskirche zu Rom (s. Abb. 147); die beiden
anderen, die letzten Bildhauerwerke seines Lebens, stehen im Hofe des
Rothes, Madonna.
13
194
Palastes Rondanini, ebenda, und hinter dem Hochaltar im Dom zu Florenz.
In den überschwenglichen seelischen Leidensausdruck, den der hochbetagte
Michelangelo in diesen beiden letzten Pietäs dem Antlitz der Mater dolo-
rosa wie auch jenem des bereits gestorbenen Heilands aufgeprägt hat,
wollte er alle Kümmernisse seines eigenen an schmerzlichen Erfahrungen
undEnttäuschungen
reichen langen Le-
bens gleichsam hin-
einlegen, und sind
dieselben, obwohl
nicht ganz vollendet,
schon deswegen
kunstgeschichtlich
von hervorragender
Bedeutung.
AlbrechtDürer,
obgleich sonst in
seinen Passions-
folgen von drama-
tischer Wucht, war
trotzdem speziell in
seinen Wiedergaben
derBeweinung einer
sanfteren Tonart der
Klage nicht abge-
neigt. Von Bewei-
nungen deutscher
Künstler seien noch
genannt die Pietä
eines fränkischen
Künstlers in der Ja-
kobskirche zu Nürn-
berg; die ebenfalls
plastische Gruppe
von Adam Kr äfft in der Sebalduskirche, ebenda; jene im Domschatz
zu Fulda; die in der Marienkirche zu Zwickau aus der sächsischen Schule;
Martin Schongauers Bild zu Kolmar; Schüchlins Altarwerk in Tiefen-
bronn; Tilman Riemenschneiders Beweinung zu Maidbrunn.
Von den flämischen Künstlern gab keiner die Pietä so häufig und so
ergreifend wie der empfindsame Anton van Dyck: Museum zu Antwerpen,
Abb. 149. Hendrik Goltzius, Pietä. Kupferstich von 1596.
I Siehe Seite 195.)
195
Kaiser Friedrich -Museum zu Berlin, zweimal in der Pinakothek zu
München. Ebendaselbst befindet sich eine mit warmer, mitfühlender
Gesinnung großzügig gemalte Behandlung des Themas von Quentin
Matsys (s. Abb. 104). Von einem anderen Vlamen, einem Nachahmer
des Rubens, Jaspar deCrayer, zeigt eine tiefempfundene Pietä ein Bild
im Kgl. kunsthistorischen Museum zu Wien (s. Abb. 148). Vom Holländer
Hendrik Goltzius gibt dieselbe ein Kupferstich von 1596 (s. Abb. 149).
Abb. 150. G. Busch, Pietä in der St. Antoniuskirche zu Frankfurt a. M.
(Siehe Seite 195.1
Bedeutendere spanische Beweinungen sind z. B. die des Murillo im Museum
zu Sevilla und die des Juan Nunez (XV. Jahrhundert) mit den Heiligen
Michael, Vinzenz und dem Stifter in der Sacristia de los Calices der
Kathedrale zu Sevilla. Von den zahlreichen Behandlungen des Stoffes aus
neuerer Zeit seien ein Gemälde von Max Klinger und zwei hervorragende
plastische Arbeiten genannt: von Georg Busch in der Sankt Antonius-
kirche zu Frankfurt am Main (s. Abb. 150) und von Giovanni Dupre
auf dem Campo Santo zu Siena (s. Abb. 151).
* 196 *
Die schmerzhafte Mutter nur durch einen weiblichen Kopf voll
klagenden, leidenden Ausdrucks zu geben, liebten in mannigfaltigen Dar-
stellungen Sassoferrato, Carlo Dolci (s. Abb. 152) und Guido Reni
(s. Abb. 153), auch die von diesen Meistern künstlerisch abhängigen Franzosen,
wie z.B. Pierre Mignard, und Spanier, wie Juseppe Ribera z. B. auf
einem Bilde in der Gemäldegalerie zu Kassel. Aehnlich befinden sich von
Tizian zwei ausdrucksvolle Bilder der Mater dolorosa in halber Gestalt im
Prado-Museum zu Madrid. Die deutschen Künstler zogen Einzeldarstellungen
der Schmerzensmutter in ganzer Gestalt vor. Eine solche plastische klagende
Mutter Gottes aus der Frühzeit des XVI. Jahrhunderts im Germanischen
Abb. 151. G. Dupre, Pietä. Siena, Capeila Bicchi-Ruspoli auf dem Canipo Santo.
(Siehe Seite 195.)
Museum zu Nürnberg verbindet hohen Adel im Ausdruck der Empfindung
mit feinfühliger Modellierung. Hans Holbeins des Jüngeren Oel-
gemälde bräunlichen Tons mit der niedergeknieten Schmerzensmutter in
klassisch-phantastischer Architektur gehört zu den interessantesten Arbeiten
des hervorragenden deutschen Malers. Von spanischen Einzeldarstellungen
der Mater dolorosa seien erwähnt: die des Morales im Prado-Museum zu
Madrid; die des Murillo in der Sakristei der Capella Real der Kathedrale
zu Sevilla; die Virgen de la Soledad von AI. Cano in der Capella de San
Miguel der Kathedrale von Granada, nach einem Bildwerk des Gaspar
Becerra gearbeitet.
Zyklische Darstellungen der sieben Schmerzen Maria sind zweifellos
im Anschluß an Jacopones ergreifend schöner Sequenz „de Septem doloribus
* 197 *
Mariae virginis" entstanden; sie sind auf Altarwerken des XV. Jahrhunderts
erhalten, z. B. in Reliefs auf dem Schmerzensaltar der Pfarrkirche zu
Abb. 152. Carlo Dolci, Mater dolorosa.
(Siehe Seite 196.)
Schwerte, waren aber weniger beliebt als die der sieben Freuden Maria.
(Memling, Pinakothek zu München; Meister des Münchener Marienlebens,
* 198 *
ebenda; Veit Stoß, Englischer Gruß, Lorenzkirche zu Nürnberg.) Das
symbolistische Motiv, das Marias Herz, gemäß der Prophezeiung Simeons
Abb. 153. Guido Reni, Mater dolorosa.
(Siehe Seite ]Q6.)
„Deine eigene Seele aber wird ein Schwert durchdringen" (Lukas, 2, 35)
* 199 *
von einem Schwerte, später in Anlehnung an die „sieben Schmerzen" gar
von sieben Schwertern durchstochen zeigt, wirkt in seiner grobsinn-
lichen Verdeutlichung mehr drastisch als künstlerisch; solche Darstellungen
kommen nicht vor 1450 vor, sind aber namentlich in neuester Zeit wieder
recht verbreitet.
Der Tod Maria.
Der Tod Maria ist wohl mit der größten Ausführlichkeit von dem
Sienesen Duccio in den Predellen zu des Meisters berühmtem Sieneser
Dombild geschildert. Sechs Szenen befassen sich hier mit dem Ableben
der heiligen Jungfrau. Ein Engel verkündet Maria ihren nahen Tod —
Krankenbesuch der Apostel — Eigentlicher Tod — Trauerfeier am Toten-
bette — Leichenbegängnis — Grablegung. — Vier Episoden (Krankenbesuch
der Apostel, Tod, Leichenfeier, Begräbnis) gibtTaddeo di Bartolo in Fresko-
darstellungen in San Francesco zu Pisa und in der Rathauskapelle zu Siena.
In bezug auf die übrigen Einzeldarstellungen des Todes Maria ist zu
bemerken, daß in der nordischen Kunst meistens der Augenblick fest-
gehalten wird, in dem die seligste Jungfrau, umgeben von den Aposteln,
die ihre Erschütterung kaum verbergen können und Sterbegebete ver-
richten, gerade den Geist aufgibt, während von den südlichen Meistern
die Leichenfeier vorgezogen wird, welche die Apostel, um das Totenlager
der bereits heimgegangenen Madonna gruppiert, veranstalten. In ihrer
Mitte steht der göttliche Heiland und hat die Seele seiner Mutter in
Gestalt eines Kindes in den Armen. Aelteste derartige Darstellungen sind
ein byzantinisches Gemälde im South Kensington - Museum zu London,
das Elfenbeintriptychon der ehemaligen Kollektion Spitzer; ein Mosaik
der Kirche della Martorana in Palermo aus dem XII.Jahrhundert(s.Abb. 154);
aus gleicher Zeit, aus der Salzburger Schule: ein Miniaturbild des Cod.
Latin. 15 903 in der Staatsbibliothek zu München; ein Elfenbeindeckel im
Museo di Classe zu Ravenna; ein Mosaik des XIII. Jahrhunderts in Santa
Maria in Trastevere zu Rom; ein Relief an der Kanzel der Kirche San
Giovanni fuori civitas in Pistoja von Fra Guglielmo da Pisa; ein solches
am Tabernakel des Orcagna in Or San Michele zu Florenz. Masaccio
gibt die Bestattung Maria in der Bibliotheca Vaticana; Jacopo Avanzi den
Tod in San Michele zu Padua; Ottaviano Nelli: Ankündigung des Todes
durch den Engel, Krankenbesuch der Apostel, Heimgang, Leichenfeier und
Begräbnis im Palazzo dei Trinci zu Foligno; Fra Angelico da Fiesole t
Tod, Leichenfeier, Grablegung, Aufnahme in den Himmel, in der Jesus-
kirche zu Cortona, den Uffizien zu Florenz, dem Museum zu Madrid, bei
Mr. Fuller-Maitland und Lord Methuen in London; Luca Giordano: Tod,
* 200 *
Abb. 154. „Der Tod Maria". Mosaik des XII. Jahrhunderts.
Kirche della Martorana in Palermo.
(Siehe Seite 199.)
* 201 *
Begräbnis und Aufnahme in den Himmel al fresco am Deckengewölbe
vor der Capilla Mayör der Kirche des Escorial. Ein Bild des Todes
Maria aus altdeutscher Schule besitzt die Sacristia de los Calices der
Kathedrale zu Sevilla. Eine bereits aus dem XIII. Jahrhundert stammende
treffliche plastische deutsche Behandlung des Themas zeigt das Südportal
des Münsters zu Straßburg. Eine schwäbische Darstellung von Maria
Heimgang (ca. 1510) besitzt das Kaiser Friedrich -Museum zu Berlin;
ebendaselbst ist ein interessantes Gemälde dieses Inhalts von dem Württen-
berger Hans Multscher (1400—1467). Wahrhaft ergreifend durch die
Abb. 155. Meister des Todes Maria, Tod Maria. Köln, Stadt. Wallr.-Rich. -Museum. (Mittelstück.)
(Siehe Seite 201.)
Innigkeit des Gefühls und die Schlichtheit der Auffassung wirken die
zwei Gemälde mit dem Ableben der heiligen Jungfrau des hiernach be-
nannten „Meisters des Todes Maria" mit knienden Stiftern und deren
Schutzheiligen im Museum zu Köln (s. Abb. 155) und in der Pinakothek
zu München. Verwandt hiermit erscheint eine den gleichen Stoff gebende
Darstellung am Hochaltar der Kirche von Calcar, ein Werk des Jan Joest
von Calcar, der, wie auch der „Meister des Todes Maria", aus den Nieder-
landen stammen mag, aber den Hauptwirkungskreis für sein Schaffen an den
Ufern des deutschen Rheines fand. — Hugo van der Goes komponierte
die Szene gleichartig in seinem Bilde in der Akademie zu Brügge.
* 202 *
Anders wieder gibt die Darstellung der Bildhauer Veit Stoß, der
Maria, in voller Gewandung kniend, betend, in die Arme der Apostel zum
plötzlichen Todesschlaf fallen läßt, so auf dem Marienaltar der Marienkirche
zu Krakau, dem Altar in Kirchdrauf und dem Hochaltar in Schwabach.
Aehnlich verbildlicht Maria Tod Martin Schaffner auf dem Gemälde
von 1524 aus Wettenhausen, jetzt in der Münchener Pinakothek und
Abb. 156. Jan Macip, Tod Maria. Dresden, Gemälde-Galerie.
(Siehe Seite 203.)
H. Holbein der Aeltere — hier stirbt die Gottesmutter zwischen Petrus
und Paulus — in Basel. Auf einem altdeutschen Hausaltärchen in Maria
Pfarr von 1443 kniet Maria vor ihrem Bette und wird von Johannes auf-
gefangen. — Von spanischen Arbeiten seien die plastischen Reliefdar-
stellungen des Todes und der Erhebung Maria am Südportale der Kathedrale
von Leon genannt und das vortreffliche, lionardesk empfundene Gemälde
des Heimgangs der heiligen Jungfrau unter den von Llanos und Almedina
* 203 *
1506 gemalten Flügelbildern des Hochaltars der Kathedrale von Valencia,
ferner ein Bild von Jan Macip in der Dresdner Galerie (s. Abb. 156). Arbeit
neueren Datums ist Franz Ittenbachs Fresko Tod und Begräbnis Maria
in der Apollinariskirche bei Remagen.
Himmelfahrt.
Die Darstellungen der Himmelfahrt Maria haben allmählich in der
bildenden Kunst die ihres Ablebens auf dem Sterbebette verdrängt. Be-
reits Cimabue gab vor 1300, laut Vasari, vite, I. p. 374, in Gemälden der
„Aufnahme Mariens in den Himmel" vor der Schilderung ihres Todes
den Vorzug. Oben gab er die gen Himmel fliegende Madonna, von
Engeln geleitet, von ihrem göttlichen Sohne empfangen, unten das leere
Grab mit den Aposteln, dahinter drei Reihen Heilige. Ganz ähnlich ge-
halten ist das in den Beginn des Quattrocento fallende Fresko in der
Unterkirche von Subiaco. Aber erst die sienesische Malerschule mit ihrem
ausgebildeten Sinn für Glanz und festliche Stimmung verhalf der Komposition
zu künstlerischer Bedeutung. Von einem Kranz entzückender Engel um-
schwärmt, schwebt die zu höchster Herrlichkeit Erhobene verklärt in
himmlische Sphären empor. Das Staunen der Apostel unten am leeren
Grabe wird gegenstandslos gegenüber dem Freudenrausch der Himmels-
bewohner über die Ankunft ihrer Königin. Engelsmusik tönt ihr entgegen.
Die Gottheit selber bereitet den Empfang. So gaben die Himmelfahrt
Mariens Pietro Lorenzetti und Lippo Memmi in Bildern zu Siena und
München, abhängig von diesen der sienesische Quattrocentist Giovanni
di Paolo in der Kollegiatkirche zu Asciano bei Siena, der Pisaner
Francesco Train i im Campo Santo zu Pisa. An die gleichen Motive
anknüpfend gedieh die Komposition dann weiter in Florenz. Ghirlandajo
brachte sie dort in der Chorkapelle von Santa Maria Novella in Verbindung
mit ihrem Hinscheiden; plastisch: Nanno di Banco im Dom daselbst und
Donatello in Sant' Angelo a Nilo zu Neapel, Masolino in einem Bilde in
gleicher Stadt im Museo Nazionale. Von Maria Himmelfahrtsdarstellungen
der Spätzeit in Siena wären noch eine des Matteo Balducci in San Spirito
und die des Sodoma im Oratorio di San Bernardino zu erwähnen.
Botticelli behandelte das Thema mit Reminiszenzen an Dantes Schilderung
des Paradieses in einem großen Gemälde der Nationalgalerie zu London,
Correggio monumental al fresco in der Kuppel des Domes zu Parma.
Fuhr Maria in den frühen Bildern demütig betend, mit gefaltenen
Händen und niedergeschlagenen Augen, zum Himmel auf, so richtet sich nun
mit verzehrendem Sehnsuchtsblick ihr Auge schwärmerisch nach oben, mit
* 204 *
Abb. 157. Tiziano Vecellio, Maria Himmelfahrt. Venedig, Akademie.
(Siehe Seite 206.)
205
Abb. 158. Bart. Esteb. Murillo, Maria Himmelfahrt. Petersburg, Eremitage.
(Siehe Seite 206.)
* 206 *
über der Brust gekreuzten Armen strebt die Verzückte der ewigen
Heimat entgegen. So entschwebt Maria gen Himmel auf dem Altarbild
des Tiepolo in der Würzburger Schloßkapelle, so von den entzückten
Blicken der Apostel verfolgt, auf jenem des Tintoretto in der Akademie
zu Venedig. Den nicht mehr wieder erreichten Höhepunkt dieser Auffassung
aber bildet doch Tizians unvergleichliche, weltberühmte Assunta, ebenda
(s.Abb. 157).
Im Anschluß an italienische Muster wurde die Szene auswärts gegeben:
in Spanien von Murillo (Eremitage, Petersburg) (s. Abb. 158); von dem her-
vorragenden aragonischen Bildhauer Damian Forment (f 1533) in einem
Relief des Retablo der Kathedrale von Zaragoza; von den aus Frankreich
stammenden Brüdern Verdiguier (1782) als Portalrelief der Kathedrale
von Granada, von Vicente Juanes Macip (1523 — 79) in einem mit sehr
warmen, saftigen Farben gegebenen Bilde des Museums zu Valenzia; in
Bildern von Valdes Leal und Juan del Castillo im Museum zu Sevilla,
die vielleicht von des Italieners Carlo Maratta Assunta in der Kathedrale
daselbst manches abgesehen haben. Auch des großen Vlamen Peter
Paul Rubens' Maria Himmelfahrtdarstellungen im Brüsseler Museum, im
Hofmuseum zu Wien, in der Sammlung der Kunstakademie zu Düsseldorf,
in der fürstlich Liechtensteinschen Galerie zu Wien, in der Heilig-Kreuzkirche
zu Augsburg und vor allem auf dem Hochaltar der Kathedrale zu Antwerpen
stehen völlig unter dem Banne italienischer Kompositionen, selbst Albrecht
Dürers Darstellungen: — Hellersches Altarbild, nur in einer Kopie im
städtischen Museum zu Frankfurt am Main erhalten (s.Abb. 159), und das
der Schilderung des Todes Maria nachfolgende Blatt in der Holzschnitt-
folge des Marienlebens - - sind von südlichen Anklängen nicht frei.
Doch kamen auch von dem italienischen Schema unabhängige Dar-
stellungen vor. Auf der bekannten Tutilo-Tafel steht Maria als Matrone
mit erhobenen Händen zwischen je zwei bewegten Engeln. Die einfache
Szene ist ausdrücklich durch Inschrift als „Himmelfahrt Mariens" bezeichnet.
Später tragen die Engel die Mandorla empor, in der Maria steht. Hier
knüpft das Motiv also schon wieder an die ältere italienische, sienesische
Auffassung an. Originell ist das Tympanon der goldenen Pforte in
Magdeburg, aus dem beginnenden XIV. Jahrhundert. Christus trägt in der
strahlengefüllten Mandorla die Seele Mariens in Kindesgestalt gerade vor
sich; zu seinen Füßen schweben zwei Engel mit der Bahre, worauf der
Leib, mit dem Bahrtuche bedeckt, ruht. Unten steht Thomas mit dem
Gürtel, den er verwundert in Händen hält, vor einem Kessel und Salb-
gefäß, hinter ihm und gegenüber stehen die anderen Apostel mit ihren
Abzeichen in bewegten Gruppen. In einer anderen plastischen Arbeit,
* 207 *
Abb. 159. Albrecht Dürer, Maria Himmelfahrt. Frankfurt a. M., Knnsthistor. Museum.
(Siehe Seite 206.)
208
von einem Meister V. S. am Marienaltar der Herrgottskirche zu Creglingen
an der Tauber, aus dem Jahre 1487, schwebt die heilige Jungfrau, von
Engeln leicht getragen, aus der Mitte der Apostel empor, die kniend, lesend,
Abb 160. N. Poussin, L'Assomption de la Vierge, Paris, Louvre.
i Siehe Seite 209.)
nachschauend, in malerischer Weise gruppiert sind. Auf einem Gemälde
in Breslau fallen aus der Gewandung der Madonna Hostien in das offene
Grab. Ueber dem Nordportal von Sankt Moritz in Halle ist die Himmel-
fahrt mit der Begräbnisdarstellung verbunden. Endlich sei noch das die
Abb. 161.
Georg Kau, Madonna mit dem hl. Dominikus und der hl. Katharina von Siena In der Kirche zu Rixheim.
i Siehe Seite 216. i
* 209 *
ganze Decke einnehmende riesige Monumentalfresko von Knoller aus
dem XVIII. Jahrhundert in der sog. Bürgersaalkirche zu München erwähnt.
Für die ekstatisch-schwärmerische Auffassung des Themas von Seiten der
Franzosen sind die Arbeiten von Nicolas Poussin und Pierre Prud'hon
im Louvre zu Paris charakteristisch (s. Abb. 160).
Krönung.
Die Krönung Maria hat Dürer in seinen beiden zuletzt erwähnten
Darstellungen der Himmelfahrt Maria zugleich mit dieser Darstellung
verbunden. Im unteren Teil des Bildes sehen wir das leere Grab, um-
ringt von den Aposteln. Oben hält die hl. Dreieinigkeit die Krone über
die schwebende Madonna. Aehnlich gibt Raffael Sanzio die Doppelszene
in dem Oelgemälde der Vatikanischen Sammlung. Blumen sprießen aus
dem Sarkophag, den die verwunderten Apostel umstehen. Oben, von
musizierenden jubelnden Engeln umflattert, krönt Christus seine Mutter,
die auf einer Wolke neben ihm thront. Hiervon beeinflußt, schufen Giulio
Romano und Francesco Penni die Darstellung in ihrem Bilde am
gleichen Platz. Der Heilige Geist ist diesmal Zeuge der „Krönung" durch
Christus.
Aus diesen von ersten Meistern der höchsten Blütezeit der Kunst
herrührenden, Himmelfahrt und Krönung der heiligen Jungfrau in einem
Bilde zusammenfassenden Darstellungen könnte man nun schließen, daß
etwa die Wiedergabe der Krönung aus jener der Himmelfahrt allmählich
entstanden sei. Weit gefehlt! Die beiden Themen bestanden in der Kunst
völlig unabhängig voneinander; ja, Krönungsbilder sind selbst älter als
die der Himmelfahrt Maria. Schon in alten byzantinischen Arbeiten wurde
Maria, die Himmelskönigin, vielfach gekrönt gegeben. Entweder saß die
Krone fest auf ihrem Haupte oder Engel hielten sie schwebend darüber.
Zu den ältesten Darstellungen, die auf den eigentlichen Krönungsakt, die
feierliche Handlung hinweisen, gehören eine auf einem romanischen
Bronzegefäß aus dem XI., spätestens XII. Jahrhundert im Provinzialmuseum
zu Hannover; ein Mosaik in Santa Maria in Trastevere zu Rom, eines in
Santa Maria Maggiore ebenda. In der Regel nimmt Christus die Krönung
vor, seltener die hl. Dreifaltigkeit, ganz vereinzelt Gott Vater allein
oder gar — in Gestalt einer Taube mit dem Diadem im Munde — der
Hl. Geist. Nicht so oft spielt der Vorgang auf festem Boden, auf erhöhtem
Podium bezw. Thron, viel häufiger hoch auf schwebenden Wolken, die
manchmal von Engeln gleichsam getragen und gestützt sind. Zuweilen
kniet Maria vor Christus, häufiger sitzt sie neben ihm. Scharen von
Rothes, Madonna. 14
* 210 *
jubelnden und musizierenden Engeln, zahlreiche Heilige sind vielfach,
ferner oder näher, Zeugen des erhabenen Vorgangs.
Hauptsächlichste Darstellungen sind: Oiotto, Altarwerk der Baroncelli-
Kapelle in Santa Croce zu Florenz; Spinello Aretino, Akademie zu Siena;
Phot. Hanfstaengl.
Abb. 162. Diego Velasquez, Krönung Madonnas. Madrid, Prado.
(Siehe Seite 212.1
Barna, Tabernakel von San Giovanni im Lateran; Francesco di Giorgio
Martini, Akademie zu Siena; Bernardino Fungai, Santa Maria della Concezione,
daselbst; Pietro Pollaiuolo, Akademie, ebenda; Lorenzo Monaco, Uffizien,
Florenz; Niccolo Gerini, an gleicher Stelle; Gentile da Fabriano, Brera,
* 211 *
* 212 *
Mailand; Giacomo und Pier Paolo di Venezia, San Francesco in Bologna;
Fra Angelico da Fiesole in mindestens sechs Wiedergaben: San Marco,
Fresko und auf dem Reliquiar des Maso, Silberschrank der Annunziata,
Uffizien, Akademie, alle zu Florenz und Louvre, Paris; Filippo Lippi, Dom
zu Spoleto; Borgognone, San Simpliciano zu Mailand; Ghirlandajo, Palazzo
Communale in Narni; Pinturricchio, Pinakothek des Vatikans und Santa
Maria del popolo zu Rom; Luca della Robbia, Ognisanti in Florenz. —
Tympanonrelief der Liebfrauenkirche zu Trier; Flügelaltar der Zisterzienser
in Wiener Neustadt aus dem XV. Jahrhundert; Veit Stoß, Altarskulpturen
im Germanischen Museum zu Nürnberg und in Kirchdrauf; Peter Vischer
auf der Gedächtnistafel Henning Godens in der Schloßkirche zu Wittenberg;
Adam Krafft auf der Rebeckschen Gedächtnistafel in der Frauenkirche zu
Nürnberg; Michael Pacher, Hochaltar der Kirche zu Sankt Wolfgang;
Email zu Kloster Neuburg; Passionale der Prinzessin Kunigunde, Aebtissin
des Klosters St. Georg auf dem Hradschin in der Universitätsbibliothek
zu Prag; Imhofscher Altar in der Sankt Lorenzkirche zu Nürnberg;
Westfälische Schule des XV. Jahrhunderts, Kunstvereinsmuseum zu Münster;
H. Burgkmair, Gemäldegalerie Augsburg. — Peter Paul Rubens, im Louvre
zu Paris, im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin, im Museum zu Brüssel.
Francesco Ribalta, Museum zu Valencia; Diego Velasquez, Pradomuseum,
Madrid (s. Abb. 162); Domenico Theotocopuli, genannt Greco, in der
Sammlung Bosch zu Madrid. Bekannt unter den zahlreichen neuen Be-
handlungen des Stoffes sind das Fresko Johann Schraudolfs im Dome zu
Speyer (s. Abb. 163) sowie ganz neuerdings jenes der Beuroner Schule im
Emmaus-Kloster zu Prag.
Die Rosenkranzkönigin.
Als Königin des hochheiligen Rosenkranzes fand Maria auch in der
Kunst gebührende Verherrlichung. Wie oft wurden doch Blumen und
Blüten, besonders aber Rosen auf Marienbildern mit ihr, die als rosa
mystica in der lauretanischen Litanei angerufen wird, in mystische Be-
ziehung gebracht! Wie wurde ferner häufig, sei es dadurch, daß ein
Kranz echter Rosen der heiligen Jungfrau in das Haar geflochten war,
sei es, daß die Gebetsperlenschnur des Rosenkranzes in irgend einer
Weise auf dem Bilde angebracht war, auf Maria als zu verehrende Rosen-
kranzkönigin hingewiesen.
Man kann dann drei Klassen der Rosenkranzbilder unterscheiden.
Die älteren Darstellungen zeigen Maria mit Kind, umgeben von einem
Rosenkranz, so der anmutige niederrheinische Kupferstich von ca. 1460
* 213 *
(Koll. Weig II, 424) und Altarschreine zu Frauenmark in Mecklenburg, zu
Ketting und im Heil. Geist-Hospital zu Lübeck, mit dem hl. Dominikus
und Vertretern der Christenheit in Sankt Andreas zu Köln, der Altar aus
dem Katharinenkloster zu Lübeck, wo drei Kränze aus Kornblumen, Rosen
und Sternen die mater piissima umgeben. Die zweite Klasse knüpft an
Phot. Löwy.
Abb. 164. Albrecht Dürer, Rosenkranzfest. Wien, Museum und Prämonstratenserstift Strahow bei Prag.
(Siehe Seite 215.)
die fünfzehn freudenreichen, schmerzenreichen und glorreichen Geheimnisse
des Rosenkranzgebetes an und bringt die Schilderung der betreffenden
Geheimnisse in je fünf Rosetten, bei dem schmerzenreichen Rosenkranz
auch wohl in fünf Kreuzen, so auf Tafeln in Witting und Schwabach.
Derartige Darstellungen bringen Tafeln aus dem Heidelberger Schloß-
museum von 1418, in Sankt Johann in Schleswig, in Neukloster-
214
Mecklenburg, in Lutteran, auf fünf von Engeln gehaltenen Schilden in Getiorf,
ferner eine Anzahl Holzschnitte: Schreiber, manuel: 1012, 1131, 1132, 1136
und in der Koll. Weig I, 62 aus dem Jahre 1485. Vielfach verfuhren dann
später die Künstler ganz frei und fügten, nicht mehr genau sich an die
Geheimnisse des Gebetes haltend, in beliebiger Anzahl Rosetten will-
kürliche Szenen dem Rosen-
kranze ein. Charakteristisch
hierfür sind die Arbeiten von
Veit Stofs, der im Rosen-
kranz zu Sankt Lorenz in
Nürnberg in der Mitte die
Verkündigung gibt und in
fünf Medaillons Geburt, An-
betung der drei Weisen,
Auferstehung, Himmelfahrt,
Sendung des Hl. Geistes dar-
stellt, auf seiner prächtigen
Rosenkranztafel im Germa-
nischen Museum unten das
Weltgericht und ringsum
24 biblische Szenen frei zu-
sammenkomponiert hat.
Die dritte Klasse der
Rosenkranzbilder, deren Art
heute am populärsten ist,
bilden dann jene anfangs
schon erwähnten Darstellun-
gen, auf welchen zu Kränzen
gewundene, blühende Rosen
oder die in die Hand ge-
gebene Gebetsperlenschnur
die heilige Jungfrau symbo-
lisch als Rosenkranzkönigin
feiern.
Aus der Mitte des XV. Jahrhunderts stammt ein kölnischer Kupfer-
stich der Madonna in halber Gestalt mit der Mondsichel. Nicht nur das
göttliche Kind in ihren Armen hält mit beiden Händchen einen Rosenkranz,
sondern außerdem halten oben zwei Engel einen großen Rosenkranz, der
das ganze Bild umgibt. Mit einem Rosenkranz spielt auch das Kind der
Kölner Madonna mit der Wickenblüte. (Vgl. S. 74.) Und wie oft ist gerade
Abb. 165. E. v. Steinle, Königin des Rosenkranzes.
(Siehe Seite 216.)
* 215 *
auf deutschen Bildern
beigegebenen beten-
den Stiftern der Rosen-
kranz in die Hand
gedrückt! Wie charak-
teristisch ferner z. B.,
daß auf Baidung Grüns
Flucht nach Aegypten
der neben Maria wan-
delnde heilige Joseph
einen Rosenkranz in
der Hand hält, daß die
auf Jan Joests von
Calkar „Tod Mariens"
versammelten Apostel
am Sterbebette den
Rosenkranz beten. Ein
Kranz blühender Rosen
umwindet häufig das
Haupt von Dürers Ma-
donnen, z. B. in einem
Kupferstiche u. einem
Holzschnitte vom Jahre
1518. Das berühmte
Rosenkranzfest Al-
brecht Dürers (s.
Abb. 164) im Prämon-
stratenserstift Strahow
zu Prag — eine alte
Kopie in der Galerie
zu Wien — ist wohl die
bedeutendste sym-
bolische Darstellung
der Segnungen des Ro-
senkranzgebets. Maria
krönt den vor ihr knien-
den KaiserMaximilianl.
miteinemRosenkranze,
das Christkind auf
ihrem Schoß den Papst
Phot. der Phot. Gesellschaft.
Abb. 166. M. Ribustini, Königin des Rosenkranzes
mit Papst Leo XIII.
(Siehe Seite 216. i
* 216 *
Julius II. Der heilige Dominikus vollzieht die Rosenkranzkrönung an einem
Hofmann des Papstes, während die Krönung des Gefolges von Papst
und Kaiser im übrigen durch in den Lüften schwebende Engel geschieht.
In Italien schuf Sassoferrato seine Madonna del Rosario für Santa
Sabina zu Rom. Links erhält von der thronenden heiligen Jungfrau der
heilige Dominikus die Rosenkranzperlenschnur, rechts kniet die heilige
Dominikanerin Katharina von Siena. In der Kirche dei Gesuati zu Venedig
malte Tiepolo al fresco das monumentale Deckenbild mit der Austeilung
des Rosenkranzes durch den heiligen Dominikus.
Von Spaniern seien nur die beiden Rosenkranzköniginnen des
Murillo im Pradomuseum zu Madrid und in der Dulwich-Galerie bei
London erwähnt. Beidesmal spielt das Jesuskindchen mit der Rosenkranz-
schnur, die aus Marias Fingern gleitet. Neuerdings behandelte Georg
Kau (s. Abb. 161) mit Liebe den Stoff, ebenso E. Steinle (s. Abb. 165),
der Italiener Ribustini (s. Abb. 166).
Die Immaculata.
Die unbefleckte Empfängnis Maria erlebte in der künstlerischen
Wiedergabe ihre Blüte im XVII. Jahrhundert in Spanien. Die frühesten
Darstellungen waren reich an Symbolismen und allegorischen Hinweisen
auf das erhabene Geheimnis. Im Anschluß an die Apokalypse wurde
die reinste Jungfrau geschildert als „mit der Sonne bekleidet, mit dem
Mond zu ihren Füßen und eine Krone mit zwölf Sternen auf ihrem Haupte".
Reicher Goldschimmer drückt die Bekleidung durch die Sonne aus. Die
Sternenkrone flimmert auf der hehrsten Jungfrau Haupt. Auf Wolken
getragen, von reizenden Engelsknaben umschwärmt, schwebt sie nach oben,
wo die heilige Dreieinigkeit thront oder Gott Vater mit ausgebreiteten
Armen sie empfängt. Der Unbefleckten Fuß tritt häufig auf die Mond-
sichel, auch wohl auf die Erdkugel, vielfach zertritt er den Kopf der
Schlange, in deren Maul man den Apfel vom Sündenbaum des Paradieses
sieht. Ihr Gewand ist blendend weiß „wie der Schnee", manchmal mit
einem himmelblauen Ueberhang darüber. Gezüchtigte teuflische Brut
bäumt sich vereinzelt unten in ohnmächtiger Wut auf. Die zahlreichen
lieblichen Putten, die sozusagen durchgängig die Makellose umschwärmen,
haben häufig Abzeichen von Symbolen höchster Reinheit in Händen:
Rosen, Lilien, Spiegel.
Der ausgezeichnetste — hierin alle anderen Künstler überragende —
Maler der unbefleckten Empfängnis war Bartolome Esteban Murillo
(1618 — 1682). An 30 Verherrlichungen der Immaculata stammen von
217
Abb. 167. Bartolome Esteban Murillo, Unbefleckte Empfängnis.
Paris, Louvre.
(Siehe Seite 218.)
* 218 *
seiner Hand. Die bedeutendsten hiervon befinden sich heute in den
Museen zu Madrid, Sevilla und im Louvre zu Paris. An blendender
Wirkung des Lichts und warm getönter Farbensymphonie stellen sie von
der Gesamtkunst Unerreichtes dar. Nur einmal im Louvre — und zwar
dort nicht bei seiner bekanntesten Immaculata aus dem Jahre 1678 (s.
Abb. 167), sondern bei einer anderen aus Maria la blanca in Sevilla —
hat Murillo unten eine Stifter-
familie, die zur Makellosen ver-
ehrend aufblickt, angebracht.
Von weiteren spanischen Ar-
beiten seien noch genannt: Juan
de las Roelas, Kathedrale zu
Sevilla; Sun er, durch Kupfer-
stiche Capillas erhalten (im unteren
Teil des Bildes: glänzende Kirchen-
versammlung zugunsten der Lehre
von der unbefleckten Empfängnis);
Louis de Vargas, Kathedrale
zu Sevilla (mit Adam und Eva,
zur Makellosen betend); Ribera,
Augustinerkloster zu Salamanca;
plastische Wiedergaben: Cano,
Kathedrale von Granada; Mon-
tanez, Kathedrale zu Sevilla, i
Von den Spaniern gerade
wurden auch auswärtige Künstler
zur Behandlung dieses Themas
angeregt, so Guido Reni in
Tafelgemälden, so Luca Gior-
dano, Gewölbe der Kirche des
Eskorial; so Tiepolo, Galerien zu
Madrid und Vicenza. Carlo
Maratta liebte es, unterhalb der
Makellosen über das Geheimnis ihrer unbefleckten Empfängnis nach-
sinnende Evangelisten und Kirchenlehrer zu geben; Spätsienesen, die das
Thema behandelten, zogen an deren Stelle verehrende und verzückt auf-
schauende Heilige vor. Von sienesischen Immaculata-Wiedergaben seien
genannt: Girolamo del Pacchia, Pieve zu Buonconvento sowie
Francesco Vanni, San Niccolo zu Maggiano und Kathedrale zu Mon-
talcino. Gerade in neuester Zeit wurde dann die Immaculata auch in
Abb. 168. Franz Ittenbach,
Unbefleckte Empfängnis.
Holzschnitt von Franziska Ittenbach.
(Siehe Seite 219.1
219
Deutschland durch die Kunst gern verherrlicht, so von Jos. Albrecht,
Frl. von Oer, Karl Müller, Franz Ittenbach (s. Abb. 168).
Wohl zu unterscheiden von den künstlerischen Verherrlichungen
der Immaculata, die selbst durch die göttliche Gnade bei ihrer Geburt
von dem Makel der Erbsünde frei blieb, sind die sog. marianischen
Empfängnis-Typen des Mittelalters, die auf die übernatürliche Geburt
des Herrn aus Maria, der reinsten Jungfrau, symbolisch hinweisen sollen.
In diesem Sinne wurden eine Reihe alttestamentlicher Frauen (Saba,
Abigail, Ruth, Judith, Esther) und noch folgende Symbole auf die reinste
Jungfrau bezogen: der
brennende Busch Mo-
sis, der grünende Stab
Aarons (Exod. 3, 2
und Num. 17, 7, 8.),
die goldene Gelte
(Ebr. 9, 4.), das be-
taute Vließ Gideons
(Ind. 6, 37.), der ver-
schlosseneGarten und
der vergitterte Quell,
hortus conclusus und
fons signatus, Cant. 4,
12, der elfenbeinerne
oder Davidsturm ,
Cant. 7, 4. Wie aus
der „Verteidigungs-
schrift für die unver-
sehrte und fort-
dauernde Jungfrauen-
schaft Mariens", „de-
fensorium inviolatae, perpetuaeque virginitatis" des Franz von Rezsa er-
sichtlich, sind dann auch profane Gleichnisse aus der Sage, Geschichte
und Natur, die zur jungfräulichen Geburt in Parallele gesetzt werden,
in die marianische Typologie eingedrungen, so aus der antiken Sage
wunderbare Befruchtungen der Europa, Danae, Wunder der Geschichte
wie Arion auf Delphinen, der Gesang der Circe und die Verwandlung der
Helden in Tiere, Wunder der Natur, die Kraft des Magnets, der Phönix
und Pelikan, das Einhorn (s. Abb. 169) etc.
Nur wenige von diesen marianischen Typen waren wirklich kunstfähig.
Der „hortus conclusus" z. B. bürgerte sich auf Verkündigungsbildern ein.
Abb. 169. Maria mit dem Einhorn.
Mittelstück des Altarbildes im Erfurter Dom.
(Siehe Seite 219 u. 220.)
* 220 *
Maria empfängt die Engelsbotschaft in einem abgeschlossenen und um-
zäunten Garten, z. B. auf Fra Angelicos Darstellungen zu Cortona und in
San Marco zu Florenz. — Das Einhorn ist nach antiker Sage von solcher
Wildheit, daß es von keinem Jäger gefangen werden kann, aber einer
reinen Jungfrau legte es zahm den Kopf in den Schoß.
Die verwandte Situation und der Anklang der Worte unicornus-
unigenitus legte die Deutung auf den eingeborenen Sohn und die reine
Gottesmagd nahe. Die erste Darstellung findet sich in einem Antifonar
des XII. Jahrhunderts in Einsiedeln; vor Maria, zu deren Füßen sich das
Einhorn niedergelegt hat, kniet Gabriel, das Hörn blasend, aus dem der
Englische Gruß „Ave Maria" hervorkommt. Diesen Charakter als modifizierte
Verkündigung behält das Bild, das namentlich in der Mitte des XV. Jahr-
hunderts beliebt ist, dann bei. In ca. 50 Beispielen auf Skulpturen,
Schnitzereien, Tafelgemälden, Wandmalereien, besonders in Webereien, auch
in einigen graphischen Darstellungen ist es nachgewiesen, z. B. Altarbild
im Erfurter Dom (s. Abb. 169), Teppich der Sammlung Thewaldt in Köln,
Glockenrelief in Kahla, Antependium in Brandenburg, etc. — Die anderen
zahlreichen genannten marianischen Typen sind kaum kunst- und lebens-
fähig geworden. Im Kreuzgang des Doms zu Brixen hat ein Maler ver-
sucht, die gesamte, auf die jungfräuliche Geburt Christi aus der virgo
purissima hinweisende marianische Typologie, symbolisch andeutend, im
Zusammenhang zu behandeln.
» 221 »
SCHLUSSWORT.
er vermöchte alle Variationen zu nennen, in welchen Maria
in der Kunst als Königin des Himmels, als treue Helferin
der Menschen verherrlicht wurde?! Noch unerwähnt sind
die Darstellungen, wo sie sich in beseligenden Erscheinungen Heiligen
und Erdenbewohnern überhaupt gnädig erweist. Maria erscheint dem
h. Bernard (Perugino, Pinakothek zu München, und Murillo, Prado-Museum,
Madrid [s. Abb. 170]), Bernardin (Filippino Lippi, Badia, Florenz), Rosa
und Dominikanerinnen (Tiepolo, Gesuati, Venedig), Evangelisten Johannes
(Meister B.M. und Schongauer, Kupferstiche, Dürer, Holzschnitt), Augustin
(Murillo, Museum zu Sevilla) übergibt dem h. Ildefons ein Meßgewand
(Rubens in der Eremitage zu Petersburg, Medaillon-Relief in der capilla
de la Descension de Nuestra Senora der Kathedrale zu Toledo und
Theotokopuli, genannt El Greco: einzige Skulptur dieses Malers im Priester-
seminar zu Toledo). Tintoretto zeigt fast durchgängig seine glorreichen
Madonnen den Heiligen in Vision.
Erwähnt seien noch die Darstellungen, wo sie die noch auf der
Erde Weilenden durch ihr kräftiges Gebet unterstützt, so die Apostel am
Pfingstfest (Rabulas Kodex, Laurenziana zu Florenz; Fra Angelico,
Akademie, ebenda; Paris Bordone, Brera, Mailand; Meister von Groß-
gmain, Salzburger Schule, Kirche zu Großgmain), wo sie in symbolischem
Hinweis die Gläubigen unter ihren schützenden Mantel nimmt, sog.
Schutzmantelbilder. (Andrea della Robbia, Santa Maria delle Grazie zu Arezzo ;
S. Maria in Gradi, ebenda, Fra Filippo Lippi, Kaiser Friedrich-Museum zu
Berlin, Pergerstorff-Epitaph, Nürnberg, Friedrich Schramm von Ravensburg:
* 22 2 *
Abb. 170. Bart. Esteb. Murillo, Maria erscheint dem hl. Bernard von Clairvaux.
Madrid, Prado.
(Siehe Seite 221.)
* 223 *
Oberschwäbische Skulptur von 1480, Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin.
Lambertikirche in Düsseldorf, Speculum salvationis.)
Wieviel tausendmal verherrlichte doch die bildende Kunst die heilige
Gottesmutter! Wie eindringlich - - oft viel erschütternder als mensch-
liche Zungen es vermöchten — predigt sie uns Liebe und Verehrung
zur allerseligsten Jungfrau! Wie erstaunt und bewundernd aber auch der
Marienverehrer über so manches Maria wiedergebende, unvergleichliche
Erzeugnis höchster, vollendeter Kunstbetätigung sich freuen wird, so ge-
steht er doch gerne mit dem Dichter Novalis:
„Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt!"
Abb. 171. Maria als Kind.
Altar-Figur im Kloster Rottenbuch.